Konzerte von Künstler*innen sind immer etwas mehr als nur die Künstler*innen selbst. Da geht es um die Location, um das Publikum, um den Sound. Aber natürlich auch um die Bandbesetzung und noch mehr um die Tagesform derjenigen, für die man gekommen ist. Am 21.1., einem Sonntag, scheint in Oberhausen für Tristan Brusch alles zu stimmen.
Frei nach dem Motto “Die Wiederholung der Wiederholung” nochmal an dieser Stelle: Leute, Tristan Brusch ist einfach das, was wir alle brauchen. Es ist einfach dieser eine, ganz bestimmte Künstler, auf den man gefühlt schon so lang gewartet hat. Der so kluge, bizarre, kunst- und gehaltvolle Texte schreibt, dazu ein wahnsinnig gutes Händchen für traumhafte Kompositionen hat, den Produzenten, der aus der perfekten Grundlage nochmal das Extra herausholt, an der Seite trägt und das Endresultat auch optisch noch passend serviert. Wir überschlugen uns schon nur so mit Komplimenten bei seiner im März veröffentlichten LP “Am Wahn” und tun es an dieser Stelle wieder, weil einfach viel zu gut.
Doch wie eben erwähnt, sind manchmal Songs und Künstler*in allein nicht unbedingt ein Erfolgsgarant. So fehlte uns 2022 im Dortmunder FZW ein kleines Stückchen Atmosphäre, ist der Raum für Tristan irgendwie nicht stilvoll genug, zu clubbig und vor allen Dingen nicht bestuhlt. Doch im Ebertbad, das seit einiger Zeit endlich auch Pop-Konzerte zeigt, kann man es sich auf den Holzbrettern, die das alte Schwimmbecken abdeckt, auf gepolsterten Stühlen bequem machen. Zwischen einigen stehen kleine Tische, an der Bar gibt es Wein, Bier, Limo und Salzstangen. Ein Match.
Auch wenn die Veranstaltung nicht ganz ausverkauft ist, so richten um 20 Uhr geschätzte 150 bis maximal 200 Personen den Blick nach vorne. Mina Richman darf mit ihrem E-Gitarristen für 30 Minuten den Support übernehmen und macht das richtig gut. Die Mittzwanzigerin war 2022 bereits beim popNRW als Newcomerin nominiert, bringt nun im März ihr Debütalbum heraus und wirkt wahnsinnig souverän. Mit wichtigen Ansprachen zur aktuellen politischen Lage, die auch sie als Kind eines Iraners betrifft, heimst sie sich großen Applaus ein. Genauso aber mit ihrem verträumten Gesang, der tonal immer gelingt und musikalisch groovigen Billie–Eilish-Soulpop vorträgt, der eingängig, aber nicht zu penetrant komponiert ist und inhaltlich Coming-of-Age-Themen behandelt. Das macht absolut Lust auf mehr, so wie ein Support das eben zu machen hat.
Im Publikum finden sich viele Angehörige von Tristan, ist er nämlich im gerade einmal 20 Kilometer entfernten Gelsenkirchen geboren und hat immer noch Familie in Marl wohnen. Zum Beispiel seine Oma. So sind einige Zuschauende auch eher höheren Alters anwesend und wahrscheinlich sonst eher weniger die Zielgruppe – aber who knows, absolut nicht despektierlich gemeint. Um 20:45 Uhr betritt der 35-jährige Wahl-Berliner die Bühne. Neben ihm gibt es ansonsten nur einen Stuhl, eine Akustikgitarre, eine E-Gitarre, einen Verstärker und einen riesigen schwarzen Flügel. Die 80 Minuten macht der Künstler mit sich allein aus. Im Oktober, im ersten Teil der Tour, gab es hier und da zwei Instrumentalist*innen neben ihm. Heute wird es somit reduzierter.
Und genau das ist für Oberhausen anscheinend ein Glückstreffer. Tristan steht selten auf. Eigentlich nur, um von dem Stuhl zum Klavierhocker zu wechseln oder umgekehrt. Oder um sich zu verbeugen. Auch seine Ansagen sind rar. Er betont, dass das Publikum unglaublich höflich und zuvorkommend ist, weil wirklich niemand während der Songs redet. Alle probieren, sich so leise wie möglich zu verhalten. Das weiß er sehr zu schätzen, besonders, weil seine Lieder doch das Gegenteil von leichtem Entertainment sind. Aber er spürt, dass das wertgeschätzt wird und bedankt sich mehrfach.
In den fast anderthalb Stunden fällt – wahrscheinlich wird das eher selten gesagt – erneut sein Talent fürs Gitarrespielen auf. Am Piano ist er auch wunderbar, an den Saiten aber noch etwas mehr. So macht es wirklich überhaupt nichts, dass er ganz allein da sitzt, oft die Augen schließt, das ruhige Licht auf ihn scheint und aus den Boxen ein absolut perfekt abgemischter Sound erklingt. In der Kombi mit der Crowd, die man manchmal gar um sich vergisst, weil sie so leise ist, geschieht damit ein automatisches Wegtreiben. Mal in Sphären, die einen ängstigen, dann wieder in Schlafzimmer, in denen der Sex noch im Raum hängt oder in die versifftesten Straßen Berlins, wenn man frühmorgens den Atem beim Ausatmen vor sich sieht.
Auf der Setlist steht bis auf “Wahnsinn mich zu lieben” und “Kein Problem” das komplette “Am Wahn”, zusätzlich fünf Songs vom Vorreiter “Am Rest”, ein Medley aus drei älteren Lieblingen plus zwei nicht veröffentlichte mit den Namen “Akropolis” und “Wasser und Licht”. Wirklich laut wird es nie. Mal bekommt der Raum ein wenig verrauchten Kneipencharme bei “Oh Lord”, dann entsteht ein kleiner introvertierter Chor bei dem eigentlichen Set beendenden “Am Rest” oder es gibt private, sehr konkrete Einblicke purer Liebe in “Für Theo”, das seinem sechsjährigen Sohn gewidmet ist, dem der Song aber komplett egal ist, wie Tristan scherzend erzählt.
Tristan flüstert, singt, säuselt konzentriert und doch so unangestrengt ins Mikro. Ob man nun das Konglomerat aus schwerer Krebs-Thematik und perfektem Singer-Songwriter-Pop in “Baggersee” bevorzugt, lieber die Pandemie-Romantik in “Seifenblasen platzen nie” fühlt oder mit der zweiten und letzten Zugabe “Das Leben ist schön” das Leben des Künstlers im Schnelldurchlauf miterlebt – sehr gut ist das jedes einzelne Mal. Ein klein wenig mehr jedoch sticht das in einer ganz eigenen Liga lebende “2006” hervor, das an einem so großen, wundervoll klingenden Flügel schon im Januar einer der stärksten und intensivsten Konzertmomente des Jahres darstellt. Nie tut mitleiden so gut wie in diesen Minuten.
Ein kleiner Wunsch wäre noch, die sensationellen Kompositionen in der Instrumentierung live hören zu können, wie sie auf Platte klingen. Ansonsten: Jede Lobhudelei ist vollends begründet. Tristan Brusch hat alle Aufmerksamkeit verdient und bräuchte noch so, so viel mehr davon. Doch dann stimmt womöglich das Setting eben nicht mehr so wie an jenem Abend im Ebertbad.
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Foto von Christopher
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