Ein gescheiterter Plan, der eigentlich hätte aufgehen müssen: Mit „The Clearing“ veröffentlichen die Indie-Lieblinge Wolf Alice ihr erstes Album auf einem Majorlabel. Entsprechend groß waren die labelseitigen Bemühungen, die Band auf ein neues Level zu pushen. Aber alle Auftritte in deutschen Radio- und TV-Sendungen brachten nicht das gewünschte Ergebnis. Wolf Alice wurden vom Palladium ins E-Werk runterverlegt. Dass das eigentlich eine Schande ist, zeigte dieser Abend den Glücklichen, die die UK-Band nicht verpassen wollten.
Der Hype vorm Hype

Bevor die Feuerprobe für das vierte Wolf-Alice-Album startete, kamen aber erstmal Florence Road auf die Bühne. Von denen haben Indie-Fans sicher schon das ein oder andere auf Social Media mitbekommen, wo das Quartett aus Bray in Irland aktuell als Next Big Thing gehandelt wird. Der Support-Slot war jetzt vor allem: lieb. Leadsängerin Lily Aron konnte mit ihrer warmen Stimmfarbe in der Hemisphäre einer Angie McMahon definitiv aus der Indie-Masse herausstechen & insgesamt kam das sympathisch schüchterne Auftreten der jungen Band beim Publikum super an. Nicht nur der eigene Fan-Squad in den ersten Reihen feierte die zwischen ruhigem Folk und stärkeren Riffs pendelnden Sound, der Melodien schon jetzt bestens beherrscht. Schön!
Mehr, Mehr, Mehr
Was dann folgte, konnten sich langjährige Wolf-Alice-Fans eigentlich schon denken – überraschend war es anyway. Man könnte vermuten, dass ein Major-Release zu einem geradlinigeren und leichter vermarktbaren Sound führen würde, aber ganz im Gegenteil: „The Clearing“ ist ein angenehm widerspenstiges, herausforderndes Album, das Konventionen des Genres und der Band selbst bricht. Es wird exzentrisch, es riecht nach Swing und Jazz, es ist nicht auf den nächsten großen Refrain ausgelegt. Die erste Vorab-Single „Bloom Baby Bloom“ war mit ihrem großartigen Video schon ein Beleg, das das Konzept hinter der Musik noch mehr in den Vordergrund rückt. Und dabei kommt nicht nur Sängerin und Gitarristin Ellie Rowsell in eine völlig neue Ära.
Keine Frage: Wolf Alice waren schon immer eine herausragende Liveband. Aber was hier ab dem Opener „Thorns“ auf die Bühne gelegt wird, ist Main-Stage-Material. Den bedingten Möglichkeiten eines E-Werks trotzend kann der schlichte Bühnenaufbau maximale Energie aufbauen. Rowsell selbst steht dabei immer wieder wortwörtlich im Rampenlicht, das sich auf die Britin einschießt und sie als Showmakerin inszeniert. In „Bloom Baby Bloom“ wird die oben erwähnte Exzentrik dann eingelöst und die ungewöhnliche Dynamik aus Stakkato-Klavier, Noise-Wänden und Dream-Pop-Flächen erobert die Fläche. Ganz großes Kino!
Teamwork statt Solo-Show
Anders als bei vielen anderen Bands wird Wolf Alice durch diese völlig neue Ellie Rowsell (die Frontsängerin war in den ersten Touren noch eine sehr zurückhaltende Performerin) aber nicht zur One Woman Show. Auch die anderen Bandmitglieder tanzen zu jedem einzelnen Song, werfen sich in die Riffs, die Beats und grinsen dabei vor sich hin. Bassist Theo Ellis ist der Anheizer, der immer wieder mehr Mitsingen und mehr Mithüpfen anfordert. Gut so, das brauchte es an dem Montagabend auch, um das Publikum wirklich anzutreiben.
Eigentlich ist die gesamte Halle der Band aber ohnehin sehr fix verfallen. Die Mixtur aus zügelloser Energie, musikalischer Versatilität und schicker Inszenierung ist schlicht unwiderstehlich. Auch wenn Wolf Alice in klassischer Indie-Rock-Bandbesetzung (inklusive Live-Pianist) spielen, holen sie anders als viele andere Genre-Vertrter*innen das meiste heraus. Von der warmen Harmonie der Freundschaftshymne „Bros“ zu der Southern-Rock-Nostalgie von „White Horses“ bis zu den Noise-Wänden von „Play the Greatest Hits“ oder den Punk-Gestus von „Yuk Foo“ sind es eigentlich sehr viele Meilen, hier vergehen nur Minuten. In knapp 1,5 Stunden zeigt die Band, dass die eigene Diskographie mittlerweile nur aus Hits besteht: Zu „Bread Butter Tea Sugar“ wird gecroont, „Safe From Heartbreak (If You Never Fall In Love)“ wird mehrstimmig aus der Bühnenmitte gesungen und das große Finale mit „The Last Man On Earth“ und „Don’t Delete The Kisses“ lässt das Publikum endgültig in Euphorie schweben.
Kurz: So viel Atmosphäre, so viele Stimmungen, so viel Energie & dazu noch so viel Songwriting-Großtaten bekommt man bei (fast) keiner anderen Indie-Band. Dafür hätten Wolf Alice eigentlich Main Stages verdient. Hier reicht es leider nur fürs E-Werk.
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Beitragsbild von Jonas.
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