Um am Mittwochabend, dem 16.7., Berq in Dinslaken beim Fantastival sehen zu können, benötigt es vor allen Dingen starke Nerven. Einerseits werden manche schon beim Vorverkauf enttäuscht, der seit gefühlten Ewigkeiten ausverkauft meldet. Andererseits sind aber besonders Fans, die bereits frühmorgens vor dem Einlass Platz nehmen, mehreren Stunden Dauerregen ausgesetzt. Wechselkleidung wäre jetzt praktisch, aber die haben wohl nur die allerwenigsten in der Tasche. Stattdessen sind Schilder mit Messages und kleine Geschenke für den Künstler sehr viel wichtiger. Und die bekommt er dann, wenn es allen innerhalb kürzester Zeit wieder richtig gut geht und das Endorphin reinknallt, im Übermaß.
Eigentlich verwunderlich, dass der nun 21-jährige in Hamburg geborene Wahl-Berliner so schnell durch die Decke ging. So wahnsinnig neu ist das, was er da tut, nämlich nicht. Eigentlich erkennt man Vorbilder seines introvertierten, dramatischen Indie-Pops auf Deutsch recht schnell. Und viele von denen, die er selbst gut findet, sind nicht ansatzweise so groß wie er nun. Doch am Ende ist es immer eine Mische aus Talent und ordentlich Glück, hier wahrscheinlich auch nochmal durch sein sehr junges Alter ergänzt, denn mehr Teenage Angst und Coming-of-Age geht aktuell auf Muttersprache nicht. Ein Sprachrohr der Gen Z.
Berq, eigentlich Felix Dautzenberg, hat Musik auch theoretisch inhaliert, und das über ein Jahrzehnt lang. Das ist in dem Falle verdammt hilfreich, geht es in seinem Schaffen um sehr viel mehr als nur um eine schöne Stimme. Klanggewitter, Streicher und Chöre ergeben gemeinsam die Substanz. 2022, da ist er 18, kommt die erste Single “Echo”, die unmittelbar richtig viel Lob einsackt. “Rote Flaggen” und die damit einhergehende erste EP schlagen ein Jahr darauf noch sehr viel größere Wellen. Der Song wurde mittlerweile in Deutschland vergoldet. Das Debütalbum klettert vergangenen Herbst bis auf Platz 2 und hält sich 20 Wochen in den Charts, was heutzutage wirklich lang ist. Sämtliche Konzerte – egal, wie viele Gigs, egal, wie groß die Halle – sind fix nach VVK-Start voll. Berq ist ein Hype, Berq baut kleine Brücken zu Seelen, die das erste Mal vom Leben richtig enttäuscht und verwirrt sind und klebt ein wohltuendes Pflaster darauf.
Das Fantastival existiert nun schon 25 Jahre und hat jedes Jahr mindestens ein, eher zwei richtig krasse Acts dabei. Letztes Jahr unterhielt uns der Soul von Emeli Sandé gut, dieses Mal soll es Berq sein. Das Burgtheater zeigt sich selbst leider von seiner schlechtesten Seite, sind regenbedingt der Matsch auf den Wegen ordentlich und die Pfützen tief. Doch schon kurz nach Einlassbeginn klart der Himmel auf. Dann, wenn’s ernst wird, hat der Wettergott Erbarmen. Bis zum Ende des Events bleibt es zwar kühl und bewölkt, aber trocken. Dass es sich eigentlich um ein Sitzplatzkonzert handelt? Geschenkt. Stattdessen sammeln sich sämtliche Fans, die schon so lange durchgehalten haben, in einer großen Traube direkt vor der Bühne. Das führt zwar dazu, dass Menschen in den ersten zwei Sitzreihen dann, wenn sie die Bank nutzen, gar nichts sehen können, es scheint aber kaum jemanden zu stören. Sowieso ist das Publikum altersmäßig wohl maximal fünf Jahre jünger als der Künstler selbst, oft aber auch nur maximal fünf Jahre älter – und dabei äußerst höflich. Von jeder zweiten Person wird das Konzert gefühlt durchgefilmt. Nervt ein wenig. Dafür ist aber der Respekt untereinander und gegenüber des Acts sehr groß. In Momenten, in denen Stille gefragt ist, schwebt sie wie ein warmes Gewand über die rund 2000 Besucher*innen.
Bevor es den sehr spannenden Gar-nicht-mehr-so-Newcomer zu hören gibt, treten Lovehead aus Österreich im Vorprogramm auf. Verdammt pünktlich spielen sie um 20 Uhr ihr halbstündiges Warmup. Das Mädels-Trio ist witzig, nahbar und steht für frischen Indie-Rock. Die zwei ersten Singles performen auf den Streamingportalen schon ganz gut, dieses Wochenende folgt die dritte. Besonders persönlich können Lovehead punkten, musikalisch braucht es da aber doch noch etwas an Souveränität. Mehrmals sind einige Einsätze auf den Instrumenten nicht ganz richtig und alles hat noch, nennen wir es Punk-Attitüde. Auch der miserable Sound zu Beginn wird ihnen nicht wirklich gerecht. Doch da ist durchaus Potenzial erkennbar, gerne in einem Jahr mehr.
