Während halb Deutschrap sich als Alphatier, Rudelanführer oder blutrünstiges Raubtier inszeniert, in dubiosen Motivationsreden nichts außer maximaler Leistung akzeptiert und dafür sorgt, dass toxisches Männlichkeitsgehabe zum guten Ton der Szene wird, zeigt Weekend, der selbsternannte „deutsche Ghostface Killah in nett“, mit ausgestrecktem Zeigefinger auf eigene und fremde Schwachstellen. Aus überzeichneter Stärke wird eingestandene Schwäche. Aus testosterongeladener Selbstüberschätzung wird ein Streben nach Selbstreflexion. Aus fanatischer Zielstrebigkeit wird ein Ringen mit dem eigenen Selbst. Aus Leitwolf wird Lightwolf.
Mit neuem Produzenten und frisch gegründetem Label kehrt Weekend mit seinem fünften Studioalbum aus der Versenkung zurück. Nach einer, laut eigener Aussage, länger andauernden Schreibblockade bringt der Stuttgarter Rapper mit „Lightwolf“ nicht nur sein erstes Solo-Alben seit drei Jahren auf den Markt, sondern erfindet sich als Texter und Musiker ein Stück weit neu. Bisher waren die Veröffentlichungen des zweifachen Video-Battle-Turnier Gewinners besonders für eine Mischung aus zynischer Gesellschaftskritik und einer guten Beobachtungsgabe witziger Alltagssituationen bekannt. Auf der neuen Platte erweitert er diese Stärken um eine ausgeprägte, persönliche Note und deckelt seine Songs erstmals unter einem deutlichen Album-Konzept.
„Keine Ahnung, wer ich sein soll, Digger“
„Lightwolf“ kommt mit einer thematischen Vielfalt daher, die sich stets an dem übergeordneten Thema der Platte, der Suche nach Zugehörigkeit in einer komplexen Gesellschaft, festhält. Während diese scheinbare Orientierungslosigkeit auf dem Titelsong noch direkte Erwähnung findet, legt sie sich wie ein dezenter Schleier über die restlichen Albumsongs. Von unterhaltsamen und innovativ lustigen Zeilen verdeckt, kommt diese Sinnsuche teilweise erst beim zweiten oder dritten Hören zum Vorschein, begleitet den Rapper jedoch bei jeder einzelnen Anspielstation. So sind es Themen wie ein mit körperlicher Stärke und emotionaler Abstumpfung gleichgesetztes Männlichkeitsbild („Boxen“) oder die scheußlich schöne Ruhe der schwäbischen Kleinstadt-Idylle („Kotzen“), die beim Rapper zu innerer Zerrissenheit führen und die Frage nach dem ‚Wohin?‘ immer wieder von Neuem anstoßen. Der uns stetig umgebende Druck Sozialer Medien und die darauf stattfindende Selbstdarstellung anderer scheint Weekend dabei keine Orientierungshilfe zu bieten. So spricht der Rapper auf dem Song „Bubble“ in gewohnt humorvollem Ton über im World-Wide-Web stattfindende Meinungsmache. Die mit dieser verbundenen hasserfüllten Kommentarspalten thematisiert er wiederum im melodischen „www.internet.de“.
„Vielleicht kann dein Körper ja einfach ein bisschen woanders stehen. Geh weg“
Deutlicher erscheint auf „Lightwolf“ dagegen die Antwort auf die Frage, wer Weekend nicht sein möchte. Auf der positiv polternden Produktion von „Hallo“ grenzt er sich nicht nur gemeinsam mit Pöbelkumpane Fatoni von den meisten seiner Genre-Kollegen ab. Nein, auf dem vorab erschienenen „Geh weg“ mit dem noch aus VBT-Tagen bekannten Rapper Pimf beweist der Stuttgarter von Zeile zu Zeile auch Haltung zu allgemeingültigen Themen der Gesellschaft. Egal ob gegen rechte Hetze, gegen Sexismus, gegen bürokratische Idiotie oder gegen den gefälligen Einheitsbrei der hiesigen Unterhaltungsindustrie – ohne mit der Wimper zu zucken werden hier persönliche Feindbilder präsentiert und um besonders große Abstandnahme gebeten. Die etwas gewöhnungsbedürftige Autotune-Hook des Songs braucht zwar zwei, drei Anschläge, um ihre komplette Wirkung zu entfalten, überträgt die krawallige Energie des Songs dann aber zu 100%.
„Ich komm‘ grade jeden Abend so scheiße gerne nach Hause“
Zwischen bedingungsloser Abgrenzung und selbstironisch verarbeiteter Sinnsuche wirken die persönlichen Songs der Platte wie Sicherheit offerierende Ankerpunkte. So erzählt der großartige „Nono’s Song“ von der lebensbejahenden Energie, die die kleine Tochter des Rappers auf ihren Vater überträgt, der brachiale „Burger + Pommes“ dagegen von der ausgeglichenen und andersartig romantischen Beziehung zwischen Weekend und seiner Ehefrau. Musikalisch inszeniert der Executive-Producer der Platte, Friedrich VanZandt, die musikalische Sinnsuche Weekends in einem erfrischenden Balanceakt zwischen moderner Schlichtheit und organischer Größe. So können auf „Lightwolf“ polternde Hip-Hop- Beats, wie der der Gelsenkirchen-Hymne „0209“, aber auch das wohlig warme Saxophon-Outro auf „Bojack Horseman“ koexistieren, ohne den roten Faden des Albums abzureißen. Zwar bricht das 80’s- Pop-Instrumental des melodischen „www.internet.de“ etwas aus dem Gesamtbild, macht dies aber durch seine Einzigartigkeit wieder wett.
Mit „Lightwolf“ kommt Weekend erstmals mit einem vollends in sich geschlossenen Albumkonzept um die Ecke. Zwischen Selbstzweifeln, Orientierungslosigkeit und Abgrenzung von politischer sowie rap- technischer Whackness verliert er dabei weder seinen entspannten Stimmeinsatz noch seinen herausragenden Wortwitz. Fans des Rappers werden hier fürs Warten belohnt, Rap-Hörer, die bisher nichts mit der Musik des Stuttgarters anfangen konnten, sollten es hier dringend nochmal mit ihm versuchen, bringt er doch mit „Lightwolf“ zweifellos sein bisher bestes Release. Wenn Orientierungslosigkeit bei Weekend immer so großartig klingt, kann man nur hoffen, dass er noch ein wenig braucht, um seinen endgültigen Platz in der Welt zu finden.
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Wir haben außerdem mit Weekend über seine neue Platte gesprochen. Das Ergebnis davon gibt es hier.
Und so hört sich das an:
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Weekend live 2021:
08.04.2021 – Wien, B72
09.04.2021 – München, Kranhalle
11.04.2021 – Stuttgart, Schräglage
16.04.2021 – Bremen, Lagerhaus
17.04.2021 – Köln, Helios37
18.04.2021 – Münster, Skaters Palace
23.04.2021 – Hamburg, Bahnhof St. Pauli
24.04.2021 – Berlin, Musik und Frieden
25.04.2021 – Leipzig, Naumanns
29.04.2021 – Hannover, Lux
30.04.2021 – Nürnberg, Club Stereo
01.05.2021 – Frankfurt am Main, Nachtleben
02.05.2021 – Dortmund, FZW Club
Die Rechte für das Cover liegen bei ilovewochenende.
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