Max Raabe & Palast Orchester, Tonhalle Düsseldorf, 30.01.2025

max raabe palast orchester düsseldorf

Ständig wird von Künstler*innen gefordert, sie müssten etwas Persönliches von sich preisgeben. Authentisch soll es sein. Möchte man genau das, ist man bei der Show von Max Raabe und seinem Palast Orchester in der Tonhalle in Düsseldorf völlig falsch. Von Anfang bis Ende wirkt der gesamte Auftritt inszeniert. Und genau das macht es so fantastisch, denn es ist die einzige logische Konsequenz, um mit dem Frontmann und der Big Band einen 100 Jahre umfassenden Zeitsprung in die Vergangenheit erfolgreich zu begehen.

Selten ist ein Konzept so stimmig und von Anfang bis Ende erkennbar. Eigentlich beginnt das Feeling bereits beim Betreten der Venue. Sowieso ist die Tonhalle in der Landeshauptstadt die schickste Location, die man in NRW findet. Stilvoll ist das runde, verwinkelte Foyer, bei dem man nach nur wenigen Schritten den Überblick verliert und überhaupt nicht weiß, von wo man gekommen ist. Noch schöner ist es im Mendelssohn-Saal, der rund 1800 Sitzplätze anbietet, wovon nur vereinzelt welche frei bleiben. Und das, obwohl Max Raabe hier zwei Abende in Folge auftritt.

Max Raabe, 1962 im schnuckeligen Lünen geboren, direkt neben Dortmund, besitzt ein Alleinstellungsmerkmal. Exakt niemand in Deutschland klingt 2025 so wie er, exakt niemand macht diese Form von Konzerten. So etwas für sich beanspruchen zu dürfen, ist rares Gut. Man hat in seinem Genre keine Konkurrenz, auch wenn ansonsten die Konkurrenz in der deutschsprachigen Unterhaltungsmusik enorm ist. Doch während die einen stets von den anderen abgucken, macht Matthias Otto, wie der Künstler gebürtig heißt, einfach alles nach seinem Gusto und im eigenen Becken. Als staatlich geprüfter Opernsänger in Bariton-Lage könnte man sich entweder in den Opernhäusern herumtreiben, klassischen Gesang mit Rockelementen kombinieren oder solch eine Art von Musik machen, die schon dermaßen lange out ist, dass selbst die Wörter “Retro” und “Vintage” nicht mehr zutreffen, weil selbst die zu modern klingen.

Schon mit 24 gründet er 1986 in West-Berlin mit Leuten aus dem Studium das Palast Orchester. Sie spielen Chansons aus den 20s und 30s. Das ist damals so schräg wie heute. Feiert das Konzept nächstes Jahr also seinen vierten runden Geburtstag, so ist die Idee in der Resonanz immer gleich geblieben: Ganz viele können damit so gar nichts anfangen und finden den Sound so ungewohnt im Ohr, dass sie es grundlegend ablehnen. Bestimmt genau so viele genießen aber eben dieses Kleinod voller Musikalität, das ganz viel Charme besitzt und komplett unvergleichlich daherkommt.

Es braucht wahrscheinlich ein gewisses Alter und eine gewisse Affinität zur Hochkultur, bis man dem Ganzen etwas abgewinnen kann. Auch der Autor des Textes selbst fand das Spektakel um Max Raabe äußerst lang ziemlich irritierend und wenig greifbar. Doch schaut man sich die 115 Minuten, die von einer 25-minütigen Pause unterbrochen werden, in Düsseldorf am Donnerstagabend, dem 30.1., an, hat man exakt zwei Optionen: Man kann mit der Art der Musik so gar nichts anfangen, findet auch keinen Zugang und kann eigentlich sofort wieder gehen. Oder man betritt eine Zeitmaschine, lässt das gegenwärtige Weltuntergangsfeeling vor der Tür und fühlt sich rund zwei Stunden lang sensationell unterhalten. Und das nur dank perfekter musikalischer Darbietung, überragend austariertem Klang und unglaublich schönem Licht.

Selten trägt bloße Musik so leichtfüßig. Keine einzige Länge schleicht sich ein, stattdessen fliegt der erschlagende Sound des zwölfköpfigen Orchesters – bei dem der Pianist und Akkordeonist Ian Wekwerth seit Beginn an mitwirkt, Martin Sander wiederum erst seit 2021 die Trompete bläst – durch die Ränge bis in die Spitze der Kuppel. Ein Großteil der Musiker*innen spielt mindestens zwei Instrumente an dem Abend, einige ergänzen sogar Raabes Gesang. Trägt das Ensemble im ersten Akt schwarz, wird in der zweiten Hälfte einheitlich zu creme gewechselt. Der Frontmann bleibt zwei bei einer schlichten Kombi aus schwarz und weiß, tauscht aber Anzug gegen Frack. Das Gesamtbild ist so harmonisch, dass es die Songauswahl mit kleinen Eye-Catchern abrundet.

