Denzel Curry – Melt My Eyez, See Your Future

Cover des Denzel Curry-Albums "Melt My Eyez See Your Future".

Sonnenbrille im Gesicht, Ziegenbart am Kinn, Poncho locker über den Schultern, zu Minispitzen gestyltes Haar. So wandert Denzel Curry im afro-futuristischen Video zu „Walkin“ erst durch ein Western-Dorf, dann durch die Wüste. Schritt für Schritt, dem großen Showdown entgegen. Über kilometerlange Dünen, durch Wüsten-Schluchten, vorbei an eingewehten Monumenten, brennenden Hütten und an Holzpfähle gefesselte Menschen. Hinter ihm einzig sein Schatten und seine Fußstapfen, nur gelegentlich sind auch andere Menschen zu sehen. Das Gehen generell ist ein Leitmotiv auf Currys fünftem, sehr gutem Album „Melt My Eyez, See Your Future“, für das „Walkin“ als Lead-Single herhält. 

Alles, nur kein Stillstand – persönlich wie auch musikalisch. Zur Not eben robbend oder auf Knien kriechend wie zwischendurch im Video. Diesen Drang lässt „Melt My Eyez, See Your Future“ seine vollen vierzehn Songs lang erkennen. Ersteres – die Arbeit an der eigenen Psyche – zeichnet sich gleich anfangs flirrend am Horizont ab. Curry hatte in der Pandemie Zeit sich seinen Dämonen zu widmen, vergangene Fehler zu reflektieren, Haltungen zu korrigieren. Über groovigen Rhythmus, jazzige Piano-Chords und flächige Choräle blickt das Eröffnungsstück „Melt Session #1“ – eine Kollaboration mit dem Jazz-Musiker Robert Glasper – daher auf den alten Denzel zurück und stellt sich offen vergangenen Schwächen. Curry sucht dort Versöhnung mit all jenen, die er verletzte, adressiert eine direkte Entschuldigung an all die Frauen, die er – ob in Gedanken, Taten oder Worten – zu Objekten degradierte. „I take responsibility“, heißt es an der Stelle. Und auch hier tönt es schlussendlich: „I keep walking.“ Fuß vor Fuß. Bloß kein Stillstand.

Solche reflektiven Momente gibt es immer wieder auf diesem Album („Troubles“, „Mental“, „Angelz“), das vierzig Minuten später mitsamt Scratches und classy Lounge-Piano zum Abschluss gebracht wird. Der bereits angesprochene Ankündigungssong „Walkin“ samt seines cineastischen Videos etwa blickt zurück auf einen von gesellschaftlichen Unruhen und strukturellen Benachteiligungen gezeichneten Lebensweg. Auch der ist maßgebend für den persönlichen Entwicklungspfad, den Curry und viele andere junge Schwarze Männer bestreiten. Es bleibt nicht der einzige scharfsinnige Gesellschaftskommentar. „The Last“ sieht Curry in insanen Flows durch die Pandemie zutage getretene Missstände anprangern. „John Wayne“ (catchy hook!) überzeichnet den etwas zu lockeren Umgang mit Waffen in vielen (nicht nur) Schwarzen Communities.

Dass Curry seiner Mitte näher denn je ist, das offenbart zudem die Ruhe, mit der er neuerdings seine Texte vorträgt. Das Tosen früherer Werke ist verschwunden, geblieben ist in sich gekehrte Emotion, die Curry offen, aber mit einer gewissen inneren Gelassenheit nach außen trägt. Vor allem singt er mehr, das oft mit viel Soul. Zu der staubtrockenen Wüsten-Ästhetik, die die Kampagne und auch die Beats durchzieht, sowie den vielen gechoppten Chor-Samples und -Einspielern passt das. Immer wieder finden dort auch Referenzen auf Pop-Kultur und Film statt. „The Smell Of Death“ beispielsweise ist ein 90-sekündiges Interlude mit Spielfilm-Ästhetik und „Zatoichi“ benannt nach einer japanischen Serien-Persönlichkeit.

Zwischen all diesen konzeptuellen Spielereien lässt „Melt My Eyez, See Your Future“ ebenso Raum für rap-typische Selbstbeweihräucherung. In Reinform findet das statt auf „Ain’t No Way“, einem Zusammentreffen mit niemand geringerem als Rico Nasty (top!), 6Lack (gut!), J.I.D. (gut!) und Jasiah (gut!). Auch ein Song wie dieser jedoch bettet sich harmonisch in den Sound und das Konzept des Gesamtwerkes ein, ist niemals Opfer alter Gewohnheiten. „Melt My Eyez, See Your Future“ kann daher in seiner Gänze als ein Dokument persönlichen Fortschritts betrachtet werden. Das Ziel ist nicht erreicht, doch es kommt näher. Schritt für Schritt. Dies hier ist einer davon.

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Und so hört sich das an:

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Denzel Curry live 2022:

10.05. – Frankfurt, Zoom
13.05. – München, Backstage Werk
15.05. – Berlin, Huxleys
19.05. – Hannover, Capitol

Die Rechte für das Cover liegen bei Loma Vista.

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