Völkerball – A Tribute To Rammstein, Zeltfestival Ruhr Strandkorb Edition Bochum, 10.09.2021

Schon mal probiert für ein Rammstein-Konzert Tickets zu bekommen? Und? Wie ernüchternd war das Ergebnis? Drei Stunden Warteschlange? Privater Laptop, dienstlicher Computer, Handy parallel und dennoch leer ausgegangen? So scheint es in den letzten Jahren sehr, sehr vielen Fans ergangen zu sein. Auch denen, die Rammstein seit fast drei Jahrzehnten verfolgen und schon zig Mal Shows besuchen durften – mittlerweile ist’s echt ein Glücksspiel.

Keine Band aus deutschsprachigen Ländern und auch generell kaum eine Band weltweit darf für ihre Konzerte dermaßen viele Begeisterungsstürme einfahren wie das aus Berlin stammende NDH-Sextett. Selbst die größten Stadien sind noch zu klein. Eigentlich müssten eigene Hallen für diese voluminöse Pyrotechnik erbaut werden. Doch bevor das wirklich irgendwann mal passieren sollte, ist bekanntlich seit anderthalb Jahren eher Spar- statt Stichflamme. Dass Konzerte in geschlossenen oder auch oben geöffneten Arenen stattfinden, ist gefühlt ein halbes Leben her.

Dafür haben aber kleinere bis mittelgroße Acts nun das Zepter in der Hand. Das Konzept der Strandkorb Open Airs war 2020 erfolgreich und ist seit 2021 das Rettungsboot auf hoher See. Zuschauer*innen haben ihre festen Plätze, dürfen sich immerhin dort maskenfrei ein paar Meter hin- und herbewegen, die Künstler*innen sind zwar etwas weiter weg und auf einer höhergebauten Bühne, doch immerhin ist Live-Musik und Beisammensein. Alles keine Selbstverständlichkeit, wie man gemerkt haben sollte.

Am Kemnader See in Bochum bzw. Witten ist das Zeltfestival Ruhr zum Spätsommer zu einer wahren Institution geworden und zieht Liebhaber*innen von kulinarischen Ausritten, Comedy, Musik und Handwerk gleichermaßen an. Das war zwar schon 2020 nicht möglich, aber immerhin gibt es 2021 mit den erprobten Strandkörben eine stimmige Alternative. So ist die Location zwar dieselbe, auch wenn sie selbstredend komplett anders ausschaut.

Doch zurück zu Rammstein. Kurioserweise reicht es Till Lindemann und seinen Buddies dann doch nicht statt vor 1500 möglichen, in Strandkorb sitzenden Besucher*innen aufzutreten statt wie zuletzt vor 70.000 Leutchen, wie beim größten Deutschland-Gig in Berlin. Dabei weht am 10.09.2021, einem Freitag, doch ein gewaltiger Hauch Rammsteiner Luft durch die Menge.

Völkerball ist eins der bekanntesten und gleichzeitig auch besten Live-Aufnahmen der Kultgruppe. Das 2006 erschienene Album zeigt das ein Jahr zuvor mitgeschnittene Konzert aus Nîmes in Frankreich. Dieser Film scheint bei René Anlauff und seinen Kumpels bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. 2008 gründet er mit fünf weiteren Musikern Völkerball, die größte Rammstein-Tribute-Band. Die zieht seitdem durch nicht ganz so große, aber keinesfalls kleine Hallen der Republik und hält im Strandkorb-Sommer gleich mehrfach vor den bequemen Sitzern. Und nun startet das große Zerfleischen: „Coverband? Tribute? Bitte was? Warum? Wer braucht das? Was soll das? Das ist ja super peinlich!“

Bevor man sich dazu entscheidet, ein Ticket für Völkerball – A Tribute To Rammstein zu kaufen ein Geheimtipp vorab: Das ist eine Coverband. Das sind nicht die Echten. Krass!? Nachdem man diesen Schreck überwunden und den Ruhepuls zurückgeholt hat, darf sich aber zurückgelehnt werden. Zwar leider auf stark feuchten Sitzbänken, da das Wetter am 10.09. nur wenig mitspielt und es vor allen Dingen kurz vor dem Auftritt, der überpünktlich um 19:56 Uhr beginnt, arg schüttet, doch nach einigen Minuten Show, ist es dann vor den Augen und auch in den Beinen wesentlich wärmer.

Jede*r stellt sich wohl die Frage, ob das Ganze was taugt. Ob es fremdschämig, trashig, unangenehm wird. Schnell ist klar: nein, wird es nicht. Hat man sich also von dem Gedanken freigemacht, dass eine Tribute-Band gleichzeitig immer dem Niveau der dörflichen Kirmes-Party-Bumskapelle entsprechen muss, genügen wenige Eindrücke, um zumindest anerkennend zu nicken. Zwar sind Bühne und Budget für Pyrotechnik logischerweise um einiges geschrumpft, ansonsten ist aber aus den Gegebenheiten das Maximum herausgeholt.

