In großen roten Lettern prangt das Wort “Zweifel” auf dem Cover des Debüts von Sperling. Gerade für eine erste Platte ein bedeutsamer Titel, hausiert er doch weniger mit einer gewissen Arroganz denn mit einem Bewusstsein für die eigenen Unzulänglichkeiten. Dabei hätten Sperling durchaus das Recht, auch mal mit Stolz geschwellter Brust herumzustolzieren, wie der Langspieler eindrucksvoll beweist. Aber das junge Quintett ist vielleicht auch zu reflektiert für oberflächliche Selbstlobhudelei. Das übernehmen dann lieber die gängigen Online- und Printmedien, die Sperling schon jetzt als neue Hoffnungsträger der deutschen Post-Hardcore-Landschaft gepriesen haben. Wir übrigens auch bei unserer Liste der Newcomer*innen des Jahres! Aber was macht die Band denn nun so besonders?
Die Mischung macht’s
Was Fjørt und Heisskalt damals losgetreten haben, zieht längst eine große Masse an Nachahmern (gendern ist hier nicht wirklich nötig) nach sich. So breit das Angebot, so marginal die Sound-Differenzen zwischen den Copy Cats. Auch Sperling tragen diesen Einflüssen ziemlich offensichtlich nach vorne, aber machen am Ende doch einiges besser als die Konkurrenz. Das liegt zum einen an der beeindruckenden Qualität, die die einzelnen Stücke ausmacht, zum anderen aber auch an der tonalen Kohärenz des Debüts. Hier wird mit jedem Takt eine beklemmende Grundatmosphäre heraufbeschworen, die gleichzeitig betroffen und verstanden macht. Post-Hardcore wie er leibt und lebt! Dafür sprechsingt oder schreit sich Frontmann Jojo über mal melancholische, mal bedrohlichen Instrumententürmen das Herz aus der Seele. Ein besonderes Schmankerl im Soundgemisch ist das wohl eingesetzte Cello, das gleich zum Markenzeichen avanciert und dem Album eine imposante Dramatik verleiht.
Von menschlichen Abgründen
Zwischen diesen Eckpfeilern bewegt sich “Zweifel” auf gesamter Spiellänge ohne große Ausreißer. Passend zum jeweiligen lyischen Fokus liegt die Betonung mal auf dem einen, mal auf dem anderen Segment. Apropos Lyrik: Die Texte wagen einen hochwertigen Querschnitt durch das gesellschaftliche Klima und das auf hohem Poetry Slam-Niveau – im positivsten Sinne! Das Intro “Eintagsfliege” wettert in schicker Spoken Word-Manier gegen die nicht vorhandene musikalische Szene in Deutschland, in “Toter Winkel” öffnet das Cello die großen Weiten, in denen der Text über Depressionen einen angemessenen Rahmen bekommt, das bewegende “Baumhaus” baut sich in einem konstanten Crescendo auf und blickt auf ein gesamtes Leben zurück. Sperling beherrschen ihr Handwerk und wissen es gekonnt einzusetzen, haben Punk-Hymnen für die Keller (“Laut”) und ruhige Stücke für den Lockdown zuhause (“Mond”) dabei. Wie bedeutsam das altbekannte Spiel aus Laut und Leise, aus Beat, Riff und Text auch heute noch klingen kann, beweist hingegen das bewegende “Relikt”, dessen dramatische Gitarrenwände auf einen pointierten Rhythmus treffen.
Aus diesen vor allem sehr emotionalen Blickwinkel heraus betrachtet können Sperling dem viel bespielten Genre Post-Hardcore einen neuen, roten Farbklecks hinzufügen. Dieser formt nicht nur das Wort “Zweifel”, sondern auch den bereits jetzt erwähnenswerten Bandnamen. Chapeau, Sperling!
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