Emeli Sandé, Burgtheater Dinslaken, 12.07.2024

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Manchmal braucht es eben nur diesen einen großen Hit. Haben den alle ins Herz geschlossen und mit Emotionen verknüpft, genügt es, um auch noch Jahre später Locations auszuverkaufen, sodass man in der Zwischenzeit einfach seinen eigenen Stil finden kann, ohne den nächsten Welterfolg unbedingt komponieren zu wollen. Emeli Sandé hat sich zwar fast gänzlich aus den Charts diverser Länder verabschiedet, motiviert jedoch mit ihrem bloßen Namen sowie ein paar erlesenen Hymnen von damals Menschen zum Kauf von Konzerttickets.

Und die lagen bei sehr vielen eine ganze Weile herum. Meist beginnt der Vorverkauf schon fast ein Jahr vor den eigentlichen Gigs – und dann wird das einzige Deutschland-Konzert um exakt zwölf Monate nach hinten verschoben. Das „Fantastival“ im Burgtheater Dinslaken findet eben immer nur zehn Tage statt, da ist eine Verlegung von zwei, drei Monaten nicht so leicht machbar. 2024 läuft bereits die 25. Ausgabe der sehr beliebten Eventreihe, die immer einen bunten Mix aus Konzerten, Comedy und ähnlichem Entertainment anbietet. Doch wenn man 2023 die in England geborene, aber in Schottland aufgewachsene Künstlerin nicht bekommt, dann eben dieses Mal – passt ja auch ganz gut zum großen Jubiläum.

Ein Großteil der Menschen im Publikum hatte die Tickets schon zum letzten Termin. Auf genau diese Nachfrage hin, die seitens zwei Radiomoderatoren von Radio K.W. – dem Lokalradio im Kreis Wesel – gestellt wird, heben sehr viele die Hand. Einige haben die Karten jedoch erst kurz vorher bei eben jenem Radiosender, der einer der Hauptsponsoren des Festivals ist, gewonnen. Bei der wirklich hübschen, gemütlichen und auch nicht zu großen Open-Air-Location, die im Amphitheater-Stil im Bogen angelegt ist und man somit eigentlich von überall gut sehen kann, machen es sich rund 1800 Zuschauer*innen schon ab 18:30 Uhr gemütlich. Bis 20 Uhr wird an den Ständen gesnackt und Drinks gekauft, dann muss man jedoch durch ein einstündiges, etwas anstrengendes Vorprogramm, das von Nieselregen begleitet wird.

Neben den beiden Radiomenschen, die das Publikum etwas widerwillig zum berühmten niederländischen EM-Tanz auffordern, gibt es noch freiwillige Helfer im Grundschulalter, die sich vorstellen, eine lange Aufzählung von anderen Beteiligten am Projekt – und einen sehr merkwürdig gewählten Voract. Evou ist eine queere, schwarze Sängerin aus Deutschland, die als „meistgebuchter femininer Pride-Act 2023“ angekündigt wird. Und ja, das ergibt durchaus Sinn. Sie sieht sehr stylisch aus, macht TikTok-ähnlichen, eher seichten Pop, ist äußerst jung, legt mehr Wert auf Performance und Beats als auf Gesang und unterhält das Publikum mit Bonbons, die sie in die Crowd wirft, und einer Jutebeutel-Gewinnaktion, an der man teilnimmt, wenn man ihr nun auf Insta folgt. Das ist alles super bemüht, richtig sympathisch und niedlich, aber leider sehr weit am Thema vorbei. Die Wahrscheinlichkeit, dass man für 85 Euro Emeli Sandé sehen möchte und gleichzeitig Evou gut findet, ist schon arg gering.

Doch um Punkt 21 Uhr geht es mit nur einem Jahr Verspätung endlich los. Eine sechsköpfige, sehr diverse Band, bei der ein Großteil BIPoC sind, macht es sich auf der Bühne bequem. Drums, Bass, Gitarre, Keys sowie zwei Backgroundsängerinnen. Im Fokus steht jedoch ein wirklich erschlagend großer Steinway-Flügel, an dem sich kurz darauf die 37-jährige Sängerin setzt, deren Vater aus Sambia kommt. Genau diese Wurzeln werden heute viel mehr in den Vordergrund gestellt, als es damals zur Erfolgswelle der Fall war. Die war bereits 2012. Jo, zwölf Jahre sind gefühlt mal wieder nix.

Ihr Debüt „Our Version of Events“ verkaufte sich über 3,5 Millionen mal. Dreifaches Gold bei uns, achtfaches Platin in ihrer Heimat UK. Danach wurde alles aber sehr schnell viel kleiner. Doch das hält Emeli Sandé nicht davon ab, weiterzumachen. Eigentlich hat man eher den gegenteiligen Eindruck, dass sie jetzt viel mehr einfach das tun kann, was sie möchte. Auch wenn auf der 15 Tracks umfassenden Setlist ein recht großer Teil aus ihrem Debütwerk besteht, nämlich gleich sieben Songs, werden die gerne umarrangiert. Das ist für Hardcore-Fans spannend, weil es immer anders klingt. Für diejenigen, die das Original hören wollen, vielleicht ein bisschen ernüchternd, aber wirklich nur minimal – denn Emeli sagt selbst, dass diese Gruppe auf der Bühne zusammengekommen ist, einfach um gute Musik zu machen. Schließlich ist Musik das, was alle verbindet und wo man viele Sorgen vergisst.

