Mit Jason Bartsch beginnt die Pandemie. Mit Jason Bartsch hört sie wieder auf. Naja, so halb. Inzidenzwerte sagen was anderes, aber gefühlt ist der Optimismus, die wirklich harten Coronazeiten endlich hinter sich lassen zu können, so stark im Raum wie nie. Als Jason seine letzte Tour Anfang 2020 spielte, war nicht zu ahnen, was nur wenige Wochen später passiert. Er war einer der letzten Acts, die spielten – und ist nun einer der ersten, die es wieder tun.
Kleinkarierte Erbsenzähler*innen werden nun kontern und sagen, dass es doch fast immer irgendwie Konzerte gab, wenn nicht gerade Lockdown war. Und ja, das stimmt sogar. Besonders diverse Open-Air-Formate haben die letzten zwei Sommer erträglicher gemacht – allerdings sind besonders die kleinen Indie-Künstler*innen dabei gern vergessen worden. Ein Konzert, bei dem man in der geliebten Halle umme Ecke stand und unbeschwert auf der Stelle tanzte, ist in den hintersten Ecken des Gehirns eine gespeicherte Erinnerung. Doch genau diese Erinnerung wird am 9.3., einem Mittwoch, im Dortmunder FZW aufgefrischt und erneuert.
Das Poetry-Slam-Wortakrobatik-Urgestein Bartsch aus der Neighborhood Bochum hatte zwar keine weite Anreise, aber offensichtlich lang genug Zeit, um sämtliche Energie zu horten, griffbereit zu präparieren und 115 Minuten lang so viel Mitgefühl, Dankbarkeit, Humor und Unperfektheit zu verteilen, dass es anhalten wird. Egal, was in den nächsten Wochen passiert. Jason hat so Bock und erzählt mit glänzendem Stolz, dass er als erster im FZW nach Ewigkeiten wieder live zeigen darf, was ein jedes menschliche Wesen im Raum sehr vermisst zu haben scheint. Für ihn selbst ist es der zweite Gig der Die Zeit der sachlichen Distanz ist vorbei-Tour.
Zwar bleibt der Support zumindest in Dortmund aus, dafür geht es mit einer überschaubaren Verspätung von zehn Minuten relativ pünktlich los. Jason hat natürlich auch seine beiden Buddys Garbor am Bass und Malte an den Drums dabei, die ebenso fast zwei Stunden lang ein Grinsen auf den Lippen tragen. Jason erzählt, dass die freie Zeit dafür genutzt wurde, um einerseits zwar wieder an die Uni zu gehen, andererseits aber auch viele neue Songs zu schreiben. Das positivste Merkmal: Die Drei haben musikalisch ganz schön einen draufgesetzt.
War 2020 die Musik bereits catchy und zum laut Auflachen, ist sie nun auch technisch nochmal avancierter. Die Band hat geübt, Jason auch. Dass er immer mehr seine andere Seite als Poetry-Slamer von der als Musiker trennt, ist daran zu erkennen, dass er dieses Mal keinen reinen Text vorträgt, sondern eben alles in Tönen verpackt hat.
Eröffnet wird mutig mit seinem meistgeklicktesten Song “Son of Anarchy”. Den Underground-Hit quasi gleich als erstes, dann hat man den schonmal weg. Der wird dazu noch wesentlich groovender instrumentiert und hat eine kleine Frischzellenkur durch. Ist eben 2022 und nicht 2017. Ansonsten setzt sich das umfangreiche Programm aus rund dem halben “4478 Bochum”-Album, zweidrittel von “Eine Idee für das Klappen aller Dinge” und mehr als einer Hand voll neuer Titel zusammen, die dringend auf eine neue LP gepresst werden müssen.
Jason Bartsch ist das exakte Gegenteil von dem, was die Deutsch-Pop-Szene in den Charts repräsentiert. Jason Bartsch bietet ausnahmslos klug geschriebene Texte, die nicht auf jede xyz-Situation von xyz-Leuten zutreffen, ist mal politisch, mal herrlich surreal, mal albern und mal fast schon erdrückend schwermütig. Lauscht man seinen Titeln “Aber dann” und “Lied von der Angst” verschwimmen Künstlerfigur und Privatperson. Zum Ende hin sagt er, dass wenn er so viel rede wie heute, dies stets ein sehr positives Zeichen sei. Wenn Introvertierte zu Extrovertierten werden und für einen Moment dabei viel mehr aufnehmen als geben müssen. Das ist schön anzusehen.
Zwar lässt er seinen sensationell guten Ohrwurm “Wütende RentnerInnen” zuhause, dafür sind jedoch neue Ideen wie “Inspektor Naidoo”, “St. Martin” und “Besuch bei der alten Dame” eben das, was man nach zwei kompletten Runden Kalenderseiten abreißen braucht. Songs, bei denen man auch nicht spoilern sollte, was sich dahinter verbirgt. Somit heißt es: Warten bis zum Release!
Wie eh und je interagiert der 27-jährige Sympathieträger mit großen Gesten mit dem Publikum, reagiert auf Zwischenrufe in Sekundenschnelle und entwickelt mit der Band, der Crowd und seinem eigenen Anteil eine wunderbare Dynamik. Bei seinem Rauswurf “Es bleibt schwer” vergisst er den kompletten Text, kommt nach mehrmaligem Ansätzen immer noch nicht rein. Grund dafür, ist das Überwältigt-Sein, endlich wieder da sein zu können, wo man am liebsten arbeitet. Am Ende fahren hier alle sehr zufrieden nach Hause. Die, die nichts erwartet haben, wurden überrascht. Die, die wussten, was sie kriegen würden, bekamen 100 Prozent das, was sie wollten.
Und so hört sich das an:
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Foto von Christopher Filipecki.
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