Längst vergangen scheinen die Zeiten, in denen Newcomer*innen mächtig Eindruck mit einem Debütalbum schinden mussten. Wenn dieses Erstwerk heute erscheint, haben die meisten längst Millionen Fans im Rücken, die über die vereinzelten Single-Releases angelockt wurden. Social Media tut sein übriges und so verbreitet sich die Nachricht vom neuesten Hype wie zuletzt bei Olivia Rodrigos “drivers license” oder Billie Eilishs ersten EPs in Windeseile. So geschah es auch mit Arlo Parks, die mal eben Fans wie eben Eilish, aber auch Phoebe Bridgers oder Florence Welch in ihren Bann gezogen hat. Weiteres Gen Z-Material also? Mitnichten, wie schon ein Blick auf Parks’ aufgelisteten Inspirationen zeigt: Hier gesellt sich Chet Baker zu Fela Kuti, Otis Redding, MF Doom und Julien Baker. Ein buntes Gewusel, das dennoch nur einen groben Hinweis auf die Faszination Arlo Parks gibt. Für mehr Erkenntnisse muss man schon das Debüt “Collapsed in Sunbeams” auflegen.
Mit Sanftmut gegen den Wahnsinn
Songs wie “Caroline”, “Green Eyes” oder “Eugene” versprachen das Gegenmittel für den Mental Breakdown im Jahr 2020 lange bevor Pfizer oder BioNtech zu begehrten Anbietern wurden. Gefangen zwischen Lockdown, Black Lives Matter, dem Brexit und anderen gesellschaftlichen Umbrüchen haben Millionen Hörer*innen Unterschlupf bei Parks gefunden. Diesen verspricht die gerade einmal 20-Jährige mit ihrer wohlig warmen und gleichzeitig ungemein weisen Stimme, die aber trotz einer pastelligen Smoothness keinen Halt vor den großen Dramen des 21. Jahrhunderts macht. Ihren lyrischen Kern hüllt Parks in ein kuscheliges Federkleid aus R’n’B, Jazz und modernem Songwriting und steckt damit einen Rahmen ab, in denen sich sanfte Melodiebögen entfalten. Sowohl musikalisch als auch textlich bewegt sich “Collapsed in Sunbeams” auf ganzer Spiellänge auf leisen Samtpfoten, ohne sich zu verhaspeln oder in Aufruhr zu geraten. Auch wenn es mal an vorderste Front geht wie im queeren “Green Eyes”, das der LGBTQ+-Gemeinschaft eine feinfühlige neue Hymne spendet, bleibt die Faust nie geballt: “Some of these Folks wanna make you cry, but you gotta trust how you feel inside and shine”.
Am gemeinsamen Puls der Zeit
Derart empowernde Statements webt Parks geschmeidig in das sachte instrumentierte Album ein. Mal geht sie dafür den Weg der Kae Tempestschen auktorialen Erzählweise und beschreibt das kollektive Leiden (“Hurt”), mal heißt es vor dem leitenden Klavier “You’re not alone like you think you are” (“Hope”). Mit “Black Dog” und “Bluish” gibt es gleich zwei Stücke, die sich mit psychischen Belastungen und Krankheiten, sowie Self-Care auseinandersetzen. Auch im cineastischen, von flirrenden Background-Chören getränkten “Caroline” oder dem sphärischen “Eugene” bekommen die eigenen Unzulänglichkeiten eine Projektionsfläche. Vor all dem will das lyrische Ich das Gegenüber bewahren, streckt eine Hand aus und berührt damit unzählige Hörer*innen. Einmal ergriffen, lässt es sich zu den lässigen Jazz-Gitarren von “Too Good” oder dem nahezu sommerlichen Beats von “Just Go” sogar ein wenig tanzen.
“I would do anything to get you out your room”, singt Parks in “Black Dog” und meint damit wohl den mentalen Käfig, aber auch den eigenen Wohnraum. Der Ausbruch aus beidem entwickelt sich in der aktuellen Lage für viele zur größten Herausforderung ihres Lebens. “Collapsed in Sunbeams” kommt somit genau zur rechten Zeit und ist ein angenehmer Gegenentwurf zum sensationsgeilen Pop-Zirkus. Von Arlo Parks’ Sound wird man aber auch nach dieser Zeit nicht loskommen, zu einnehmend die Stücke, zu bewegend die Arrangements. Ein früher Kandidat fürs Album des Jahres!
Das Album “Collapsed in Sunbeams” kannst du hier (Vinyl) oder hier (digital) kaufen. *
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Rechte am Albumcover liegen bei Transgressive Records.
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