Es weihnachtet sehr. Naja, so mehr oder weniger. Regulär befinden wir uns in der Woche vor dem großen Feste alle in einem stressigen Endspurt. Schnell noch ein paar Geschenke kaufen, die letzten Weihnachtsfeiern abarbeiten, mit Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt anstoßen, eventuell ein Musical/Konzert/Theater besuchen und probieren zwischendrin mal durchzuatmen. 2020 sieht das bekanntlich etwas anders aus, denn seit Mittwoch ist landesweiter Lockdown und de facto stehen wenige bis gar keine Termine mehr an. Nicht mal der Besuch beim Friseur. In genau diesem Moment streut Katie Melua eine Prise Besinnlichkeit in die Wohnzimmer.
Vor wenigen Wochen berichteten wir über ihre neuste LP Album No.8 und durften mit ihr ein Interview führen. Nun, genau eine Woche vor Heiligabend, gibt es die erste Liveperformance ihres Albums. Besser gesagt: so eine halbe Liveperformance. Auf einer Bühne aufzutreten, vor der niemand als Zuschauer*in steht, macht wenig Sinn. Deswegen entscheidet sich auch die 36-jährige Londonerin mit den georgischen Wurzeln dazu, einen Stream für ihre Fanschar anzubieten. Aufgenommen in dem sehr schicken Rivoli Ballroom – eine der ältesten Clublocations der englischen Hauptstadt.
Streamingkonzerte sind absolut im Kommen und gleichzeitig noch ein Pilotprojekt. Geht man auf ein Konzert, ist klar, dass man sich in eine bestimmte Halle begibt, in der eine Bühne aufgebaut ist, auf der dann das Spektakel passiert. Das ist bei einem Streamingkonzert komplett anders. Filmt man es bei den Künstler*innen zuhause? In einem Tonstudio? Fährt man an einen schönen Open Air-Fleck oder doch eher in eine Bar bzw. einen Club? Darüber hinaus ist natürlich auch der Aufwand des Settings eine kleine Wundertüte. Manche Streamingkonzerte gleichen einem Musikvideo, andere eher einer improvisierten Akustiksession. Und zu guter Letzt: was ist überhaupt an dem Gig live?
Katie Melua bleibt ihrem Stil treu. Das am 17.12.2020 zur Primetime übertragene Konzert ist mit der ausgewählten, vorwiegend in Rottönen eingerichteten Lokalität schonmal optisch stilvoll gehalten. Katie sieht selbstverständlich dem Anlass entsprechend toll gekleidet aus und – das überrascht – wechselt sogar zweimal im Laufe der 65-minütigen Show ihr Outfit. Außergewöhnlich. Leider ist auch dieser Stream nicht in dem Moment gefilmt, in dem er übertragen wird, sondern vorab aufgezeichnet. Das scheint zum Standard zu werden. Was dafür aber untypisch, jedoch sehr löblich ist: der Stream ist ein One-Take. Zumindest wirkt es so. Die 65 Minuten laufen tatsächlich durch. Es gibt zwar Kameraschnitte, aber wenige. Der Stil des Filmens ist eher ruhig gehalten, häufig sehen die Zuschauer*innen fast eine ganze Minute ohne Cut. In den Pausen zwischen den Tracks gibt es mehrere Momente der Stille und des Umbaus. Eben wie bei einem richtigen Konzert. Authentisch und toll!
In der etwas mehr als einstündigen Show spielt Katie das gesamte, wenn auch nicht ganz chronologisch sortierte Album No.8 ergänzt durch vier Klassiker („The Closest Thing To Crazy“, „Belfast“, „Nine Million Bicycles“, „Wonderful Life“). Für ein Konzert dieser Länge also ein angenehmes Paket mit ziemlich genau dem, was man erwartet. Bei einer normalen Show würde man den einen oder anderen Hit vermissen, aber hier ist das absolut in Ordnung so. Das Konzert bleibt bis auf wenige Momente sehr ruhig und reduziert. Das hat zwar auf der Couch daheim nicht den gleichen hypnotisierenden Effekt wie in einer Konzerthalle mit schönem Klang, aber dafür macht es in jener merkwürdigen Vorweihnachtszeit ein wenig melancholisch. Ganz besonders die bereits erwähnten Kamerafahrten, die fast schon in Slow-Motion funktionieren und bis an die Decke des Clubs und um die Sängerin herumfahren, tragen positiv zur Atmosphäre bei.
Bei den Arrangements wird zwischen einer vollen, fünfköpfigen Bandbesetzung und reduzierteren Instrumentierungen geswitcht. Beispielsweise spielt Katie „The Closest Thing To Crazy“ solo auf einer Gitarre, was auf Anhieb verzaubert. Auch bei „Belfast“ sind es lediglich sie und ihr Gitarrist. Zu dem Albumtrack „Heading Home“ singt sie ausschließlich zu den Tönen ihres Pianisten. Auch keinesfalls normal für ein Streamingkonzert: Katie stellt ihre Band vor und hält zwischendrin kurze, würdigende Ansprachen an die Fans. All das kommt einem Katie Melua-Livegig nah. Es ersetzt ihn keinesfalls, aber es erinnert daran, warum man ansonsten Tickets für ein Erlebnis in einer Halle kauft. Musikalische Höhepunkte sind neben den genannten reduzierten Stücken vor allen das immer wieder beflügelnde „Wonderful Life“-Cover und ihr fordernder Albumtitel „English Manner“, welcher auch nach mehrfachem Hören noch Überraschungen zum Entdecken bereithält. Dass ihr Gesang hervorragend klingt, braucht eigentlich gar nicht mehr erwähnt werden.
Negativ: wer an dem Donnerstagabend keine Zeit hat, hat Pech gehabt. Der Stream läuft nur einmalig. Auch da gibt es schon andere Künstler*innen, die ihren Ticketkäufer*innen ermöglichen, den Stream nachträglich für mehrere Tage anzuschauen oder das Anschauen sogar wiederholen zu können. Sieht man von diesem organisatorischen Manko ab, ist Katie Meluas erstes Streamingkonzert jedoch eine angenehme Stunde voller hübscher, musikalischer Momente, die man mit einem weinenden und einem lachenden Auge verbringt. 2021 sehen wir sie dann eben wieder in Präsenz. Ganz bestimmt.
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