Hurricane Festival 2024, früher Abend. Die kleinere der zwei Hauptbühnen. Davor eine zugegebenermaßen mittelgroße Menschenmenge. Auf der Bühne ein fantastisches Konzert spielend: Grian Chatten und seine Band Fontaines D.C. Chatten wirkt elektrisiert, gar hibbelig. Die Augen hinter einer froschgrünen Sonnenbrille verbogen stapft er in ledrigen Schnürstiefeln fortwährend und rastlos über die Bühne. Als sei er nach langer Reise beinahe angekommen, wüsste gleich wartet der schönste Ausblick seines Lebens, lediglich ein paar Handvoll Minuten entfernt. Immer wieder außerdem streckt Chatten beide Arme von seinem Körper, schwingt diese als Forderung nach Energien und Aufmerksamkeit im Kreis. Rastlos und zielsicher zugleich wirkt die Attitüde. Sie hat eine simple Erklärung: Die Band spielt das Konzert mit dem Wissen, dass sie das Albums ihrer Karriere im Gepäck hat.
“Romance” heißt dieses vierte Fontaines D.C. Album. Und “Romance” ist eine Farce. Immerhin wurde jedem seiner Vorgänger bereits in vielfacher Lobschrift attestiert das Unmögliche erreicht und das Vorangestellte überboten zu haben. Es ist aberwitzig, doch “Romance” gelingt dies erneut. In der Summe seiner Teile nämlich fühlt es sich einige Nummern größer an. Nicht wie das Album einer aufstrebenden irischen Post-Punk-Band, sondern das Werk international gefeierter Superstars. Die Post-Punk-Einflüsse jedenfalls sind schon lange nur noch subtiles Hintergrundrauschen. Stattdessen: Britpop, Melancholie-Indie, Epos-Rock, Grunge, gar ein Hauch Hiphop und Klassik. Alles verdichtet, sodass eine nur selten vorzufindende Dringlichkeit transportiert wird. Das beste Beispiel: “In The Modern World”, wohl einer der größten Songs, den die Band bislang schrieb. Eine Hymne des Nicht-Gefühls, die einen doch so viel fühlen lässt. Eine solche Power-Ballade, die auch aus der Feder Lana Del Reys stammen könnte. Mit “Starbuster” eilte dem Album zudem ein Song voraus, der sich mit seinen ewig ähnlichen Zeilen und Flow an den Hiphop anlehnte und seiner Opulenz wegen zurecht Wellen schlug.
Ehre gebührt ebenso Chatten selbst. Lag die Schönheit in der Vergangenheit zumeist in den poetisch getexteten Zeilen, so findet sich diese zunehmend auch im Gesangvortrag. Dessen Harmonie findet sich etwa in Chattens Falsett sowie wenn dieser im Bariton mit den Gesängen seiner Kollegen spielt. So kommt es, dass sich die vermeintlich grau-melierte Fantasie-Welt, die das dick aufgetragene Eröffnungsstück andeutet, als keine solche entpuppt. “Romance” nämlich hat mehr Farbe, kann Sonnenuntergang (“Favorite”) genauso wie oldschooligen Trickfilm (“Motorcycle Boy”) oder Pub (“Here’s The Thing”).
Die Songs eint derweil, dass sie eine gewisse befreiende Melancholie in sich tragen und trotzdem für die Zukunft so vieles offen lassen. “Romance” nämlich reiht sich in eine Liste von Alben, auf denen sich bereits großartige Musiker*innen von einstigen Ketten losrissen. “Romance” ist also ein once-in-a-lifetime Album, ein niemals zu wiederholender Befreiungsschlag, nach dem nichts mehr festzustehen scheint. Und es ist vor allem eines: Ein unverschämt gutes Stück Musik. Schon wieder.
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Und so hört sich das an:
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Fontaines D.C. live 2024:
07.11.24 München, Zenith
08.11.24 Berlin, Uber Eats Music Hall
11.11.24 Hamburg, Sporthalle
12.11.24 Köln, E-Werk – ausverkauft
Coverrechte: XL Recordings.
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