Man kennt’s: Einfach mal jemand anderen spielen, um zu gucken, wie man dann auf andere wirkt. Führt das zum gewünschten Erfolg, ist das Ziel zwar erreicht – gleichzeitig tauchen aber allerhand Probleme auf. In Tootsie geht es genau um dieses ominöse „Wenn ich doch nur anders wäre…“ und seine damit einhergehenden Erfolge wie Misserfolge. Im Theater Bonn läuft die Adaption der berühmten Filmvorlage in der Spielzeit 2025/26 und weiß schon bei der Premiere das Publikum ordentlich zum Lachen und Mitfiebern zu begeistern.
1982 erscheint die gleichnamige US-amerikanische Komödie mit Dustin Hoffman in der Haupt- sowie u.a. Jessica Lange, Bill Murray und Geena Davis in den Nebenrollen. „Tootsie“ ist ein eher leicht abwertender und sexistischer Ausdruck im Sinne von „Schätzelein“. 1983 wird der vor allen Dingen hervorragend geschriebene Film für zehn Oscars nominiert, gewinnt am Ende jedoch nur einen. Bei den Tonys 2019 – also den Oscars für Musical & Theater – reicht es erneut für zehn Nominierungen, diesmal gibt es zwei Preise. 36 Jahre dauerte es von der Film- zur Musicalpremiere, die in Chicago stattfand. Kurz darauf zog Tootsie an den Broadway, Corona-bedingt kam das Ende schneller als gewünscht. Besonders überraschend ist aber die schon kurz nach der Pandemie aufgeführte Europapremiere, nämlich in München. Gil Mehmert, mittlerweile einer der führenden deutschen Regisseure im Musicalbereich (u.a. „Berlin Skandalös“ , „Rent“ , „Jekyll & Hyde“ , „Sweeney Todd“ , „Die Päpstin“ ), hat schnell das Potenzial erkannt und am Staatstheater am Gärtnerplatz die erste nicht-englischsprachige Aufführung gezeigt.
Und die bekam ausgezeichnete Kritiken. Im Oktober 2025 zieht die Produktion weiter, nämlich in die ehemalige Landeshauptstadt nach Bonn. Im Opernhaus sind für diese Saison 18 Aufführungen geplant. Einige Darsteller*innen aus München nahm man mit hinüber, andere sind neu dabei. Zur Premiere am 26.10., einem Sonntag, sind bis auf wenige einzelne Plätze alle gespannt und freuen sich auf das, was auf der Bühne geschehen wird.
In 140 Minuten – erst 80, dann 60 – gibt es ganz besonders für diejenigen, die an Musicals oft die zu dünne Story kritisieren, ein Libretto on point. Das liegt selbstverständlich an der starken Vorlage, aber auch eine gute Adoption will gelernt sein. Worum geht’s eigentlich? Michael Dorsey ist ein ziemlich erfolgloser Schauspieler und kann sich finanziell kaum noch über Wasser halten. Trotz vorhandenem Talent möchte ihn in New York einfach niemand besetzen, was an der oftmals viel zu starken Konkurrenz liegt. Seinem WG-Mitbewohner Jeff, der Stücke schreibt, geht es ähnlich, ebenso deren gemeinsamen Freundin Sandy. Doch Michael bekommt mit, dass für eine Fortsetzung von „Romeo & Julia“ die Rolle der Amme besetzt werden soll – und beschließt einfach als Frau verkleidet beim Casting mitzumachen. Trotz eher trashigem Kostüm mimt Michael seine neue Identität Dorothy Michaels ziemlich gut und erhält die Rolle. Dabei sticht er auch seine gute Freundin Sandy aus. Dorothy wird der neue Broadway-Star, was eigentlich Michael sehr entgegenkommt – jedoch verliebt er sich in seine Kollegin Julie, die die Julia spielt, sich jedoch blöderweise in Dorothy verguckt. Der narzisstische Macho-Boy vom Set, Max, übrigens auch noch. Er liebt sie, sie liebt sie, er liebt sie, der aber eigentlich er ist. Hups.
Ja, man weiß schnell, was das Ganze für Eskalationsstufen annimmt. Tootsie ist ein bisschen Klischee, aber darin wirklich super stark. Zig Szenen sind super absurd, das Stück legt ein gutes Tempo an den Tag und langweilt nahezu keine Minute. Verwechslungen, Eskapaden beim Umziehen, Streitigkeiten unter Mitbewerber*innen und so vieles mehr sorgt für Drama at it’s best. Mit einem enorm aufwändigen Bühnenbild, das ständig zwischen WG-Leben, Theatersets, beschaulichen Parks und Großstadtflair hin- und herwechseln muss, bekommt das Auge alles, was es braucht. Abgerundet wird das Eyecandy durch schillernde Kostüme und classy Choreografien. Dank der stimmig komponierten Musik von David Yazbek zwischen Funk, Swing, Charleston und opulentem Broadway-Pop kann das Tanzensemble zeigen, was es draufhat.
Und wie sieht es mit der Besetzung aus? Die ist fast perfekt. Bettina Mönch spielte die weibliche Hauptrolle Julie schon in München und sticht mit ihrem Pop-Sopran gesanglich am stärksten hervor. Eine Figur, die ihr steht, darf sie nämlich ein wenig Diva sein, aber auch weiche Seiten präsentieren. Vera Bolten als Sandy ist mit ihrer naiv-trotteligen Rolle so herrlich dusselig angelegt, dass ihr die ersten großen Lacher mehr als gegönnt seien. Ihr enorm schnelles und äußerst anspruchsvolles „Was passier’n wird“ sorgt völlig zurecht für den ersten starken Beifall. Jan Nicolas Bastel als Max ist eine reine Persiflage. Seinen durchtrainierten Körper darf er gefühlt in jeder Szene vorführen, aber spätestens in seinem grandios schrägen Solo „Was kann das sein?“ darf der Darsteller auch zeigen, wie toll er singen kann. Den herausforderndsten Job hat jedoch Julian Culemann in der titelgebenden Hauptrolle. Besonders im Schauspiel gibt er sich facettenreich, muss auch körperlich mit vielen Kostümwechseln und einigen Choreos richtig reinklotzen. Lediglich gesanglich gibt es im ersten Akt in den Wechseln zwischen Brust- und Kopfstimme einige nicht ganz richtigen Töne, die sich jedoch in der zweiten Hälfte mit mehr Power und Belting ausmerzen lassen. In der Katharsis gen Ende wirkt Culemann emotional und glaubwürdig.
Tootsie ist einfach ein Feel-Good-Musical, wie man es möchte, wenn man genau auf diese Art Stück abfährt. Das ist kurzweilig, mitreißend, äußerst witzig, leicht in den Melodien und hübsch im Anblick. Auch wenn die Geschichte an sich vielleicht etwas old-fashioned sein mag und man Travestie-Komödien 2025 etwas über hat, ist die Umsetzung im Theater Bonn wirklich gelungen. Ein Stück, das es noch nicht oft zu sehen gab, sich aber durchaus über die Jahre zu einem kleinen Fanliebling mausern könnte.
Weitere Termine:
8.11., 15.11., 6.12., 13.12., 22.12., 1.1., 27.1., 14.2., 28.2., 20.3., 24.3., 28.3., 6.4., 11.4., 16.4., 24.4., 14.5.
Vorstellung immer um 19:30 Uhr, außer am 1.1., 6.4. und 14.5. je um 18:00 Uhr
Und so sieht das aus (Video von der Produktion aus dem Staatstheater am Gärtnerplatz, München):
Website / Facebook / Instagram
Foto von Christopher Filipecki
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.