Knapp zwei Jahre musste Kummer auf die Hallentour zu seinem Nummer-1-Album „Kiox“ warten. Doch im zweiten Pandemie-Herbst sollte es nun endlich soweit sein und der Tourkonvoi rollte los – ebenso die vierte Welle. Das Resultat: Gerade einmal sechs der ursprünglich geplanten 13 Shows finden statt – unter diesen ist auch das lange ausverkaufte Konzert im Kölner Palladium.
Die Anreise begleitet ein mulmiges Gefühl. Noch am selben Tag sagt Kummer über seine Social Media-Kanäle die übrigen Konzerte in Münster und Berlin ab. Heute ist damit (vorerst) Tourabschluss. In den Kommentaren zu den Posts fordern Fans auch die spontane Verlegung der Köln-Show, viele berichten sie hätten ihre Tickets verkauft oder ließen sie verfallen. Eine richtige Entscheidung für Künstler*innen sowie Fans gibt es eigentlich nicht. Das Konzert findet unter der 2G+ Regelung statt, maßgeblich zum Pandemietreiber – so zumindest die Annahme – sollten solche Events wohl nicht werden. Und trotzdem: Das Virus wütet, die Inzidenzen sind höher denn je und die Intensivstationen füllen sich auch in NRW. Das Restrisiko, dass einer der Antigen-Schnelltest falsch negativ war, bleibt. Gleichzeitig: Musik und Kultur standen die vergangenen zwei Jahre stiller denn je und auch die Kummer-Tour wurde schon zweifach verschoben. Eine freiwillige Verlegung von Seiten der Veranstaltenden und Künstler*innen entgegen der gesetzlichen lokalen Bestimmungen – immerhin darf das Konzert offiziell stattfinden – birgt außerdem erneute finanzielle Risiken, denn die Veranstaltenden bürgen selber.
Was ist richtig: Kultur unterstützen solange es noch geht oder doch zuhause bleiben? Vor dem Hintergrund der Einschätzungen von Virolog*innen hinsichtlich 2G+ Events und deren Zusammenhang mit der Pandemieentwicklung bleibt die Entscheidung eine schwierige. Wir beschließen hinzugehen, uns das Geschehen aber mit etwas Abstand von der Empore aus anzuschauen. Viele andere scheinen – wie auch in den Kommentaren von Kummers Posting angedeutet – anders entschieden zu haben, denn das Palladium ist heute auch trotz Ausverkauf angenehm gefüllt. Vor Ort schwindet das mulmige Gefühl fix. Die Tests und Impfzertifikate werden am Eingang gründlich kontrolliert. Auf dem Weg zu Toilette und Garderobe tragen recht viele Besucher*innen Maske, in der Menge vor der Bühne jedoch nur vereinzelte. Das ist aber ja auch nicht obligatorisch und von uns auf der Empore zumindest weit weg. Zum allgemeinen Wohlbefinden trägt zudem die all-female Umbau- und Warteplaylist bei, die aufzeigt, dass gute Musik eben keine Männer-Sache ist.
Selbiges gilt auch für den Toursupport: Den halbstündigen Einheizer dürfen die Kummer-Geschwister Lotta und Nina sowie Johann Bonitz von der Formation Blond geben. Deren Spielfreude überträgt sich gleich auf das Publikum und erste Moshpits werden eröffnet. Auch die humoristischen, stets politisierten Ansagen des Trios stoßen auf Gegenliebe. Ein weiteres Highlight: Die Band hat die Lockdowns genutzt, um sich ein zweites Standbein aufzubauen. „Vom Lauch zum Blondinator“ heißt das Fitnessprogramm, das neuerdings erhältlich ist (nein) und Köln bekommt bereits eine kleine Kostprobe der Kür samt nicen Outfitwechseln serviert.
Ausdauertraining gibt es nach Lana Del Ray-Einspieler und kurzer Videosequenz dann auch bei Kummer. Der verwandelt den Säulen gesäumten Platz vor der Bühne in ein großes, springendes Etwas. Ein Backup braucht der 32-Jährige dafür nicht. Unterstützung bekommt er lediglich von einem drehbaren Würfel, der als Projektionsfläche und Lichtinstallation zugleich fungiert. Das reduzierte Bühnenbild wirkt, Bühnenpräsenz hat der ungelenk über die Bühne tanzende Kummer eh. Dass er auch auf seine Fans Acht gibt, das zeigt er gleich zu Beginn. Als einige Zuschauer*innen im Pogo stürzen, beobachtet er die Lage aufmerksam und weist vor dem nächsten Song darauf hin, dass bitte alle rücksichtsvoll miteinander umgehen sollen. Wenig später steht er mit Regenbogenflagge auf der Bühne. Auch das, symbolisch wichtig und sympathisch.
Ganz auf sich gestellt ist Kummer während der 80-minütigen Show dann doch nicht. Für „Aber Nein“ kommen zuerst Feature und Lokal-Held LGoony und dann Nina und Lotta von Blond auf die Bühne. Das letzte Blond-Drittel wiederum – Johann – übernimmt später den Gesangspart vom überraschend auf Eins gegangenen „Der Letzte Song“. Johann ist zwar nicht Fred Rabe, kommt dem Giant Rooks-Frontmann jedoch erstaunlich nahe und füllt die Leere gut. Kraftklub sind ebenfalls mit in den Tourbus gestiegen: In Form von Remixen. So setzt sich zu „Randale“ brav die ganze Halle. Für „500K“ außerdem – ist ja immerhin gezwungener Tourabschluss und damit Streiche-Zeit – stürmt die Crew die Bühne und wirft mit Social Media-Geld um sich. Fans von Kraftklub kennen die wertvolle Währung noch von vergangenen Touren.
Der ganze Abend ist somit eine kleine Utopie der erwärmenden Normalität inmitten des dystopischen Pandemie-Chaos. Für einige Stunden verschwinden Sorgen und Ängste vollkommen – auch weil die Atmosphäre trotz der großen Halle familiär und innig ist. Natürlich trügt der Schein, denn das Virus ist auch vor Ort existent. Es bleibt also zu hoffen, dass sich die Übertragungen in Grenzen halten und schwere Verläufe vermieden werden können. Fingers crossed und bleibt gesund!
Und so hört sich das an:
Kummer live 2022:
11.08. – Junge Garde, Dresden (ausverkauft)
17.09. – Wuhlheide, Berlin (Tickets für die abgesagt Show im Tempodrom sind auch hier gültig)
Foto von Jonas Horn.
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Klasse Konzert. Warten hat sich in jedem Fall gelohnt