„I wouldn’t characterize myself as a sad person – I just want to be honest“. Wenn man ihm mal genau zuhört, könnte man darauf kommen, er sei der depressivste Mensch der Welt. So und in sehr ähnlichen Worten scherzt William Fitzsimmons mehrmals während seines 70minütigen Auftritts in der Zeche Bochum im selbstironischen Ton.
Irgendwie scheint an dem Mittwochabend alles zu stimmen. Die Show ist nicht ausverkauft, aber gut gefüllt. 15 Minuten vor Beginn ist der überschaubare Innenraum noch recht leer. Der Großteil hält sich an der Bar auf oder sitzt entspannt auf der Treppe gegenüber der Bühne. Das Publikum setzt sich aus vielen Pärchen zusammen, die sich mit ihrem Glas in der Hand unterhalten. Alterstechnisch bewegt man sich irgendwo zwischen 20 und 60. Besonders auffällig ist ein Paar, das womöglich schon die Goldhochzeit hinter sich gebracht hat, aber so verliebt scheint und sich so oft umarmt und küsst, dass es allein vom Zusehen ein jedes Herz erwärmt.
Überpünktlich gibt es bereits um ein paar Minuten vor 20h den Support. Richtig freuen tut man sich auf die Vorgruppe ja so gut wie nie. Ein Bandname wie Jim and Sam hört sich jetzt auch nicht nach der kreativsten Musik an. Mit ihrem Singer/Songwriter-Klang erfinden sie definitiv nichts Neues – und dennoch schaffen sie bereits nach einer Minute so zu fesseln, dass die gesamte gute halbe Stunde im Publikum wenig bis gar nicht geredet wird. Selten war ein Supportact so gut. Das musikalische wie private Paar aus Los Angeles liefert nicht weniger als perfekten, berührenden, zweistimmigen Pop, der schon beim ersten Track die Augen leicht wässrig werden lässt. Wow. Das passiert nur alle Jubeljahre mal. Da darf noch sehr viel erwartet werden. Zwischen den stimmigen Songs, die an Angus & Julia Stone erinnern, gibt es sympathische Anekdoten über die Ehe. Die erste EP nach der Show zu kaufen war quasi Pflichtprogramm und wurde von einigen auch wahrgenommen – ein Album soll bald folgen. Da bleiben wir doch gerne dran. Danke dafür! Das tat richtig gut.
Nach nur zwanzig Minuten Pause geht es schnurstracks mit Fitzsimmons weiter. Um 20:50 wird das Licht gedimmt und der 40-jährige Pittsburgher betritt die Bühne. Ohne viel Terz. Schlichtes Jeanshemd, nerdige Brille und der charakteristische Bart. Dazu zwei Akustik- und eine E-Gitarre. Ab Track zwei begleitet ihn ein Gastmusiker an einer weiteren E-Gitarre oder einem Synthesizer. Im Hintergrund gibt’s zur Abrundung noch ein Banner und die Standardbeleuchtung der Zeche. Das war’s. Mehr braucht es für ein gutes Konzert nicht, wenn das Gefühl stimmt.
Ja, das muss man zugeben. So unterhaltsame Musik spielt der ehemalige Psychologe nicht. Gerade auf Platte stellt sich das ruhige Klangerlebnis als ein wenig eintönig heraus. Live ist das aber – wie so oft – was anderes. Die sehr liebenswürdige und entspannte Art des Künstlers gibt dem Konzert extrem viel Wärme. Die Crowd bleibt weiterhin rücksichtsvoll, holt nur selten das Handy für Fotos oder Videos hervor und probiert auch mit ihren Flaschen in der Hand kaum Geräusche zu machen, da es einfach schnell stört. Stattdessen lässt man seine Gedanken schweifen, macht die Augen zu und lauscht einer der prägnantesten Stimmen, die es so gibt. Fast schon hauchend präsentiert Fitzsimmons seine Stücke, in denen regelmäßig ein Klos im Hals entsteht, holt aber dank persönlicher Anmoderationen die Zuschauer stets aus der Tristesse hervor. Er erzählt davon, dass sein kommendes Album die vierte Veröffentlichung darstellt, in der er seine zweite Scheidung durchkaut. Außerdem witzelt er damit, dass alle denken, er würde nach den Konzerten weinend im Backstage liegen – das stimme, aber nur manchmal. Er spricht ein Beileid für all die Männer im Publikum aus, die nur wegen ihren Frauen sein Gejammer ertragen müssen. Und nicht zuletzt bemüht er sich mehrmals kleine Kommentare auf Deutsch zu äußern, was er gar nicht so schlecht macht.
Musikalisch bewegt er sich zwischen sämtlichen Alben aus den letzten knapp 15 Jahren. „Klingt doch eh alles gleich“. Der Herr hat wirklich Humor. Und ja, lauter und inbrünstiger wird es nur in kleinen Momenten. Dafür überrascht er mit einem Cover von „Sweet Home Alabama“, wofür er wirklich länger gebraucht hat, um es authentisch depressiv klingen zu lassen oder Songs für Freunde, die sich im Publikum befinden und nicht zuletzt sogar für ehemalige Patienten, die jung verstorben sind. Er berichtet, dass ihm der Job als Therapeut zu anstrengend und zu belastend war, was schonungslos ehrlich herüberkommt. Nach einer Stunde Hauptprogramm stellt er sich in die Mitte des Innenraums und spielt seine drei Zugaben im Publikum. Die letzte, das Cover „Learning to Fly“ von Tom Petty, wird sogar durch seinen Gastmusiker und die Vorband Jim and Sam ergänzt. Ein überragender Ausklang.
William Fitzsimmons ist eins dieser Konzerte, die nicht in die Geschichte eingehen werden, weil etwas ganz Besonderes passiert ist. Stattdessen bleibt für jeden persönlich ein Stück Melancholie für zuhause, das immer hochgeholt werden kann, wenn man sich an den Gig erinnert. Kann man nicht gut erzählen, muss man miterlebt haben. Aufregend unaufgeregt und mit Gänsehautgarantie. Wer die nicht hatte, war nicht vor Ort. Ein absolutes Highlight im Konzertejahr 2019 und für Fans des Genres unentbehrlich.
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Bild von Christopher.
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