2018 ist das Jahr, in dem die Relevanz von Rockmusik für die breite Masse endgültig zu Grabe getragen wurde. Doch genau in dieser Zeit von EDM und Trap gewinnt eine britische Alternative-Band den Mercury Prize für das beste Album des Jahres 2017. In der UK füllt die Band beeindruckend große Hallen, viele Kritiker*innen sind sich einig – sie sehen hier einen der außergewöhnlichsten Acts der letzten Jahre. Was hebt Wolf Alice jedoch von dem großen Einheitsbrei der Rock-Welt ab? In den letzten Zügen ihrer Tour zu eben jenem Album stattet die Band auch Köln einen Besuch ab und setzte ein bahnbrechendes Statement für die Unabdingbarkeit der Alternative-Fraktion.
Surfbort (Foto) aus New York eröffnen den Abend und bieten eine Show, die man selbst erleben muss, um sie begreifen zu können. Als klares Kontra-Statement zu Hipster-Attitüde sieht die Band wirklich so aus, als wäre sie der Punk-Bewegung der frühen 80er entsprungen, Frontfrau Dani Miller zeigt Mode-Idealen den Stinkefinger und springt/schreit sich, stets mit einem breiten Grinsen, durch ein Set, das gar keine Pausen zulässt. Miller selbst begibt sich in die Massen, um die Leute zum Hüpfen zu bringen und so ist es kein Wunder, dass diese Punk-Band sehr begeisterten Beifall erntet! Eine Vorband, die aufheizt und selbst im Kopf bleibt – und Generation Instagram eine klare Absage macht.
Eine kleine Weihnachtsbaum-Lampe als Bühnendeko steht aber nicht exemplarisch dafür, wie besinnlich es nun weitergeht. Wolf Alice sind eine Millenial-Band und kommen daher stilecht mit dem Harry Potter-Theme auf die Bühne. Opener “Yuk Foo” setzt dann aber die klare Punk-Kante der Vorband fort – “You bore me to death” spuckt Frontfrau Ellie Rowsell mit der Beihilfe von Bassist Theo Ellis in die Menge, das Brett rattert in Windeseile durch die Mengen. Auch das folgende “You’re A Germ” geht diesen Weg weiter, mit dieser Schnelligkeit könnte die Band wohl jedem Moshpit-Fan gefallen. Punk-Bands alleine gibt es jedoch schon etliche und das alleine rechtfertigt noch keinen Preis. Ab dem folgenden “Lisbon” jedoch schon wendet sich das Blatt – Wolf Alice zeigen eine zerbrechliche Seite. Mit der Freundeshymne “Bros” findet dieser sanfte Teil des Sets einen frühzeitigen Höhepunkt, nur wenige Songs sagen so schön und ehrlich “Danke” an die engsten Vertrauten. Für “Sky Musings” verwendet Rowsell einen kleinen Stimmverzerrer neben dem Mikrofon, um atmosphärische Klänge zu erzeugen. Sanfte Lichter, verhallte Gitarren, breite Synth-Flächen – die Reise geht in ein Flugzeug über die Wolken, eine klassische Songstruktur gibt es hier oben schon lange nicht mehr. Rowsell stellt die wichtigen Fragen: “What if we crash?” und “God, is that you?”. Gedanken in einem Flugzeug dienen hier als Allegorie auf die fragile Gedankenwelt von mid-20s, die selbst nicht recht wissen, wohin mit ihren Zukunftsängsten.
Derartige Momente, wenn Rowsell selbst an den Songs zu zerbrechen scheint, machen diesen Auftritt so markerschütternd genial. Songs von Wolf Alice sind nicht einfach Rock-Songs, die zum Springen anregen wollen, aber auch nicht tieftraurige Brocken, die hingekleckst werden. Songs von Wolf Alice sind prozesshaftige Erzählungen, in denen sich Refrains anpassen können – wie bei “Don’t Delete The Kisses”, wo das lyrische Ich eine romantische Beziehung durchlebt und in den ersten beiden Refrains verzweifelt fragt “What if it’s not meant for me – love?”, um im letzten schließlich “Me and you were meant to be in love” zu deklarieren – und das ganz ohne Kitsch. In den verzweifelten Momenten presst Rowsell die Töne hervor, ihre Stimme bricht teils sogar ab, die Intensität ist selbst für die Band nach so vielen Shows noch enorm hoch. In den schnellen Parts, wie “Space & Time” hingegen unterstützt vor allem Theo Ellis die Frontfrau und animiert das Publikum immer wieder. Hit des Abends ist “Formidable Cool”, indem Rowsell in den Strophen Sprechgesang vor sphärischen Klängen flüstert, um im Refrain vollkommen auszubrechen, durchs Publikum zu springen und erneut die Punk-Geste auszupacken. Songs, die zum Abgehen anregen, sind stets von verschachtelten Rhythmen getrieben, mal leitet der Bass, mal das Schlagzeug, die Gitarren pulsieren in einnehmenden Riffs.
Rock ist tot – so wird es uns immer wieder eingetrichtert. Eine kleine Band aus Großbritannien beweist seit einigen Jahren, dass diese Debatte noch lange nicht vorbei ist. Ein intensiver Abend geht zu Ende, von tieftraurig bis rotzfrech sind alle Stimmungen vertreten. Atmosphäre trifft auf Schweiß treibenden Punk, irgendwo dazwischen stehen Wolf Alice – mit vielen Visionen und Geschichten, fernab von Klischee behafteten Lyrics und bereit für viele weitere Jahre mit Stil prägender Musik.
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Wolf Alice live 2018:
- 16.12.2018 Columbia Theater Berlin
Beitragsbilder von Julia Köhler.
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