Ihre Musikalität wird in Dinslaken wirklich nach Sekunden deutlich. Die Band und sie spielen als Opening eine sehr jazzige Version von ihrem ersten großen Hit „Next To Me“. Da kann man zwar die Hook „Next to me, woahuhu“ mitsingen, bei allen anderen Parts sollte man sich aber einfach dem Flow ergeben. Das ist wahnsinnig groovy. Besonders die fantastische Drummerin und der geniale Bassist haben in der 95 Minuten andauernden Show mehrere richtig geile Breaks und Soloparts. Wobei: Beim Bass könnte man denken, er ist eigentlich die Hauptperson.

Und das ist leider so gar nicht als Kompliment zu verstehen. Der Sound ist zu Beginn wirklich katastrophal. Kann man nicht anders sagen. Ein viel zu lauter Synthesizer, eine viel zu leise Emeli, deren Mikrofon total blechern klingt, später dann einen immer entschieden zu dominanten Bass. Auch wenn sich die Klangqualität schon im Laufe der Zeit bessert, bleibt das Konzert besonders auf technischer Seite einige Stufen hinter seinen Möglichkeiten. Das klingt einfach nicht gut und raubt eine ordentliche Portion Genuss. Super schade.

Denn hätte man genau dieses Konzert mit gutem Klang und etwas gemütlicherem Wetter oder eben indoor gesehen, wäre das schon ziemlich nah an voller Punktzahl. Gesanglich berührt Emeli Sandé auf Anhieb, legt ganz viel Schmerz in ihre Stimme, arbeitet viel mit Crescendo und Decrescendo, lässt also auch Raum für leise Töne. Sie beltet mal mit voller Inbrunst, dann ist es mal sehr fragil oder luftig-kopfig. Sie spielt an dem riesigen Flügel, kurze Zeit auch an einem E-Piano oder tanzt mit ihren Backgroundsängerinnen völlig ausgelassen und intuitiv vorne am Bühnenrand. In wirklich stimmungsvollen Momenten wie bei „Brighter Days“ oder „Shine“ gibt es wohl mehr tanzbare Augenblicke, als man es erwartet hätte. Stark und ein richtig schöner Kontrast.

Schließlich bleibt das Herzstück ihre souligen Balladen wie das hervorragende „Clown“, die Labrinth-Kooperation „Beneath Your Beautiful“ und natürlich der Megaseller „Read All About It Pt. III“ – eben der Song, der ihr all das hier ermöglicht. Sie weiß, dass alle diese Songs hören wollen. Problemlos könnte sie auch diverses Material aus ihren vier noch danach erschienenen Alben zusammenstellen, bleibt aber eben bei dem Erfolgsalbum und ergänzt nur hier und da durch neueres. Außerdem möchte sie ihre afrikanischen Vorfahren einbinden, lässt den Gesang einiger Verwandten einspielen, um daraufhin wirklich starke Afrobeats zu kreieren. Der Spagat aus Jazz, Soul, Drama-Pop und World Music ist leichtfüßig und richtig stimmig. Hier hat jemand seinen Stil gefunden, der auch bei den unmusikalischen, deutschen Kartoffeln fruchtet, aber Authentizität beibehält.

Ein weiterer Negativpunkt ist leider das Gewusel. Das Burgtheater besitzt Sitzreihen, auf denen freie Platzwahl herrscht. Irgendwann werden die freien Sitzmöglichkeiten doch überschaubar, sodass sich einige Fans vor die Absperrung stellen – und die befindet sich vielleicht fünf Meter von der ersten Sitzreihe entfernt. Heißt also, diejenigen, die sich zuerst in die erste Reihe gesetzt haben und früh da waren, sind am Ende gar nicht mehr in der ersten Reihe. Viel schlimmer noch: Ihnen wird die Sicht versperrt, denn wie erwartet kommen während der Show immer mehr Leute nach vorne oder stehen auf den Stufen zwischen den Blöcken. Das macht alles ganz schön chaotisch und unruhig und könnte womöglich für die Menschen in der ersten Sitzreihe sogar noch ein eher unschönes Konzerterlebnis bedeuten.

Mit 15 Songs ist die Setlist nicht sehr voll, dafür sind die 95 Minuten aber durchweg hochwertig. Die tonale Treffsicherheit ist ganz stark, der Ausdruck ebenso. Emeli Sandé wirkt nahbar, auf dem Boden geblieben und ein bisschen wie eine junge Version von Randy Crawford. Das macht wohlige Gänsehaut. Liebhaber*innen von handgemachter Musik sind hier bei diesem Fantastival-Gig goldrichtig. Wenn man jetzt noch den Ton hinbekommt…

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher

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