Deutschen Filmen wird oft hinterhergesagt, sie hätten keine Qualität. Auf viele Produktionen mag das mit Sicherheit auch zutreffen, aber mal ehrlich: Auch Hollywood liefert nicht nur Sehenswertes. Den wirklichen Müll kriegen wir hier meist nur gar nicht erst zu sehen. Aber zugegeben, Filme aus Deutschland sind gern eher seichte Comedy mit Romantik-Anteilen. Das ist bei Fack Ju Göhte nicht viel anders und doch sticht der Megaerfolg ein wenig hervor.
Vor über neun Jahren kam der erste Teil der Trilogie in die Kinos und löste richtige Wellen aus. Selten waren dermaßen viele Charaktere in einem Film so klischeehaft, aber gleichzeitig auch sehr liebenswert. Die stark überspitzte Schulkomödie versammelte viele spielfreudige Darsteller*innen und lieferte kultige Sprüche im Minutentakt. Mit 7,4 Millionen Besucher*innen belegt Fack Ju Göhte Platz 5 der meistbesuchten deutschen Produktionen aller Zeiten, “Fack Ju Göhte 2” mit 7,7 Millionen gar Platz 4. Teil 3 lockte immerhin 6 Millionen in die Säle.
Daraus automatisch ein Musical zu formen, ist dennoch ein wenig riskant. Zwar gibt es bereits mehrere Beispiele dafür, dass Filmvorlagen gut in ein Musicalgewand passen – man denke nur an die ganzen Disney-Adaptionen oder auch an “Dirty Dancing“, “Ghost” und jüngst “Moulin Rouge” – aber hiermit handelt es sich ausnahmslos um internationale Filme sowie internationale Musicals. Fack Ju Göhte ist hingegen made in good ol’Germany.
Mit neun Monaten Spielzeit und weniger als 200 Aufführungen ist die im Januar 2018 in München gestartete Stage-Produktion eher ein mittelprächtiger Erfolg. Kein Flop, aber auch kein Hit. Trotzdem scheint man an die Vorlage zu glauben, sodass sich nun ShowSlot die Materie schnappen und sie neben vielen weiteren eher untypischen Stücken ins 2023-Rennen schicken. Mit 22 deutschsprachigen Städten in gerade einmal zwei Monaten scheint es hier nur ein Gas zu geben, nämlich Vollgas. Nach Österreich und der Schweiz fällt am 1.2., einem Mittwoch, der erste Vorhang in Deutschland – und zwar im immer schönen Capitol Theater in Düsseldorf.
Mit rund 75 Minuten im ersten und circa 70 Minuten im zweiten Akt ist Fack Ju Göhte – Das Musical – ursprünglich stilisiert als “Se Mjusicäl” betitelt, aber da konnte sich mit Sicherheit niemand die richtige Schreibweise merken – in der Länge leicht überdurchschnittlich und auch nochmal eine knappe halbe Stunde mehr Entertainment als der ursprüngliche Film. Kann ein derartig überdrehter Film überhaupt als Musical funktionieren? Wirkt es nicht unglaublich gestellt, wenn solch verschrobene Figuren auch noch singen?
Ganz und gar nicht. Überraschenderweise klappt Fack Ju Göhte – Das Musical sogar richtig, richtig gut. Die durchgeknallten Charaktere sind sowieso schon dermaßen karikaturistisch angelegt, dass Gesang ihren Szenen keinerlei Abbruch tut. Schwieriger ist eher der politische Aspekt: Schaut man Fack Ju Göhte nach fast zehn Jahren erneut, fällt auf, dass das Feingefühl für korrektes Verhalten, Achtsamkeit, Diversität und Rücksichtnahme doch ordentlich gewachsen ist und der Film heute nicht mehr ganz zeitgemäß wirkt, in manchen Punkten gar anstößt. Die Musicaladaption hat aber vielen Aspekten eine kleine Frischzellenkur verpasst. Im Kern ist zwar vieles gleich geblieben, hier und da wurden aber grenzwertige Gags gestrichen oder angepasst, eine queere Figur hinzugefügt, aktuelle Themen wie TikTok und Corona-Masken eingebaut und nur ganz, ganz selten ins “Oh, das sollte man 2023 auch in einem Bühnenstück nicht mehr so sagen”-Fettnäpfchen getreten. Der Humor ist treffsicher, äußerst schnell, sodass bei vielen guten Gags das Publikum manchmal gar nicht rechtzeitig zum Lachen kommt, hängt man gedanklich nämlich noch bei dem davor fest. Kultsätze wie “Chantal, heul leise!” werden selbstverständlich nicht vergessen – aber auch diejenigen, die den Film mitsprechen können, werden viele Male losprusten, sind doch locker genauso viele Jokes dabei, die man eben noch nicht kennt.
