Fast ein Heimspiel! Die gebürtige Dortmunderin Charlotte Brandi darf in ihrem Revier spielen. Naja, so halb. Strenggenommen sind es gute 10km Luftlinie bis in die Christuskirche in der Bochumer Innenstadt. Aber das geht definitiv als Heimspiel durch. Dementsprechend ist auch die Stimmung im Saal.
Die hübsche protestantische Kirche ist mittlerweile kein Geheimtipp mehr für Gigs im Ruhrgebiet. Immer häufiger wird der Allzweckraum mit dem speziellen Ambiente in einen Konzertsaal verwandelt und kann mehr als 800 Zuschauern einen Sitzplatz anbieten. Davon sind am Freitag, dem 3.5., ungefähr die Hälfte belegt. Brandi ist, wie bereits erwähnt, in Dortmund geboren, hat sich aber schnell, um ihre Kunst zum Beruf zu machen, in die Hauptstadt verdrückt. Trotzdem ist ein Heimkehren stets etwas Besonderes. Das Publikum besteht demnach zum Teil aus Freunden und Familienmitgliedern, aber auch jungen Musikbegeisterten mit Hang zum Hipster-Kult.
Bevor jedoch der Hauptact sein Können unter Beweis stellt, geht es zunächst auf eine äußert mutige Klangreise. aniYo kore kommen ebenfalls aus Dortmund. Ein Mann/Frau-Duo, die probieren von ihrer Musik zu leben, wie Rene aus der Band es selbst betont. Außerdem leitet er die 45 Minuten Vorprogramm mit einer Anekdote ein: Die Zwei sind Teil des Stücks „Orlando“ im Dortmunder Schauspielhaus. Letztens wurde während der Vorstellung lauthals darum gebeten „endlich mit dieser Scheiße aufzuhören“ – gemeint war natürlich die Musik. Und tatsächlich zehrt die Musik der Band auch am Nervenkostüm der Crowd in Bochum. Laut eigener Homepage handelt es sich um Postrock gepaart mit Downtempo. Das trifft es soweit ganz gut. Irgendwo zwischen Industrial, Alternative-Indie Rock und schleppender Electronica ist der Sound an sich in Ordnung. Er am Bass, sie an der E-Gitarre, beide an diversen Soundeffekten. Schwierig wird es erst durch den Gesang der beiden Künstler. Nicht einmal ist ein Refrain klar erkennbar, selten wiederholen sich Teile, sodass die Aufmerksamkeitsspanne nach spätestens zehn Minuten überstrapaziert wird. Eine originelle, experimentelle Band, die nicht jedem gefallen will und es definitiv auch nicht tut. Auch hier verabschiedet sich ein Teil der Zuhörer und kommt erst in der Umbaupause zurück. Besser als Soundtrack für einen David Lynch-Film geeignet als für ein Konzert mit Sitzplätzen.
Charlotte Brandi betritt um kurz nach 21h mit ihren drei Musikern die schlichte Bühne, die neben Instrumenten nur ein paar klassische Lichteffekte bereithält. Ihre Band besteht aus einem Schlagzeuger, einem E-Gitarristen und einem Bassisten. Sie selbst zockt abwechselnd am E-Piano, am analogen Klavier und ebenfalls an der E-Gitarre. Der Gesang kommt ausschließlich von ihr. Man ist gerade nach dem Support froh, endlich Musik mit Melodien und Struktur zu hören, sodass innerlich etwas mehr Ruhe einkehrt.
85 Minuten lang gibt es insgesamt neun Songs von ihrem ersten Soloalbum „The Magician“, das vor weniger als drei Monaten erschien, alle im vollen Bandsound. Zusätzlich spielt sie drei Titel am Klavier, die bisher unveröffentlicht sind. Obendrauf gibt es A cappella ein spanisches Cover aus den 60ern. Dazwischen erfolgen unzählige Anekdoten über Videodrehs und die damit einhergehenden Budgetschwierigkeiten, über die Pubertät im Ruhrgebiet, die als Inspiration dient und die Liebe zu ihrer Schwester. Alles äußerst eloquent und bedacht mit entspannter Stimme, einem kleinen Hang zum Divenhaften, aber dennoch mit viel Wortwitz und einer gewissen Coolness gespickt. Optisch präsentiert sich Brandi in einem orange-roten Jumpsuit.
Doch was passiert musikalisch? Einerseits recht viel, andererseits aber doch ein Hauch zu wenig. Besonders im Vergleich zum mystisch-verträumt aber häufig tanzbaren Sound mit ihrer Ex-Band Me and My Drummer schafft das Soloprogramm nur vereinzelt zu überzeugen. Ihre markante Stimme macht besonders in den mittleren Lagen eine tolle Figur und schmeichelt, bricht aber nach obenhin einige Male weg und ist nicht immer ganz im richtigen Ton. Der Sound ist hingegen sehr gut abgemischt und lässt die Kirche in mehreren Momenten angenehm laut werden, da gibt’s nix zu beanstanden. Brandi erwähnt, dass in der Bandbesetzung, die zu sehen ist, nur eine Probe vorher durchgeführt werden konnte. Dafür klappt alles äußerst gut – nur einmal unterbricht sie nach ca. 30 Sekunden, da der Bass nicht so will wie sie. Also nochmal von vorne! Wirkt sympathisch und echt.
Und dennoch springt der Funke nicht ganz über. Die gesamten knapp anderthalb Stunden Musik werden ansprechend vorgetragen. Für ein wenig Abwechslung wird durch die wechselnde Instrumentierung und den Genre-Mix aus Blues, Jazz, Singer/Songwriter und Indie-Pop auch gesorgt – letztendlich fehlt es jedoch dem Songwriting aktuell an Leichtigkeit. Man wartet gern auf den Moment, indem es einen melodisch so einhüllt, dass man auf eine Gedankenreise geschickt wird oder man Aufstehen und Mittanzen möchte. Beides geschieht nur bedingt. Selbst beim abschließenden Applaus bleibt die Anhängerschaft sitzen. Ohrwurmgefahr auch gen zero.
Insgesamt bleibt ein Abend, der genau im Mittelfeld landet. Seltsame und anstrengende, wenn auch spannende Vorband – eine interessante Brandi mit tollen Geschichten, einem guten Händchen am Klavier, einer netten Band, aber nur mittelprächtigen Songs.
Und so hört sich das an:
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Foto von Christopher.
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