Der Deutsch-Punk ist schon eine spezielle Szene. In der Masse der vielen generischen Standard-Schrammel-Gruppen, die immer wieder dieselben AZs und Jugendzentren des Landes aufsuchen, gibt es wenige Bands, die sowohl fernab von Power-Akkorden und flotten Achteln mitwirken, als auch die Nahbarkeit und Intimität von Punk-Konzerten aufleben lassen. Eine Band, die von engstirnigen Punk-Fanatikern immer wieder für ihre untrue Ader und Progressivität kritisiert wird, unumstritten aber eine der besten Live-Acts des Genres ist, sind Turbostaat aus Flensburg. Seit nunmehr 20 Jahren touren die fünf Musiker sich ihren Arsch ab und können dementsprechend auch auf einen breiten Musik- und Erfahrungskatalog zurückgreifen. Mit „Nachtbrot“ – einem karriereumfassenden Live-Dokument, das an drei aufeinanderfolgenden Tagen dieses Jahr in Leipzig aufgezeichnet worden war – veröffentlichen die Indie-Punk-Heroen Anfang des nächsten Jahres nun ein Live-Album, das diese These zu belegen versucht. Vorher ging es Mitte des dunkelsten, aber lichterfrohesten Monats des Jahres noch einmal für drei Konzerte auf Reise, um auch hier nochmal unter Beweis zu stellen, dass man nicht umsonst auch außerhalb der Punk-Szene für Begeisterungsstürme sorgt.
Eine dieser wenigen Shows fand im Düsseldorfer Weltkunstzimmer statt, einem Kulturzentrum in einer ehemaligen Backfabrik, das regelmäßig Ausstellungen junger Künstler und gelegentlich auch Musik-Acts Raum bietet. Als Art Mini-Festival organisiert, spielten sich Turbostaat in dieser besonderen, passenderweise düsteren, Lokalität durch ihre Diskographie und ließen dabei eher den Eindruck aufkommen, man befände sich auf einem Headline-Konzert der Band und nicht einer „externen“ Veranstaltung. Dazu trug vermutlich auch das aus zwei lokalen Bands bestehende Warm-Up bei, das man besser vergisst, als sich allzu detailliert an die langweiligen Einzelheiten zu erinnern.
So betreten Turbostaat also recht spät gegen halb elf die Bühne des Weltkunstzimmers. Im Laufe der Umbaupause ist es vor dieser immer enger und voller geworden, hatte sich ein Großteil des Publikums zum „Aufwärmen“ dann doch eher der Bar als der Musik der Voracts gewidmet. Nun gehört die gesamte Aufmerksamkeit jedoch von Beginn an den fünf Menschen auf der Bühne. Die haben die Masse im Griff. Sänger Jan Windmeier muss nur einen Arm heben, schon recken sich etliche Fäuste gen Betondecke, während man die mystischen Texte der Nordlichter zwischen den eigenen Zähnen hervorpresst. „Husum, verdammt!“
Auf seinem letzten Album „Abalonia“ – dem sechsten – zeigte der Fünfer aus Norddeutschland auf, dass man sich auch mit Wurzeln im Punk ruhigeren Tönen widmen kann, ohne dabei die Wertigkeit eines McDonald’s-„Happy-Meal“-Gimmicks aufweisen zu müssen. Diese sehr atmosphärische Seite präsentiert die Band in „Eisenmann“ und dem Intro von „Wolter“. Ansonsten liegt der Fokus des Sets vor allem auf den eingängigsten Mitgröhl-Hits der zwanzigjährigen Historie ab dem zweiten Langspieler „Schwan“. Erst im zweiten Zugabenblock widmet man sich seinem ersten Studiowerk, das man mit „Drei Ecken – Ein Elvers“ huldigt. Hier zeigt sich das etwas angetrunkene Publikum am textlich unsichersten. Die Band, die stets von einer durchgetakteten und stimmigen Lichtshow angestrahlt wird, sodass man vor allem Silhouetten erahnen kann, ignoriert das.
Trotzdem erfühlt sich das 75-minütige Turbostaat-Set jede Faser des eigenen Körpers. Auch wenn man nicht den Sinn eines jeden Wortes, einer jeden Zeile versteht, so durchzieht stets eine greifbare Melancholie und Trauer, die während der Auftritte der Band ein noch unerforschtes Ventil findet, die Songs des Quintettes. Dass Turbostaat auch musikalisch absolut abliefern, tritt bei der ganzen emotionalen Last schon fast in den Hintergrund. Ihren Ruf als ungeschlagene Live-Götter des Punks hat die Band heutzutage aber ja eh gesichert. Das muss selbst der eingefleischteste Punker anerkennen.
Das Live-Album “Nachtbrot” kannst du dir hier kaufen.*
Tickets für die anstehende Tour gibt es hier.*
Und so sah das vielleicht aus:
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Turbostaat live 2019:
11.01. – Flensburg, Volksbad (ausverkauft!)
12.01. – Husum, Speicher (ausverkauft!)
14.02. – Hamburg, Markthalle
16.02. – Jena, Kasablanca
19.02. – Köln, Gloria
21.02. – Stuttgart, Universum
23.02. – Göttingen, Musa
13.03. – Münster, Sputnikhalle
16.03. – Hannover, Faust
19.03. – Berlin, SO36 (ausverkauft!)
21.03. – Dresden, Beatpol
22.03. – Erlangen, E-Werk
Foto von Jonas Horn.
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