Für einen kurzen Moment liegen Zweifel in der Luft. War das eben doch die richtige Autobahnausfahrt? Sind wir tatsächlich auf dem Zeltfestival Ruhr nahe Bochum gelandet oder doch auf der Fashion Week in Paris? Fünf mitteljunge Männer stapfen über die Bühne. Einer trägt Glitzerhandschuh, Sonnenbrille, LCD Soundsystem-Shirt, eine weite Lederhose (Detail: riesiges Flauschetwas am Hosenbund). Er drapiert sich auf einem antik anmutenden Minipodest. Ein anderer stolziert in Plüsch-Angelhut, enggeschnittenem Top und bestickter Jeans (Detail: lässiges Stofftuch aus der Potasche) heran. Ein dritter in Hockeytrikot und Jeans-Tigerjosen-Hybrid und ein vierter versteckt sein Gesicht hinter Sonnenbrille und Cap. Dann lautes, melodisches Dröhnen. Also doch Bochum, nicht Paris: Es sind Bilderbuch aus Wien, die ein Konzert auf dem Zeltfestival Ruhr spielen.
Und Bilderbuch spielen ein fantastisches Konzert samt akustischen Höhen und Tiefen. Der Einstieg ist Rock’n Roll: Durch das abgebildete Bergydill schallen die verschachtelt-kunstvollen Riffs von “Softpower” und “Dino”. Dann wird es funky mit “Gigolo” und “Kitsch”, der Applaus ohrenbetäubend nach “Bungalow”. “Aber Airbags” dann ist ein ellenlanger, spannungsgeladener Jam, der nahtlos in den Durchbruchshit “Maschin” mündet. Anschließend nähern sich Stimmung und Sound an: Im Zelt sind es bereits hundert Grad Celsius, “Ab und Auf” bringt diese jedoch auch in Tonwellen. “Spliff” sammelt daraufhin die Gefühle wieder auf und endet mit doppeltem Solo-Ausbruch, bevor “Bluezone” das frühzeitige Ende markiert.
Die Band derweil bringt Selbstbewusstsein für gleich drei Zelte. Sänger Maurice Ernst – der mit dem Glitzerhandschuhen – holt mit kleinsten Gesten zielsicher alles aus der begeisterten Meute und führt auch sonst urlässig durch das Set. Er sei noch nie in einem deutschen Freizeitpark gewesen, erzählt er etwa. Oder: Seine “Ur-Omi” habe im benachbarten Essen gewohnt (“Ich bin wieder da”, ruft er mit in Himmelsrichtung gestreckten Armen). Millimetergenau ist das Zusammenspiel mit seinen vier Kollegen an Bass, Gitarre, Schlagzeug und Keys. Eine kleine Geste in Richtung Drums reicht und schon setzt die Kick ein, damit das im-Takt-Klatschen glückt. Perfekt abgestimmt ist auch die meist subtile LED-Show, die komplett ohne zusätzliches Licht auskommt. Mal regnet es Dollarnoten, mal schießen Feuerfontänen gen Zeltdecke, mal huschen Bilderbuch als Videospielcharaktere vorbei.
Nach 85 Minuten und gerade einmal 13 Songs dann jedoch die Enttäuschung: Obwohl minutenlang lautstark eine Zugabe eingefordert wird, bleibt diese aus. Drei zusätzliche Songs spielte die Band bei anderen Tourstopps noch. Eigentlich entsprechen die Auftritte auf dem Zeltfestival Ruhr vollen Headline-Konzerten und kosten auch dementsprechend. Was war also passiert? Es lässt sich darüber nur mutmaßen, der Verdacht liegt jedoch Nahe, dass sich Tom Odell, der im benachbarten Zelt auftreten sollte, an der Lautstärke Bilderbuchs störte und weigerte (wie beim Zeltfestival Ruhr typisch) parallel zu spielen. Odell jedenfalls begann sein Konzert mit 35 Minuten Verspätung pünktlich zu den letzten Tönen der Österreicher. Andere Puzzleteile passen ebenso: Als Maurice Ernst nach fünf Minuten lautstarker Beharrlichkeit dann doch noch kurz auf die Bühne zurückkehrt, erklärt er sie würden gerne noch weiterspielen, dürfen jedoch nicht und zeigt in Richtung des benachbarten Zeltes, in dem soeben Odells Konzert begonnen hat. Zuvor außerdem sollen alle so laut singen, “dass Tom uns hört”. Fernab der Schuldfrage bleibt so ein unwürdiges Ende für ein eigentlich perfekten Abend. Schade.
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Foto von Jonas Horn.
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