Max Raabe steht vor dem mittig platzierten Großmembranmikrofon und arbeitet viel mit dynamischen Geschichtsbewegungen sowie dem stark überzeichneten gerollten R. Technisch ist das wirklich äußerst aufregend anzuschauen, wie der Künstler neben Mundarbeit eben auch mit dem Körper und den Abständen seinen Klang reguliert. Töne, die nicht 100 Prozent ganz mittig gesungen sind, kann man an diesem Abend maximal an einer vollen Hand abzählen. Ansonsten wirkt das Zusammenspiel aus Big Band und Frontmann so geübt, dass man es ohne jegliche Veränderung aufnehmen könnte. Quasi eine Studio Version in Live. Ob tiefe Basstöne oder sanfte, hohe Kopfstimme – ausnahmslos fließende Übergänge. Das ist schon ein ungewöhnlich intensives Ohr-Erlebnis.

Nicht wenig trägt dazu auch die Auswahl der Titel bei, die stets zwischen rund einem Jahrhundert alten Klassikern und eigenen Aufnahmen aus drei Dekaden wechselt. Auch hier scheint alles wohlig aufeinander abgestimmt, sodass manchmal nicht herauszuhören ist, ob es sich nun um einen alten Coversong oder um ein frisch komponiertes Werk handelt, das mit Komponist*innen wie Annette Humpe (“Ein Tag wie Gold”) oder Peter Plate und Ulf Leo Sommer (“Guten Tag, liebes Glück”) entstanden ist. Meist fällt es nur an so mancher Wortwahl auf, die man so 1920 vielleicht nicht getroffen hätte – stilistisch tänzelt Max Raabe aber durch Damals und Heute, Deutsch, Englisch (“You’re The Cream In My Coffee”) und sogar Italienisch (“Vivere”), ganz ohne überhaupt die Füße zu bewegen.

Der Blick – ein wenig arrogant, ein wenig distanziert, gleichzeitig verschmitzt und fast schon lasziv. Die Hände – stets locker neben dem Anzug, ganz ohne groß zu gestikulieren. Die Pose – wird das Licht gedämpft, bleibt eine Silhouette, bei der die beiden in Lackschuhen verpackten Füße gekreuzt aufgestellt und sich lässig ans Klavier gelehnt wird. Max Raabe fällt nicht aus seiner Rolle. Erst recht nicht, wenn er den Großteil seiner Titel anmoderiert, stets erwähnt, wer es komponiert hat und zu manchen Liedtexten ironische Umschreibungen findet, die gern auf einem witzigen Twist enden. So zum Beispiel zum Stück “Du stehst nicht im Adressbuch”, bei dem er darüber schwadroniert, wie man früher oft weite Wege gehen musste, um mit jemandem zu sprechen, man nun auf Social-Media-Plattformen hingegen zum Sprechen miteinander meist eher zu weit geht. Smart.

Ein paar Hits haben nie an Präsenz verloren. So sind “Veronika, der Lenz ist da”, “Bei mir bist du schön” oder auch die temporeich gespielte Zugabe “Mein kleiner grüner Kaktus” Evergreens, die nie ihre Blütezeit verlieren. Aber auch so manche eigenen Titel kommen im Publikum sehr gut an und werden mit Zwischenapplaus belohnt wie das zur Tour titelgebende “Hummel streicheln”, “Der perfekte Moment… wird verpennt”, “Fahrrad fahr’n” oder “Côte d’Azur”. Sämtliche Musiker*innen bekommen während des Konzerts ihr Solo, ganz fantastisch sind auch die kleinen Momente, in denen drei Menschen aus dem Orchester mit Max am Mikro ComedianHarmonists-artig einen vierstimmen Satz performen. Wie überraschende Easter Eggs wirken außerdem ein Gummihuhn bei “Ich wollt’, ich wär’ ein Huhn” und Unter-Wasser-Bläserklänge bei “In meiner Badewanne bin ich Kapitän”. Absolut logisch endet bei “Schlafen geht das kleine Saxophon” der Abend. Und die Gattung generell? Flexibel. Swing, Jazz, Charleston, Schlager, Chanson und sogar Merengue und Bossa Nova. Wer alles kann, darf und soll auch alles machen.

Es braucht zweifelsfrei ein Interesse und eine Offenheit zum Feeling schon fünfmal vergangener Tage, um eine Show von Max Raabe und Palast Orchester zu genießen. Ist das aber gegeben, stellt der Auftritt in Düsseldorf die enorm hohe Musikalität unter Beweis. Ein Hang zum Perfektionismus ist erkennbar sowie ein großes Schauspiel, das absolut genial ist, weil es von der ersten bis zur letzten Sekunde wunderbar charmant, stilsicher, selbstbewusst und klug präsentiert wird. Deliziös.

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Foto von Christopher Filipecki

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