46 Jahre auf der Bühne und jetzt Schluss? Das geht aber nicht! Doch. Leider müssen Kiss-Fans nun ganz, ganz stark sein, denn so wie es aussieht, handelt es sich bei der aktuellen Tour wirklich um die letzte. Mit dem pathetischen Namen End of the Road zieht eine der letzten Glam-Hard-Rock-Bands um den Globus. Knapp 100 Konzerte in fast einem Jahr sind geplant, die Hälfte ist rum. Um auch auf deutschsprachigem Boden dem Abschied genügend Raum zu geben, sind in unserer Nähe acht Gigs dabei. Am 2.6. steht das Stadion Essen auf dem Plan und bringt 20.000 Fans unter freiem Himmel zusammen.
Das Wetter meint es gut. Der vorerst heißeste Tag des Jahres bringt das buntgemischte, wenn auch im mittleren Alter angekommene Publikum schon beim Einlass ordentlich ins Schwitzen. Den Ersten läuft die Schminke, die an die vier Bandmember angelehnt ist, übers Gesicht und wird abgewischt. Manche legen zu der Schminke noch einen drauf und tragen Bodys. Ohne irgendein passendes Rockshirt kommen die Wenigsten. Abschied ist eben nur einmal.
Als besonders außergewöhnlich präsentiert sich der Supportact David Garibaldi. Er hat einen großen Mikrofonständer, den er jedoch ausschließlich zur Kommunikation mit dem Publikum benutzt. Statt selbst zu singen, laufen Rockclassics von anderen legendären Bands und David malt. Moment… malt? Ja. Gleich dreimal und dazu extrem gut. Innerhalb von weniger als zehn Minuten wird mit Fingerfarben und Pinseln auf schwarzem Tonpapier zunächst Ozzy Osbourne gezaubert. Das besonders Schöne daran: bis kurz vor der Fertigstellung bleibt der Black Sabbath-Frontmann unerkannt und man wird umso mehr mit einem Überraschungseffekt beschenkt. Als zweites folgt Steven Tyler – auf dem Kopf gemalt! Sobald David das Bild richtig herum positioniert, gibt es tosenden Applaus. Wie das bei Bild drei mit der Band, für die alle hier sind, sich anhört, ist selbsterklärend. Ein Schmankerl obendrauf ist der Schriftzug „Essen“ auf dem Bild. Vorband mal anders, aber sehr gelungen und unterhaltend.
Dann dauert es aber doch noch ein wenig, bis um 20:52 die ersten Drums und Stimmen zu hören sind. Ein riesiges Banner verdeckt die Bühne, fällt im passenden Augenblick und präsentiert Gene, Paul und Tommy hoch über den Köpfen auf frei beweglichen Bildschirmen, die an Ufos erinnern. Eric zockt am Schlagzeug. Jetzt heißt es Feuer frei – wortwörtlich.
Was in 130 Minuten Show an Pyroeffekten abgeschossen wird, ist fast schon unheimlich. Bei nahezu jedem Song schießen Fontänen oder werden Explosionen gezündet – oder beides. Alles hervorragend getimt und stets auf dem Punkt zur Musik. Damit nicht genug: drei Screens, die fliegen können? Warum nicht zwölf?! In manchen Momenten zeigt jeder Bildschirm eine andere Videoeinspielung. Auf der großen Leinwand im Hintergrund natürlich ebenso. Optisch bietet Kiss ein absolutes Spektakel und beweist, dass man auch ohne Tänzer (geile Vorstellung!) und Kostümwechsel das Auge reizen kann.
Dass Gene Simmons in wenigen Monaten 70 wird, mag man nicht so ganz glauben. Das Makeup sitzt wie eh und je, das Fledermauskostüm und die hohen Stiefel passen immer noch, die Schritte sind gut einstudiert und wirken zu keinem Moment peinlich. Paul Stanley macht es sich trotz gerade erst durchgeführter Hüft-OP bei zwei Songs auf einer zweiten Stage bequem, zu der er sich per Seilzug hinziehen lässt – alles andere wäre ja auch langweilig. Natürlich hat das Happening auch gerne den Hang zum Trash und Kitsch, nimmt sich aber dank Überspitzung und Ironieanteilen zum Glück selbst nicht so ernst.
Musikalisch gibt es aus 13 (!) Alben ein buntes Best of und wenig zu beanstanden. 20 Songs, keine Covernummern, keine unnötigen Features. Vielleicht vermisst man „Unholy“. Ansonsten ist aber Party angesagt – nur bei „Beth“ als erste Zugabe wird es ruhiger, das jedoch leider nicht mal Live vorgetragen wird. Eric scheint sich an den Drums doch wesentlich sicherer zu fühlen als an Gesang und Piano. Dafür brettern Paul und Gene auch im hohen Alter an den Mikrofonen noch gut und wissen, das durchgängig mitgrölende Publikum zu animieren. Für mehrminütige Gitarren-, Bass- und Drumsoli ist ebenso Platz. Der Sound klingt hingegen leider überwiegend nur bei den Instrumenten passend ausgepegelt, im Gesang wirkt es hin und wieder etwas undeutlich.
Optische Höhepunkte sind der blutbeschmierte, hochschwebende Gene in „God of Thunder“, die passend zum Titel durchgeknallten Animationen bei „Psycho Circus“, der lange Konfettiregen beim großen Finale zu „Rock and Roll all Nite“ und die unzähligen Feuerwerkskörper, die einen das ein oder andere Mal ordentlich zusammenzucken lassen. Die täuschen auch über die – das muss man leider so sagen – etwas gleichklingende Musik hinweg, die zwar ganz klare Regeln verfolgt und Wiedererkennungswert hat, aber in der Variation zum Zuhören doch ein wenig abstinkt.
Aber fuck it!? Kiss zeigen auf ihrer End of the World-Tour, warum sie so lange im Business durchgehalten haben. Rock der alten Schule, gepaart mit Showeffekten aus der Gegenwart. Coole, sympathische Typen, die mit ihrer Crowd agieren und für die letzten vier Dekaden dankbar wirken. Die Fans selbstverständlich auch.
Tickets für die restlichen Shows der Tour gibt es hier.*
Und so sah das Konzert aus:
Website / Facebook / Instagram / Twitter
Bild von Christopher.
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.