Kim Petras, Palladium Köln, 27.02.2024

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Manifestiere dir, was du willst. Also: Was du wirklich willst. So richtig sehr. Dann tu einfach so, als hättest du es bereits erreicht und früher oder später wird es genau so eintreffen. Wie viel man sich tatsächlich beim Universum bestellen kann, ist wohl eine Frage des Glaubens. Dennoch gibt es einige Beweise dafür, dass Wünsche wahrwerden können. Ein ziemlich gutes Beispiel dafür, dass die Grenzen nur in deinem Kopf sind, ist Kim Petras.

Im August 1992 kommt Tim in Bonn zur Welt. Tim spielt mit Puppen, zieht Mädchenkleidung seiner älteren Schwestern an und fühlt sich dabei richtig wohl. Schon mit fünf Jahren weiß Tim, dass er eigentlich ein Mädchen ist und fortan auch so leben möchte. Da Tims Mutter bereits mit Transmenschen im Kontakt steht, reagiert diese sehr verständnisvoll. Mit elf Jahren wird seitens eines Mediziners bestätigt, dass es keinerlei Zweifel gibt. Ein Jahr später nimmt das Kind schon Hormone, um die Entwicklung zum Mann zu stoppen und anschließend die zur Frau einzuleiten. Parallel dazu durchlebt Tim, der sich fortan Kim nennt, Mobbing in der Schule. Suizidgedanken kommen auf. Sie flüchtet in die Popmusik, lernt früh die englische Sprache und schreibt erste Songs. Im Alter von 13 wird die Transformation von Stern TV begleitet. Mit 16 lässt Kim als jüngste Person weltweit geschlechtsanpassende Operationen durchführen.

Mit Sicherheit macht das sehr empathische Verhalten seitens der Eltern einen großen Teil aus, aber eben auch das schon in jungen Jahren stark ausgebildete Selbstbewusstsein Kim Petras. Zu wissen, dass das, was man möchte, richtig ist und die Meinung anderer zweitrangig. Dass es wichtig ist, auf das eigene Gefühl zu vertrauen. Somit zieht die Künstlerin im Alter von 19 Jahren die zweite logische Konsequenz, nämlich nach Los Angeles zu gehen, um dort als Songwriterin und Sängerin zu arbeiten, und zwar ohne Geld und ohne jemanden zu kennen. Aber eben mit der Gewissheit, Talent zu haben, und das irgendwie zu wuppen.

Am 27.2.24, einem Dienstag, steht Kim erstmalig in Köln, ihrer alten Heimat, wohnte sie dort schließlich auch eine ganze Zeit, vor ausverkauftem Haus. Das Palladium lässt kurz vorm Start des Gigs verlauten, dass alle Tickets weg sind. 4000, um genau zu sein. Das Publikum ist genauso eigenwillig, wie die Künstlerin selbst. Zwar ist der Großteil der Fans männlich gelesen, aber modische Einschränkungen gibt es hier wirklich nur eine: Man muss halt eben was anziehen. Ansonsten sind die Mischungen aus allen möglichen Stilen und allen möglichen Kleidungsstücken spannend. Quasi der erste, kleine CSD 2024 in der Domstadt. Come as you are.

Doch bevor man das Rolemodel zu Gesicht bekommt, braucht es gute Nerven. Zwischen dem gewöhnlichen Palladium-Einlass um 18:30 Uhr und dem Beginn der Feed The Beast-Show um 21:13 Uhr erwarten einen gleich drei (!) Support-Acts. Findet man das gut? Ansichtssache. Die einen freuen sich, weil sie fürs Geld mehr geboten bekommen, die anderen verdrehen die Augen, weil das, was vorab passiert, ja nicht unbedingt das ist, wofür man Geld bezahlt hätte.

