Jeanette Biedermann, FZW Dortmund, 28.01.2020

„Alles kommt wieder, wieder und wieder…“ besingt Jeanette Biedermann in einer ihrer zuletzt erschienenen Singles „In den 90ern“. Dabei handelt es sich nicht um ein Relikt aus ihrer 2000er-Hochzeit, sondern tatsächlich um einen neu geschrieben Song, der sich auf DNA befindet, ihrem ersten Soloalbum seit 2009. Was aus der 1,52m großen Berlinerin geworden ist, zeigt die aktuell stattfindende, begleitende Tour, bestehend aus 15 Gigs.

Der siebte Auftritt findet im Dortmunder FZW statt. Als Teeniestar schaffte es die Ex-„GZSZ“- und „Anna und die Liebe“-Darstellerin locker Hallen mit mehreren tausenden von Zuschauern vollzumachen. Das ist natürlich nach einer so langen Pause und einem Imagewandel ein wenig anders. Die „deutsche Britney Spears“, wie sie gern bezeichnet wurde, hat sich nach ihrer Entscheidung, dem Chart-Pop den Rücken zu kehren, einerseits auf Schauspiel im Theater konzentriert, andererseits aber unter dem Projekt Ewig mit Freunden deutsche Musik gemacht. Trotz des durchwachsenen Erfolgs von einer einzigen Single auf Platz 100 und nur zwei Alben mit je einer Woche in der Top 50 scheint ihr diese Form weiterhin am Herzen zu liegen. Da sich deutschsprachige Musik seit einem Jahrzehnt so gut verkauft wie in den 80ern, ist es also naheliegend, genau diesen Weg erneut einzuschlagen und weiterzugehen.

Die 23 Songs umfassende Setlist bietet zwei komplette Stunden Programm. Da schlägt das Fanherz besonders laut. Wer ihr in ihrer 20-jährigen Karriere gefolgt ist, war ihr wohl selten so nah. Die Bühne ist der Location entsprechend eher klein, Showelemente fallen bis auf Scheinwerfer und einer B-Stage – die wirklich ungewöhnlich für solch ein eher überschaubares Konzert ist – weg. Doch Jeanette möchte ihren treu gebliebenen Anhängern noch näher kommen. Sie geht direkt durchs Publikum, lässt dabei auch kurze Selfies zu und bedankt sich gefühlt zehn Mal, dass alle noch am Start sind und mit ihr mitgehen, woimmer sie hinwill.

Genau da liegt aber ein wenig das Problem. Schaut man sich in der Crowd um, handelt es sich mit großer Sicherheit um Leute, die die Künstlerin auch schon in den 2000ern gut fanden. Logisch. Allerdings ist der Imagewandel, der zumindest auf musikalischer Ebene passiert, doch etwas größer. Gab es damals Top 20-Hits am Stück mit einer reißerischen Hook nach der nächsten und einfach sehr eingängigem Pop/Rock, hat Jeanette nun mehr erlebt, mehr Schicksalsschläge einstecken müssen und demnach auch viel Persönliches zu erzählen. Unglücklicherweise gelingt das jedoch nur bedingt. Zwar gibt bereits der Albumtitel DNA die Richtung vor, dass es hier auf den elementaren Kern zusteuert, am Ende passiert das aber doch nur oberflächlich.

Die Künstlerin gibt sich unglaubliche Mühe, dieser Show und allen Beteiligten zu würdigen. Sie möchte es so sehr. Gesanglich ist Jeanette auch mit fast 40 noch gut dabei, vergeigt auch in den hohen Lagen keinen Ton. Trotzdem klingt sie etwas heiser und kratzig. Zwischenzeitlich greift sie zu einem zweiten Mikro, das an einem Voice Changer angeschlossen ist und brüllt mit viel Hall mal so richtig los. Optisch gibt es gleich drei Outfits – ja, sie hat sich tatsächlich mehrfach umgezogen – zu betrachten, die ihr auch zu ihren Anfangszeiten gestanden hätten: Lederminirock, Jeansjacke, enge Hosen, trendy Shirts. Selbst bei der vierköpfigen Band und beim gut abgemischten Ton gibt es nichts zu beanstanden.

Und trotzdem springt der Funke nicht über. Der Applaus ist stets höflich und dennoch verhalten. Sogar die Ultras, die wie damals Plakate gebastelt haben und alte Fotos mit Jeanette hochhalten, reißen die Stimmung nicht nach oben. Mit drei englischsprachigen Klassikern (“Rock My Life”, “Run With Me”, “We’ve Got Tonight”) wird auch zu wenig retrospektiv gearbeitet. Da wären noch unzählige Favorites mehr drin gewesen. Stattdessen spielt sie fast das komplette aktuelle Album, einige Titel aus der TV-Serie “Sing meinen Song”, in der sie letztes Jahr mitwirkte und Lieder aus der kurzlebigen Zeit mit Ewig. Sowohl vom Sound als auch vom Inhalt der Texte ist die Varianz zu knapp gehalten, sodass bereits auf der Hälfte der Show leider etwas eintritt, was man am wenigsten möchte: Langeweile.

Nichts ist wirklich schlecht vorgetragen, nur eben zu beliebig. Das Alleinstellungsmerkmal, das Jeanette zu ihrer damaligen Zeit besaß, einfach sehr straighten Teenie-haften Charts-Pop zu machen, ist weg. Zwar klingt die Musik immer noch nach Charts, haben aber eben keinen Wiedererkennungswert mehr. Höhepunkte gibt es dann, wenn es nicht das typische “Du schaffst das”- und “Wir zwei sind so toll zusammen”-Schema gibt, sondern echte Geschichten erzählt werden. “Deine Geschichten”, als Hommage an ihren verstorbenen Vater, ist mit großem Abstand der intensivste Moment des Auftritts. Auch die Single “Wie ein offenes Buch” kann sich hören lassen.

Am Ende bleibt aber doch zu wenig Farbe in der doch so bunten Welt der Frau Biedermann. Statt Akzente zu setzen, ist sie nun etwas zu spät dran, um diese Form der Musik zu präsentieren. Ihre Vorband apropos auch. Marcel Brell hat in Münster Musik studiert und dort Jeanette 2004 auf einem Konzert gesehen. Umso stolzer ist er, dass er nun ihr Support sein darf. Er sorgt für lustige und ironische Anmoderationen, die einen zum Lachen bringen und fängt die Künstlerin während ihres Auftritts mit seiner Fotokamera ein. Nur seine Songs klingen wie eine noch unangenehmere Kopie von Philipp Poisel. Wenn Jeanette schon von “damals in den 90ern” singt, wäre es doch zu wünschen, diese Momente nicht nahezu auszuklammern, sondern selbstironisch zu verpacken, sich nicht so ernst zu nehmen und für Nostalgie zu sorgen. Oder eben neue Momente zu kreieren, was jedoch nur vereinzelt vorkommt, sodass vieles ein wenig berührungslos an einem vorhuscht.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher.

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