Es ist ein düsterer Wintertag in der Domstadt. Ab und an erbarmen sich die Wolken und schicken unangenehmen Nieselregen gen Erdboden. Ansonsten verhindern sie vorrangig, dass sich die Sonne ihren Weg zu den Erdbewohnern bahnen kann. Die Menschen auf den Straßen hetzen so schnell wie möglich ihren Zielen entgegen, um sich bloß nicht zu lange der bedrückenden Stimmung auszusetzen. Ob der erhabene Graf, der heute in der Stadt am Rhein eingekehrt ist, seine Finger bei der Erschaffung dieser Trauerkulisse im Spiel hatte, kann nur spekuliert werden. Anzunehmen ist es. Grim104 lädt heute unter die Gleise der Ehrenfelder Bahnstrecken für das Auftaktkonzert seiner ersten Solo-Tour in die berüchtigtste Rap-Röhre Deutschlands: Den Clubbahnhof Ehrenfeld.
Schaurige Missgeschicke
Achtung, Stimmungsbruch: Schaurig sind zu Beginn leider nur die vielen Missgeschicke, die Grim104 unterlaufen. Die ersten zwanzig Minuten des gut anderthalbstündigen Konzertes verlaufen nämlich durchaus holprig. Das fängt schon bei seinem ersten Einsatz an, den der Wahl-Berliner verhaut. Die folgenden Minuten wird noch so manch anderer folgen. Das reicht weiter über die Texthänger, die der Rapper mehr oder weniger elegant mit „Blablablas“ füllt. Das Outro von „Geist“ möchte Grim zudem auf einem Sample-Pad begleiten, das extra die gesamte Show lang auf einem Hocker in der rechten Bühnenecke thront. Natürlich ist das Ding falsch eingestellt. Scheinbar spukt dem Zugezogen Maskulin-Rapper gerade beim Tourstart ein Geist dazwischen. Grim104 lässt sich jedoch nicht beirren und holt sich prompt die Unterstützung seiner Fans, die zahlreich erschienen sind und vertreibt mit Hip-Hop-Händen zu „Dreck Scheiße Pisse“ die bösen Dämonen. Ab da geht es dann nur noch bergauf.
Für „Sternstunden Der Bedeutungslosigkeit“ möchte Zauberer Grim seine Anhänger prompt in im Wind zuckelnde Weiden verwandeln. Die wehren sich jedoch und tanzen zum Trotz wilden Pogo. Der artet schlussendlich im epischen „Graf Grim“, den der Comte selbstverständlich in wehendem Umhang performt, komplett aus. Setzt das Solo-Material Grims doch zumeist auf eher gelassenere Kopf-Nicker-Beats, so kommt hier kurz die Euphorie auf, die bei den Konzerten seiner Hauptband herrscht. Was beide Projekte verbindet ist die einnehmende Präsenz Grim104s, der gewohnt provokante Ansagen raushaut und wie ein besessener tanzt während DJ Kenji451 die Decks verhext.
Schaurige Stimmung
Eindringlich und bedrohlich wird die Atmosphäre immer dann, wenn Grim Songs seiner aktuellen Grusel-EP „Das Grauen, Das Grauen“ spielt. So schneiden für „Unter Der Stadt“ die von Produzent Blvth fein arrangierten Bässe durch den Saal und verwandeln den Raum unter den Schienen der Regionalbahnen prompt in ein dystopisches Untergrund-Szenario. In „Abel ’19“ schildert der 31-Jährige dahingegen wenig später eindringlich wie er von einem Fremden in einer Kneipenschlägerei zu Tode geprügelt wird und verschwindet dabei zunehmend in Nebel und rötlichem Licht. Es folgt das instrumentale „This Great Evil“, für das Grim104 angespannt und stockstarr am Mikrofon-Ständer verharrt. Der ganze Grusel-Effekt wird dadurch nur noch mehr verstärkt. Leider vergehen solche Momente zumeist fix, da man nahezu ausnahmslos zwischen neu und alt springt. Wenn zur frühen Stund’ gegen kurz vor zehn dann aber hunderte Menschen wieder aus den Gängen unter den Gleisen hervorkriechen und in die düstere Nacht schleichen, dann sind sie zumindest einen kleinen Grusel-Ausflug reicher. Das ist ja schonmal was.
Und so hört sich das an:
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Grim104 live 2020:
10.01.2020 – Leipzig, UT Connewitz
11.01.2020 – Wien, Flex
12.01.2020 – Nürnberg, Desi
Foto von Yvonne.
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