An aller Anfang steht ein Raunen, dann ein himmlischer Choral, es wummert. Eine Männerstimme skandiert: „Was mir immer noch zeigt, wir ändern uns.“ Drei Menschen treten an ihr Gerät. „Köln. Fjørt. Kaiserstadt.“ Dann: Dampfwalze und Kopfschmerz. Warme Farben, die durch kalt-blaue Flächen stoßen. Akkorde, in der Kreation eine Kunst, in der Brachialität tückisch, Nackenmuskeln zerreißend. „Schrot“ tauft sich diese Naturgewalt, einen Abend der Seelenreinigung einleitend.
Fjørt nennt sich die Band. Seit nunmehr zehn Jahren zimmert die Hallgitarren (federführend: Chris Hell), Zerrbass (Dirigent: David Frings) und Schlagwerk (Urheber: Frank Schophaus) im Aachener Proberaum so zusammen, dass waschechte Bretter entstehen. Ihr Ruf eilt den drei Männern voraus und so ist das Kölner Gloria Theater lange bevor ebenjene Zimmereien von Band an Publikum weitergereicht werden bis auf den letzten Zentimeter dicht. Einen Anlass gibt es selbstredend, im vergangenen Spätherbst nämlich landete „nichts“, das vierte Album der Gruppe, in Plattenspielern und Streamingdiensten. Verkündet damals, im August 2022, an selbiger Stelle als Fjørt sich in vier verschiedenen Clubs einmal quer durch ihre bisherigen Veröffentlichungen spielten.
„nichts“ jedoch steht ungewöhnlich wenig im Spotlight. Lediglich sechs der dreizehn Songs legt die Band auf das Parkett. Das träge Eröffnungsstück etwa spielt man gar nicht (man sehe von dessen Piano-Ausklang ab, der das Hauptset abschließt). Stattdessen konstruieren die Aachener ein nahezu 110-minütiges Set, das (nahezu) alle Phasen der Vergangenheit in eine erlebbare Gesamterfahrung vermengt: Vom stimmungsvollen Einklang über das Polit-Double „kolt“/„Paroli“ hin zum stürmischen Bis-Bald „Lebewohl“. Immer wieder ergänzen Fjørt ihre Kreationen – sie klingen fantastisch – währenddessen vorne, hinten und mittendrin, lassen Spannungen aufkommen, gönnen Ruhepausen, bedanken sich herzlich.
Beachtlich aus der Fassung gebracht erscheint die Band stellenweise. Zu laut dröhnt Zeile für Zeile aus den Kehlen der knapp 900 Menschen und zu erdrückend ist das Gepolter von Gliedmaßen und Stimmbändern zwischen den Stücken. Es ist zudem Tourabschluss und viele Freund*innen und Familie da. Vor wenigen Jahren noch, da standen Fjørt nicht weniger dankbar noch vor mehreren Handvoll Leuten in DIY-Schuppen wie dem einige Kilometer entfernten Club Scheiße, berichtet Frings. Er koppelt die Erzählung an die Aufforderung, öfter Konzerte kleinerer Musiker*innen in ebensolchen Läden zu besuchen, denn dort entstehe Subkultur. Einen kleinen Einblick hat die Band selbst im Gepäck. Shitney Beers nämlich spielt zur Eröffnung eine halbe Stunde melancholischen Songwriter-Indie, der so glasklar klingt wie Schmelzwasser und angenehm im Raum hallt. Ende des laufenden Monats tritt die Musiker*in selbst noch einmal in der Stadt auf, hoffentlich in einem ähnlich vollen Laden.
Zum Schluss stehen Hell, Frings und Schophaus Schulter an Schulter vor der Meute. Es tobt ohrenbetäubend. Mit jedem Atemzug scheinen die Drei diese Energie einzusaugen. Sie treten zusammen, verbeugen sich, der Pegel steigt noch einmal an. Dann treten sie hinter den Vorhang, Licht erhellt den Raum, Heisskalt ertönt – und Menschen strömen in die kalte Nacht hinaus.
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