Die Band kommt sogar optisch ihren Vorbildern erschreckend nahe. Zwar sehen sie im Gesicht nicht so authentisch aus wie operierte Influencer-Püppis, die gern eine Kopie von Barbie wären, aber besonders die Outfits und zum Teil auch die Frisuren gehen als glaubwürdige Kostümierung durch. Gleich mehrere Bandmember haben Musik studiert, was man merkt, denn auch der Sound klingt an mindestens 80% der Stellen wie das originale Instrumental. Gerade hier sollte man den Hut ziehen, denn wer schonmal beobachtet hat, wie schwer es ist, Songs nachzubauen, weiß, dass das wirklich gut gelungen ist.

Auf der Setlist stehen 21 Songs aus über zwei Dekaden Karriere, was ebenfalls exakt die gleiche Anzahl an Titeln ist wie bei der letzten Rammstein-Tour. Detailverliebt. Jedes Album findet Berücksichtigung, der Fokus wird demnach nicht auf der 2019 erschienenen Platte gelegt. Stattdessen gibt es Hits on fire. Von den Chartstürmern vermisst man wenig. „Links 2 3 4“ und „Pussy“ schaffen zwar nicht den Weg nach Bochum, dafür aber Albumfavoriten wie „Asche zu Asche“, „Zerstören“ oder „Waidmanns Heil“. Eröffnet wird untypisch mit „Ramm 4“, einem bis heute nur live gespielten Song, deren Studio Version immer noch auf sich warten lässt. Vom letzten Album sind vier Tracks mit dabei, die auch optisch so umgesetzt werden, wie es die großen Brüder vor zwei Jahren vormachten.

Und damit sind wir beim Hauptaugenmerk angekommen: sollte man sich mit den opulentesten Bühnenshows Deutschlands vergleichen und ernsthaft probieren, das nachzumachen? Das Fazit lautet: Ja, aber wenn, dann so wie Völkerball es tun. Wer Rammstein mal live sehen durfte oder zumindest einen Mitschnitt aus der Glotze kennt, findet sich schnell zurecht und genau so soll es ja auch sein. Da gibt es den Kochtopf bei „Mein Teil“, die Armbrust bei „Du hast“, ein brennendes Herz bei „Mein Herz brennt“, erschreckende und unerwartete Explosionen, einen auf einem Laufband walkenden Keyboarder und und und.

Dennoch hat die schwerste Aufgabe wohl Frontmann René, der nicht nur das charakteristische, rollende R gut drauf hat, sondern auch gesanglich die kompletten 115 Minuten voll durchkommt. In den Tiefen könnten zumindest Gelegenheitshörer*innen die Augen schließen und würden wohl kaum einen Unterschied bemerken, in den Höhen klingt er zwar schon etwas heller als Till, aber trotzdem nicht schlechter. Tonal patzt er selten und zeigt sogar zum Finale hin, wie viel Luft in ihm steckt, sodass er einen Ton locker 20 Sekunden hält. Nicht schlecht. Gestik und Mimik sind übrigens fast schon gruselig ähnlich zu dem anderen Frontsänger, den er hier adaptiert. Respekt.

Frei nach dem Motto „Besser gut gezockt als schlecht selbstgemacht“ müssen sich Völkerball damit dann auch nicht verstecken. Wäre es nämlich schlecht oder gar peinlich, hätten mit Sicherheit Till und seine Jungs den Fanboys schon längst den Stecker gezogen. So ist es aber einfach eine würdige Tribute-Show, die zwar nicht die Durchschlagskraft des Originals besitzt und der es folglich auch an Kreativität fehlt, die aber dafür das ist, was sie auch sein soll: eine Verneigung. Und die ist tief und würdevoll. Sowieso scheinen Völkerball den Begriff „Respekt“ verinnerlicht zu haben, stellen sie nämlich nach den letzten Tönen vom Rauswerfer „Engel“ nicht nur ihre eigenen Mitglieder vor, sondern bedanken sich auch bei allen Menschen hinter der Bühne, holen einige davon nach vorne und haben sehr sympathische Worte für die Crowd übrig, der sie nun auch lachend entgegenblicken.

Mehr kann und darf man von einer Coverband nicht erwarten. Wer Rammstein sehen will, soll zu Rammstein gehen. Wer Rammstein-Musik aber hören und zelebrieren möchte, ist mit einem Besuch bei Völkerball wirklich gut bedient und darf sich von knapp zwei Stunden feuriger und rockiger Unterhaltung mitreißen lassen. Das Publikum hat’s jedenfalls gefeiert.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher F.

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