Ganz schlimm und wirklich nah an Vollkatastrophe ist das Opening durch Baby B3ns, die ab 19:30 Uhr für eine gute Viertelstunde auf die Bühne darf. So eine unkoordinierte, schrömmelige Show sieht man selten. Auf der einen Seite startet sie an den Turntables diverse Songs, die eigentlich kaum zu unterscheiden sind, einige Sekunden später hüpft auf der anderen Seite sie wirr über die Bühne zum Vollplayback. Musikalisch irgendwo zwischen Blümchen und Die Antwoord wird es in Lichtgeschwindigkeit so nervig, dass eine Viertelstunde sich plötzlich anfühlt wie vier ganze. Das Lowlight wird erreicht, wenn sie trotz unzähliger Verfremdungseffekte auf dem Mikro probiert ein A-cappella-Intro zu singen, es aber nach einigen Zeilen abbricht, weil sie es selbst so schief und schlimm findet. Zweiter Versuch, selbes Debakel, aber Vollplayback „rettet“ es schließlich. Peinlich.

Solide ist hingegen Georgia, die in ihrer Heimat London bereits seit 2015 Musik veröffentlicht. An ihren Percussion und Drumsets erinnert sie für 20 Minuten ab 20 Uhr im Sound ein wenig an Florence + The Machine. Das ist nicht schlecht und zunächst auch ein ganz okayer Support, nutzt sich aber auch etwas zu schnell ab und wirkt leider im Stil heute etwas deplatziert.

Doch die eingeschlagene Richtung gen besserer Qualität wird fortgesetzt, indem um 20:30 Uhr Alex Chapman ran darf. Mal ehrlich: Warum können wir nicht nur den in Chicago aufgewachsenen DJ bekommen? Reicht völlig. 35 Minuten ballert er eine queere Hymne nach der nächsten und macht mit Hits von Britney, Ariane, Nicki, Paris Hilton, den Spice Girls und many more echte Gay-Disco-Laune. Geht doch. Dazwischen zwei, drei Hits, an denen er selbst mitgeschrieben hat und fertig ist die gute Stimmung.

Geschafft. Sind einige Akkus schon aufgebraucht, werden alle restlichen Reserven mobilisiert, um Kim Petras bei ihrem Homecoming gebührend zu feiern, gab es schließlich die letzte große Performance hier im Februar 2020, also vor Corona – und vor dem Gewinn eines Grammys. Ja, man glaubt es kaum, eine deutsche Transfrau aus NRW gewinnt dank ihrer Kollaboration mit Sam Smith in „Unholy“ den begehrtesten Musikpreis der Welt. Wie gesagt, Manifestation, wir hatten es schon. Da spielt es keine große Rolle, wenn ansonsten das mit dem Erfolg nur so semi geklappt hat. Zwar ist Kim eine Szenegröße und in der Bubble ziemlich bekannt, darüber hinaus hat’s aber nicht so funktioniert. Weder in den USA noch bei uns gab es neben „Unholy“ einen wirklichen Hit, lediglich die Coverversion zu „Better Off Alone“, nämlich „Alone“ hat in Ordnung performt, aber auch mehr, weil Nicki Minaj an ihrer Seite steht. Als Einzelgängerin sind weder die Single- noch die Albumcharts ihr Ding.

Und das kann man an dieser Stelle gleich vorwegnehmen: Die Musik von Kim Petras ist das größte Manko an dem 85-minütigen Konzert. Die ist nämlich ziemlich oft etwas konturenlos, irgendwie so, wie eben Pop-Stars in den 2020ern klingen, etwas richtig Eigenes sucht man vergebens. Über „ganz nett“ kommt man nicht wirklich hinaus.

Doch Konzerte sind eben mehr als nur Songkompositionen. Stattdessen punktet Kim in Sachen Performance auf vollster Linie. Da gibt es sehr wenig zu meckern. Für einen Ticketpreis von unter 50 Euro ist die Show wirklich extrem aufwändig gestaltet und noch viel besser ausgearbeitet. Auf einer großen dreiteiligen Leinwand laufen zu jedem Song individuelle Visuals, die mal romantische, mal kitschige, mal digitale und dann wiederum ziemlich erotische Inhalte zeigen. Dazu warten viele Spots auf und über der Bühne, Nebel sowie eine ganze Riege an Requisiten auf ihre Einsätze. Kim tritt neben zwei Tänzerinnen auf und macht einen wirklich perfekt vorbereiteten Eindruck. Der gesamte Gig ist durchchoreografiert und super im Timing, sodass Videos und Bühnenaktion immer übereinander passen. Auf eine Band muss verzichtet werden, aber wie bereits erwähnt, ist die Musik das eher untergeordnete Element.

