Mitte Juli. Das Thermometer zeigt 36 Grad und Köln Mülheim ist für einen Abend ein Mekka der Alternativkultur. Auf der einen Straßenseite: Zelebrieren Turnstile im Palladium den Schritt in die großen Hallen. Bierbecher fliegen in die Luft, tätowierte Arme ebenso. Auf der anderen Straßenseite: Alternatives Kontrastprogramm. Phoebe Bridgers lädt ins E-Werk, viel schwarze Kleidung, Doc-Martens Schuhträger*innen. Während gegenüber eine wilde Hardcore-Party gefeiert wird also, suhlt man sich hier in geteiltem Schmerz, ersucht gerade darin Stärke und nimmt vor allem eines mit: Das Gefühl gemeinsam einem besonderen und durchweg lieben Konzertabend beigewohnt zu haben.
Aus „Down With The Sickness“ vom Band, wird „Motion Sickness“ mit Band
Der Rahmen muss stimmen für einen solchen Abend – und das tut er. Noch in lockerem Sportoutfit tritt Bridgers wenige Minuten vor eigentlich angepeiltem Beginn auf die Bühne des in allen Belangen der Schwesterlocation überlegenem E-Werks, um ihre Freund*innen von Sloppy Jane anzukündigen. Vor vielen Jahren stand sie bei denen noch selbst am Bass, nun aber dirigiert Haley Dahl eine sechsköpfigen Orchestral-Punk-Truppe – ohne Bridgers. Hochachtungsvoll lauscht der Saal den oft avantgardistischen Nummern der Band, zwischen so manchen Songs traut sich die Menge nicht einmal Applaus anzustimmen. Dahl währenddessen wechselt vom Dirigieren zum Klavier zur Gitarre hin zum Bühnenboden als wär es das Normalste der Welt und ist damit mehr Punk als das meiste immer-gleich klingende Zeug, das sich heutzutage als solcher bezeichnet. Für die Umbaupause gibt das viel Redepotential.
Dann nach 30 Minuten Pause wird es laut. Disturbed tönen und bläken aus den Boxen und Bridgers und ihre fünfköpfige Band schreiten in Skeleton-Suits auf die mit Lichterketten abgehangene Bühne. Es braucht keine Viertelstunde, da sind die großen Hits schon abgefeuert. Auf das eröffnende „Motion Sickness“ folgt „Garden Song“ und auf den wiederum „Kyoto“. Clever ist das, denn so ist auch im Konzertverlauf in den ruhigen Momenten niemals die Luft raus: Ausgelassen getanzt hat man ja schon. Der Sound außerdem ist E-Werk-typisch perfekt, die Band eingespielt. Der Rahmen also: Passt.
Gemeinsam sein
Es sind wiederum die kleinen Momente, die den 90 Minuten ihre Familiarität verleihen. „Garden Song“ wird von Phoebes Tourmanager Jeroen Vrijhoef begleitet, der mit seinem Bariton auch schon die Studioversion schmückt, und das epochale „I Know The End“ wird dank orchestraler Unterstützung der Sloppy Jane-Band noch einnehmender. Bridgers wiederum öffnet Fangeschenke (hoch im Kurs: Porträts), lobt Draco Malfoy (hot) und tadelt J.K. Rowling (queerfeindlich), spielt Songs auf Zuruf (heute deshalb „Georgia“ in der Zugabe) und berichtet ganz nebenbei sie habe die Tage Zeit in Berlin in einem Tonstudio verbracht (aufregend).
Präsent ist zudem auch die Diskrepanz zwischen Gemüt und Songmaterial: Im einen Moment setzt sie sich einen blinkenden Cowboyhut auf – auch der natürlich: ein Fangeschenk – bloß um dann den nächsten Song anzukündigen: „This is a song about alcoholism.“ Ebensolche Themen können gerade auch deshalb so offen und stigmabefreit ausgesprochen werden, weil Fans und Musikerin Geben und Nehmen und sich so durchweg die Hände reichen. Bridgers: Gibt Identifikationsfläche und Musik. Die Fans: Geben Präsente und Fanaktionen (für „Punisher“ flirrt der ganze Raum in Handylicht), Aufmerksamkeit und Dankbarkeit. Das E-Werk ist daher zwar keine heile Welt, aber doch eine akzeptable. Beim Heraustreten aus der Halle jedoch dann die nüchterne Erkenntnis: War drinnen nicht nur lieber, sondern auch kühler.
Mehr Phoebe Bridgers gibt es hier.
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Fotorechte: Jonas Horn.
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