Die Story rund um den kriminellen Zeki Müller, der durch kuriose Zufälle Lehrer wird, ist fast 1:1 übernommen, womit man als Fan des Kinostreifens inhaltlich nicht enttäuscht wird. An wenigen Stellen wird in der Geschichte etwas weggelassen oder in Form gebracht, meist aber, um den Songs mehr Raum zu geben. Kommen wir damit doch gleich zu einem der wohl stärksten Faktoren, nämlich der Musik. Die rund 20 Songs sind weit entfernt von Broadway-Feeling und versprühen stattdessen Teenager-Flair. Genau so, wie es sich für ein Musical, das in der Schule spielt, auch gehört. Rap-Einlagen mit Trapbeats, Ohrwurm-lastige Popnummern, die im Chor zu glänzen beginnen, einige überraschend ballernde EDM-Momente und sogar ein kongenial eingebauter Bhangra mit Bollywood-Choreo hat es geschafft. Das ist sehr frisch, sehr lebendig und ein wahrer Pluspunkt.
Nicht weniger positiv erwähnenswert ist das für eine Tourproduktion, die an manchen Orten gerade einmal einen Tag verweilt, ziemlich aufwändige Bühnenbild mit unsagbar viel Requisite. Die Hauptkulisse sind Schulgänge, die durch Spinte dargestellt werden. Dass aber Klettergerüste auch Tunnelsysteme oder gar Schwimmbäder sein können, aus einem Schließfach plötzlich eine kitschige Wohnung wird und der grelle Graffiti-Look sowohl für Momente im Klassenraum aber auch für nächtliche Aktionen an Zügen äußerst gut funktioniert, ist alle paar Minuten aufs Neue ein Eye-Catcher. Das strotzt nur so vor kreativer Ideen. Nachhaltig im Kopf bleibende Szenen sind neben dem Schwimmunterricht die bereits erwähnte drogige Bollywood-Traumsequenz, Lichtspielereien beim “Sprayersong” und das berauschend-überdrehte Theaterspiel “Romeo und Julia”.
Der Film hatte eine perfekte Cast. An der kann sich die Musicaltruppe zwar nicht ganz messen, macht aber trotzdem einen soliden Job. Etwas problematisch sind die oft zu geringen Altersunterschiede zwischen denjenigen, die Lehrer*innen oder gar die Schulleiterin spielen, und jenen, die Schüler*innen darstellen. Das wirkt hin und wieder doch sehr unglaubwürdig. Absolut toll ist dafür die Energie des Ensembles, die die wahnsinnig powervollen Choreographien ausnahmslos stark und synchron präsentieren. Eben jene Kraft macht einen großen Teil der Unterhaltung aus, sodass über das nicht immer perfekte Schauspiel gern hinweggesehen werden kann. Silvio Römer durfte die Hauptrolle Zeki bereits in der München-Dernière spielen, macht das Ganze weniger böswillig als ein Elyas M’Barek und punktet eher mit seinem angenehmen Pop-Bariton. Ein starkes Gesamtpaket hingegen kommt von Veronika Hörmann als Lisi Schnabelstedt, die die tollpatschige Mauerblümchen-Lehrerin fantastisch verkörpert. Großes Highlight ist – ähnlich wie im Kino damals – die Besetzung der Chantal, die durch Jasmin Fihlon perfekt geglückt ist.
Viel berechtigtes Lob, denn Fack Ju Göhte – Das Musical ist doch um Längen besser, als man hätte erwarten können und macht wahnsinnig viel Spaß. Doch trotzdem gibt es einen recht schwerwiegenden Kritikpunkt: Der Sound ist wirklich miserabel. Die Musik kommt als Instrumentalversionen vom Band, was bedeutet, dass das Technikteam schonmal weitaus weniger zu tun hat als bei Livemusiker*innen, doch auch damit ist man offensichtlich maßlos überfordert. Gerade bei sämtlichen Chornummern sind die Texte, wenn der Beat nur etwas voluminöser wird, schwer bis gar nicht verständlich, viele Mikrofone werden zu spät oder bei manchen Dialogen auch mal gar nicht angeschaltet, im zweiten Akt sind mehrere raschelnde Geräusche von Kostümen hörbar. Hier ist einfach wenig Können durch die Verantwortlichen auch als Laie bemerkbar, was den Eindruck an vielen Stellen trübt und beim Zuschauen etwas verärgert. Unbedingt ausbessern! Des Weiteren sind Ticketpreise in den ersten Reihen für knapp 130€ bei Musik, die nicht live gespielt wird, auch mehr als happig und wenig nachvollziehbar, wird da doch bei anderen Musicals zum selben Preis nochmal anders aufgefahren.
Doch das ist am Ende natürlich eine subjektive Entscheidung, wie wichtig einem die Musikalität bei einem Musical ist. Stört es einen persönlich, wenn die Songs nicht live eingespielt werden und die gesanglichen Leistungen nur durchschnittlich sind? Dann ist Fack Ju Göhte – Das Musical nicht die richtige Wahl. Hat man stattdessen aber Lust auf ein Musical der anderen Art, mit dem womöglich auch die Anti-Musical-Gänger*innen copen können, ist man Fan des Films oder zumindest des derben, direkten Humors und hat Bock auf farbenfrohe Kulissen, catchy Songs und Choreos, ist die Tourproduktion des Sensationserfolgs aus 2013 eine Empfehlung.
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Bild von Christopher
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