August 2013. Chiemsee Rocks. Ein Mann in den Vierzigern mit blauem Iro steht auf der Bühne, zeigt mit dem Finger in die Menge und ruft ins Mikro: „Why do you carry that guy on your shoulders? Do you like the feeling of having a dick in your neck?“ Das sind die ersten Erinnerungen, die ich an NOFX habe. Damals war ich 16 und stand nur in der ersten Reihe, um mir meinen Spot für die Headliner des Abends zu sichern. NOFX kam für mich also völlig unerwartet und hat mich mit ihrem rauen Ton, ihren Gitarrenriffs und dem wilden Mix aus Punk und Ska völlig unerwartet mitgerissen. Vor elf Jahren habe ich sie zum ersten Mal live gesehen – letzten Sonntag im Kölner Tanzbrunnen wohl zum letzten Mal.
Nach über vierzig Jahren Punkrock-Geschichte soll dieses Jahr Schluss sein – die US-amerikanische Punkband NOFX rund um Frontmann Fat Mike geht Ende des Jahres in den wohlverdienten Ruhestand. Sie verschwinden aber nicht einfach so von der Bildfläche, sondern verabschieden sich mit einem Knall – „40 Years, 40 Cities, 40 Songs“, so lautet das Motto ihrer Abschluss-Tournee. Neben einem wilden Potpourri an Songs und ihrer gewohnt derben Attitüde haben die vier außerdem eine ganze Reihe an Support-Acts dabei.
Festival-Feeling am Tanzbrunnen
Los geht’s gegen 14:40 Uhr mit der ersten Vorband des Tages – Clowns. Noch ist auf dem Gelände am Tanzbrunnen nicht allzu viel los, davon lässt sich die Punkrock-Band aus Melbourne aber nicht aus der Ruhe bringen und liefert eine super Show zum Einstieg in den Konzert-Marathon, der vor uns liegt. Ein Blick übers Gelände: hier und da liegen Fans auf der Wiese, genießen die Sonnenstrahlen und starten entspannt in den Sonntag. Andere checken das gastronomische Angebot aus. Langos, Crêpes, und Bier für 5,70 Euro – das fühlt sich hier wirklich an wie ein richtiges Festival.
Auf Clowns folgen Negative Approach, The Last Gang und Scream. Langsam füllt sich das Gelände. Die fünfte Support-Band ist mein persönliches Highlight – Itchy kenne ich sonst eher von stickigen Release-Partys in kleinen Stuttgarter Szene-Kneipen. Umso mehr freue ich mich darüber, dass ich alte Itchy-Banger wie „Why Still Bother“ heute mal mit genug Luft zum Atmen und ausreichend Platz zum Tanzen erleben darf. Anschließend spielt mit Circle Jerks die letzte Vorband des Abends, bevor es dann endlich Zeit wird für die Main Character des Tages: NOFX.
Rund um die Bühne wird es jetzt richtig eng. Als Fast Mike, Eric Melvin, Erik Sandin und El Hefe schließlich tanzend die Bühne betreten, verwandelt sich die bisher gemächlich-ruhige Grundstimmung in ausgelassene Euphorie. „Anyone here born after 1985? Fuck you!“, dröhnt Fat Mike irgendwann hämisch von der Bühne. Damit trifft er einen Nerv. Der Altersschnitt des Publikums dürfte tatsächlich jenseits der 35 liegen. Bei über 40 Jahren Bandgeschichte ist das aber auch kaum verwunderlich. Im Gegenteil, das beweist nur, dass NOFX mit ihrer Musik eine ganze Generation geprägt und vermutlich die gesamte Punkrock-Geschichte maßgeblich mitgeschrieben haben. Dass dieses Kapitel tatsächlich enden soll, hat für mich einen bittersüßen Beigeschmack und macht mich gleich zu Beginn ein bisschen sentimental. Den Fans sagen, sie können einen mal kreuzweise, und damit Tränen der Rührung auslösen – das schafft auch nur NOFX.
NOFX provoziert mit Pöbeleien
Aber nicht nur ich als 1997er-Baujahr bekomme hier eins auf den Deckel. Die ganzen Kinder, die mit dicken Ohrschützern auf den Schultern ihrer Eltern das Konzert verfolgen, sind Fat Mike auch ins Auge gestochen. „If you bring your child to one of our shows, you’re a bad parent!”. Wenigstens bekommen hier jüngere und ältere Fans gleichermaßen ihr Fett weg. Das gehört ja auch zum Erfolgskonzept von NOFX. Laut, krawallig, kontrovers – dafür kennen und lieben wir sie, egal ob sie nun Mitte zwanzig oder Mitte fünfzig sind.
Zwischen all den Seitenhieben Richtung Publikum, finden sie aber auch die Zeit, uns einen bunten musikalischen Mix aus sämtlichen Jahrzehnten ihrer Diskografie zu liefern. Neben punkigeren Klassikern wie „Linoleum“ vom legendären Punk in Drublic-Album oder Ska-lastigeren Songs wie „Bob“ vom Album White Trash, Two Heebs and a Bean aus den 1990ern, haben es auch neuere Songs wie „I Love You More Than I Hate Me“ aus diesem Jahrzehnt auf die Setlist geschafft. Stellenweise werden sie dann kreativ, um ihr selbstgesetztes Ziel von 40 Songs zu erreichen: „Wanna know how we do it? We play eight songs in twelve minutes, that’s how.“
Ausgelassene Stimmung trotz Pipipause und schlechtem Wetter
Pünktlich zur Halbzeit zeigt sich dann aber, dass der Zahn der Zeit doch nicht spurlos an NOFX vorbeigegangen ist. Zeit für eine Pipipause. “Cause we’re old”. Parallel dazu regnet es immer mal wieder. Das hält die NOFX-Fans aber nicht davon ab, weiter steil zu gehen. Ganz reicht es heute zeitlich aber doch nicht für die 40 Songs, das nimmt ihnen aber vermutlich auch keiner übel. Und überhaupt, hat wirklich jemand damit gerechnet, dass man irgendwas, was NOFX sagt, für bare Münze nehmen kann?
Auch damit spielt Fat Mike noch. „How many of you think that we’re gonna come back in two years?”, fragt er das Publikum. Hier und da hört man ein eindeutiges “Whooo!”, was sich wohl frei als „Ja“ interpretieren lässt. „You’re a bunch of fucking nihilists”, kontert Fat Mike daraufhin. Im Oktober findet die allerletzte Show ihrer Karriere in ihrer Heimatstadt Los Angeles statt. Ob es danach je eine NOFX-Reunion geben wird, oder ob das Konzert im Tanzbrunnen tatsächlich das letzte Köln-Konzert ihrer Karriere war, wird die Zeit zeigen. Das Konzert letzten Sonntag wäre aber in jedem Fall ein würdiger Abschluss gewesen.
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Beitragsfoto: Gina Köhler
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