Auch Berq bleibt im Zeitplan und spielt für 75 Minuten ab 21 Uhr sein Set. Der größte Nachteil an dem Gig ist tatsächlich die Location. Nicht, weil das Open-Air-Theater nicht schön ist. Sondern weil die sehr aufwändige Lichtshow, die teilweise enorm pointiert mit den Songs synchronisiert wurde, nur bedingt zur Geltung kommt. Bis auf das letzte Viertel findet der Auftritt im Hellen statt, das Licht ist unverkennbar für Indoor-Konzerte erdacht. Kann man über dieses Manko hinwegsehen, bekommt man aber ein sehr dichtes Erlebnis, das Gefühle klotzt statt kleckert.
Es ist rauchig. Die Kulisse schimmert nur umrissen durch. Plötzlich steht Berq auf dem Podest über seiner vierköpfigen Band, die sich aus Bass, Gitarre, Cello und Klavier zusammensetzt. Hin und wieder spielt die Pianistin während der Show auch Geige und Berq setzt sich an den großen Flügel. Schnell ist es mystisch, geheimnisvoll, ein wenig unterkühlt. Doch schon seine ersten Worte, die vor dem ersten Song gesprochen werden, bauen viel persönliche Connection zum Publikum auf. Warm, authentisch, gar nicht abgehoben, lieb. Er hat definitiv noch einen jugendhaften Charme.
In den 19 Songs, die das Set umfasst, fließt viel Herzschmerz, Unsicherheit, Selbstreflexion, Traurigkeit, aber auch Zuversicht. Schon beim “Heimweg” als Opener nicken viele in der Crowd, weil sie es gerade selbst so erleben. In späteren Momenten beobachtet man gar dicke Tränen, die übers Gesicht laufen. Die Lyrics sind nie zu oberflächlich, picken eher einen Augenblick heraus und bauen ihn groß auf. Obwohl es eigentlich Musik für den alleinigen, ein wenig schambehafteten Moment daheim im Bett ist, wird sie hier zur Safe-Space-Hymne. Berq selbst sagt, dass er es wahnsinnig doll schätze, mittlerweile auf der Bühne vor so vielen Leuten zu stehen. Anfangs hatte er davor richtig Angst, nun gefalle es ihm sehr gut. Er gibt vor, ob beim nächsten Song eher ganz leise und gefühlvoll mitgesungen werden soll oder ob Emotionen laut und schreiend herausdürfen.
Sowieso ist sein Gesang mit das Stärkste. Gar nicht unbedingt in der Technik oder dem Tonumfang, aber in der Dynamik. Zwischen Flüstern, Sprechen, Schön- und Hässlich-Singen gleitet der 21-jährige verdammt sicher durch die Titel. Neben dem vollmundigen Sound, der sofort wahnsinnig gut abgemischt wird und die Liveinstrumente – besonders auch die Cello-Soli – schön hervorhebt, gibt es Backingvocals vom Band, die das Erlebnis einer Livedarbietung aber nicht schmälern. Klanggewitter ballern bebend durch die Boxen, dazu Stroboskop. Das ist intensiv und genau richtig für die Musik, die der Künstler präsentiert.
Höhepunkte sind zum Beispiel ein Song auf einer kleinen B-Stage am Rande des Theaters. Berq klettert auf eine mehrere Meter hohe Leiter mit großen Sprossen und setzt sich hin. “Blauer Ballon” thematisiert den Tod seiner Mutter. Anerkennend wird ihm gelauscht, ein Fan lässt einen farblich passenden Ballon in die Lüfte steigen. Zu “Still” gibt es die einzige Möglichkeit am Abend zu tanzen, ohne dabei weird auszusehen, sagt er selbst. Das Angebot wird gern angenommen. “Hauptsache nicht alleine” wird einstimmig und energiegeladen vom Crowd-Chor bei “Alleine” dem Sänger mit den blonden Locken entgegengeworfen. “Mein Hass tritt dir die Haustür ein” ist dafür da, um dieses unangenehme, negative Gefühle rauslassen zu können. Ein Ventil, etwas diabolisch. Zum Abschluss gibt es “Rote Flaggen” und mehrere “Fucks”, die weh tun und durch Dinslaken hallen.
Berq ist nicht der klassische Bühnenentertainer. Häufig wirkt er sehr auf sich und seinen Gesang konzentriert, läuft etwas unkoordiniert über die Bühne, klettert mal auf das Podest, dann geht er wieder bis zum Rande des Stegs oder unterschreibt eine Vinyl, die ein Fan mitgebracht hat. Das ist alles sehr aus dem Bauch heraus und nicht einstudiert, dafür aber wahnsinnig greifbar und vor allen Dingen musikalisch super transportiert. Für so erfolgreichen Deutsch-Pop echt artsy. Selten fühlt sich Leiden so gut an.
Und so hört sich das an:
Bildergalerie:
Fotos von Leopold Achilles
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