Stattdessen performt die 31-jährige Künstlerin, wie man es von Madonna aus den 90s kennt. Mehrere Elemente erinnern an die einstige Queen of Pop. Aber auch Lady Gaga zu „The Fame“-Zeiten blitzt immer mal wieder durch. Kein Wunder also, dass die queere Community richtig steil geht. Ein Stuhltanz auf einem beweglichen Laufband, Peitschen, eine meterlange künstliche Zigarette in der passenden Zigarettenspitze und so vieles mehr bilden ein immer neues Erlebnis fürs Auge. Das unterhält echt richtig gut.

Auch in der Konzertklimax hat man sich was gedacht, ist die Show in vier Segmente plus Zugaben unterteilt. Die ersten drei orientieren sich an die letzten drei EP- bzw. LP-Releases, der vierte ist ein Best of, größtenteils aus Veröffentlichungen aus der Zeit davor. Dazwischen gibt es selbstverständlich Kostümwechsel. Besonders hervorstechend ist der Part, der sich um ihre „Slut Pop“-Songs dreht, ein doch sehr gewagtes, aber auch konsequentes Konzept, dreht sich tatsächlich jeder Titel um Sex im direktesten und dreckigsten Sinne. Kein Slut- oder Kink-Shaming, lediglich eine Beobachtung. Und genau dieser Teil des Konzerts stellt dank der wummernden Hyper-Pop-Beats, komisch-skurril-versexten Videos und anrüchigen Choreos einfach gutes Entertainment dar.

Im direkten Kontakt mit der Crowd ist Kim eher zurückhaltend. Es dauert sehr lange, bis es überhaupt eine Ansprache gibt, zum Ende hin bedankt sie sich aber doch für ihr allererstes „Sold out“ in ihrer Heimat und möchte alle nochmal ermutigen, an Träume zu glauben und sie zu verfolgen. Leider wirken ihre Worte aber etwas überdreht und etwas zu auswendiggelernt Ami-like. So springt zumindest der Nähe-Funken nicht über, tut er aber bei Madonna ja auch nie. Gesanglich ist Kim übrigens an einigen Stellen richtig gut und liefert hohe, treffsichere Töne. Allerdings sind die Backings oft so laut, dass ihre eigene Stimme manchmal ganz schön untergeht oder nur wie schrille Pfeiftöne klingt. Da kann man in den nächsten Jahren bestimmt nochmal ausbessern und zumindest auch einen mehr auf die Vocals reduzierten Block einbauen.

In den Zugaben überrascht das It-Girl mit einem neuen Song, der erstmalig auf Deutsch ist. „Ein Tausend Teile“ sollte jedoch besser die Ausnahme bleiben, wirkt es ein wenig sehr trashy und mehr wie Katja Krasavice als wie Megastars aus Übersee. Ausprobieren ist aber natürlich völlig fein. Nach fast anderthalb Stunden vollem Körpereinsatz, fast nur hohen Bpm-Zahlen und herrlich campen Overacting geht das Licht an. Auch wenn es Kim Petras bisher nicht in die musikalische Liga geschafft hat, in die sie wahrscheinlich wollte, hat sie doch verdammt viel geschafft. Die Person, die kaputt gehatet wurde, ihre Kindheit in Uckerath weit hinter sich gelassen und die ganzen schlimmen Menschen von damals nicht überholt, sondern 40-fach überrundet hat. Außerhalb der Komfort- beginnt die Lernzone. Das sollten einige spätestens jetzt endgültig begriffen haben. Selbst wenn nicht – dein Problem.

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Foto von Christopher

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