Das 21. Jahrhundert bringe keine Pop-Stars mehr hervor, heißt es manchmal. Dabei müsste es eher lauten, dass das 21. Jahrhundert nur noch wenige universelle Pop-Stars hervorbringt. In Szene-Mikrokosmen gibt es nämlich doch immer wieder Musiker*innen, die zu heimlichen Szene-Sprachrohren mit Vorbildfunktion emporgehoben werden. Lil Peep zum Beispiel im Emo-Rap, Tyler. The Creator im amerikanischen Hip-Hop generell, Girl In Red im Bedroom-Pop. Die Künstlerin, um deren Debütalbum sich dieser Text dreht, wird wohl zukünftig zu einem solchen Mikro-Star emporsteigen: Paula Hartmann.
Deutschsprachiger Pop ist vieles, aber nur selten eigenständig. Auch das ist natürlich ein zugespitztes Statement, Ausnahmen von der Regel gibt es immer. So wie es auch immer noch Ausnahmestars gibt. Hartmann jedenfalls, dafür braucht es nur wenige Takte, dafür reicht es ein Auge in eines der Interviews zu werfen, die die 22-Jährige in den letzten Monaten gegeben hat, ist eigenständig. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte die noch-Jura-Studentin damit, als Schauspielerin vom Tatort zum Traumschiff zum Kriminalist hin zu Mathias Schweighöfer in „Der Nanny“ zu hüpfen. Die letzten Jahre dann widmete die Westberlinerin sich vermehrt ihrer musikalischen Karriere. Im letzten Spätsommer erst erschien ihre erste Single. Es folgten bislang fünf weitere. Das Debütalbum Hartmanns nun heißt wie ihr allererstes musikalisches Lebenszeichen – „Nie Verliebt“ – und fügt diesen sechs Stücken gerade mal drei weitere hinzu. Karrieren bauen sich im Jahr 2022 eben streamingkompatibel.
In ihrer Musik nun – entstanden vorweg mit dem Produzenten Biztram – mischt Hartmann Indie, Pop und Rap. Sie bedient sich der Soundästhetik von elektronisch-anmutendem Indie, der großartigen Melodiehaftigkeit des Pop, dem Sprechsingsang des Rap. Ihre Zielgruppe umschreibt diese Melange gut, denn Gen-Z-Kids interessieren Genregrenzen oft kaum. Indie-Kids sind das, nur eben, dass sie neben Indie selbstredend auch Pop, Rap, und alles andere, was cool ist, hören. Und cool ist Paula Hartmann allemal. Das Gesamtkonzept nämlich ist stimmig: Von der Märchenmotivik auf den Single- und dem Album-Cover hin zu den oft Schnappschuss nach Schnappschuss und Outfit an Outfit aneinanderreihenden Videos.
Hartmanns Texte, auch das passt zu dieser Indie-Bubble, sind währenddessen immer eine Spur zu melancholisch, die Sehnsucht nach Momenten, Gefühlen, Menschen ist eigentlich immer präsent. Verletzlich und nahbar wirkt das. Die Texte der 22-Jährigen sind außerdem gerade deswegen so gut, weil die Bilder, die ihnen innewohnen, aus dem echten Leben herausgestochen sind. „Ku’damm Ecke Bleibtreu; Scheinwerferkegel auf uns zwei; Auf der Suche nach der S-Bahn; Nachts um halb drei“, singt sie im titelgebenden Song. Ihr Debütalbum nun vermengt all dies und lässt schlussendlich in Gänze doch ein loses Konzept mit Erzählstrang erkennbar werden. Die Protagonistin, auf der Suche nach der Liebe, war noch „Nie Verliebt“, sammelt aber erste Erfahrungen mit dem bösartigen Kribbeln im Bauch, ist im Rausch, geht im „Seidenkleid“ aus. Ein Märchen mit glücklichem Ausgang? Nicht wirklich. Hartmann singt später gemeinsam mit dem seit über einer halbe Dekade verheirateten Casper von einer Beziehung ohne „Happy End“, die Fassade bröckelt also, die Liebe bricht. Und am Schluss ist sie doch nicht wirklich gefunden worden, die Liebe: „Wo fällt die Liebe hin? Wo muss ich steh’n um sie zu fang’n?“, fragt Hartmann im abschließenden „Truman Show Boot“.
„Nie Verliebt“ mag also der Soundtrack sein für eine ganze Generation auf der Suche nach der Liebe – einem tiefen Gefühl, das zwischen Tinder-Dates und pandemiebedingten Party-Stopps zuletzt zurückstecken musste. Diese Generation-Z, das ist sicher, wird Paula Hartmann auf ihren wohlverdienten Popstar-Thron hieven. Ganz ohne ausverkaufte Stadien und Paparazzi-Blitzlicht. Ein Gen-Z Popstar eben.
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Und so hört sich das an:
Die Rechte für das Cover liegen bei Four Music.
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