Vor mittlerweile 22 Jahren veröffentlichten Die Ärzte ihr Album “Le Frisur”. Da sich die Songs nicht, wie sie es von anderen Alben der Band taten, bis heute in allen Radio-Rotationen des deutschsprachigen Raums gehalten haben, gilt es nicht als eines der wichtigsten. Doch da sind die Meinungen bekanntlich verschieden.
Luis sagt:
Geht es um tolle Alben, nenne ich gerne “Le Frisur” von Die Ärzte. Es ist nicht ganz das beste Album der Berliner Kultband und auch nicht ganz mein persönliches Lieblingsalbum aller Zeiten, da gibt es einfach zu viele. Aber ein sehr gutes und spannendes, das auch Jahre nach Kennenlernen noch viel Freude bereitet und dabei so eigen ist, dass es die meisten beim ersten Durchgang verstören mag. Dabei ist “Le Frisur” eine stinknormale Punkplatte. Und bei Punkplatten ist es normal, dass nichts normal ist. So handelt es sich hier, wie soll es anders sein, um ein Konzeptalbum über Körperbehaarung. Auch die Umstände der 1996er Veröffentlichung tragen zur Sympathie bei: Das im Jahr zuvor veröffentlichte “Planet Punk” war noch sehr aktuell und die Band stoppte gleich den Verkauf beider Platten, indem sie das Publikum mit einem weiteren Album übersättigten. Sieht aus wie ein dummer Move, und genau das ist das tolle.
Auch auf musikalischer Ebene ist “Le Frisur” zweifelsohne nur ein Produkt für Liebhaber gewesen. Zwar wurden mit “Mein Baby war beim Frisör” und “3-Tage-Bart” zwei hitverdächtige Knaller rausgehauen, auf dem Album wimmelt es jedoch ebenso von Obskuritäten. “Haar” ist ein musicalartiges Werk, das eigentlich nirgendwo hin will und nur dem Mitschreien von Hair-Love-Zeilen wie “Es darf nicht nur in den Kragen ragen!” dient. Richtig klasse. Der Text von “Dauerwelle vs. Minipli” beschränkt sich auf “Dauerwelle, Minipli”, natürlich unangenehm oft wiederholt. Im Stil der Comedian Harmonists wurde “Monika” aufgenommen. Es macht unheimlich Spaß, die Songs dieses Album zu hören, mitzusingen und natürlich live mitzubepogen.
Zwischen den kurioseren Stücken lassen sich immer wieder Diamanten aus der Feder von Farin U. und Bela B. finden, die als perfekte Pop-Punk Songs funktionieren. Rod hat diesmal leider keinen Text gesungen. Da gäbe es zum Beispiel “No Future (Ohne neue Haarfrisur)”, “Look, Don’t Touch” oder “Straight Outta Bückeburg”. Ein Song wie “Motherfucker 666” gibt nur im Refrain Gas, was ihn besonders livetauglich macht. Das Potential, aus jedem noch so blöden Thema einen Hit zu schreiben war bei Die Ärzte nie so hoch wie zu diesen goldenen Zeiten. Denn die absurde Thematik ist hier eben nur vordergründig Blickfang. Alles in allem also kein Album für jedermann, aber eine Herzensangelegenheit für so manche.
Sebastian antwortet:
Musik mit deutschen Texten höre ich zwar gelegentlich. Ich nehme mir aber selten bewusst die Zeit, ein deutsches Album vollständig von Anfang bis Ende durchzuhören. Einerseits kenne ich zu wenig deutschsprachige Musik, die ich wirklich richtig gut finde, andererseits „klingt“ Englisch im Rockbereich, wo ich in erster Linie zu Hause bin, für mich persönlich einfach meistens besser. Daher ist die Motivation, aktiv den deutschsprachigen Musikmarkt zu durchforsten, bei mir vermutlich nicht besonders groß – es ist wohl einfach eine Frage des Geschmacks. Dabei gibt es durchaus sehr gute deutsche Künstler, die ich mir von Zeit zu Zeit dann doch anhöre. Von den Ärzten kenne ich einige Songs und wenige Alben. Wenn ich zu einem greife, ist es höchstwahrscheinlich „Jazz ist anders“. Das ist einfach eine runde Sache: tolle, humorvolle Songs und jede Menge Abwechslungsreichtum. Wer könnte zudem einer Platte widerstehen, die in einem Pizzakarton verkauft wurde? Ich habe keinen blassen Schimmer, wie das Album unter treuen, langjährigen Fans der Ärzte eingestuft wird. Genauso wenig, wie ich weiß, ob es „ein Album von den Ärzten“ oder „ein Album von Die Ärzte“ ist, wenn der Fan sich darüber austauscht.
„Le Frisur“, das Konzeptalbum über Haare, habe ich mir nun zum allerersten Mal angehört. Die „Erklärung“ zu Beginn zeigt schon einmal auf, warum solch ein Werk überhaupt relevant sein könnte: „Richtig supi bist du nur mit einer schicken Haarfrisur“. Es folgen alltägliche Beispiele, in fetzige, kurze Rocksongs verpackt, anhand derer die Bedeutung der Frisur erläutert wird. Ob es nun um die Freundin geht, die nach dem Friseurbesuch einfach nichts mehr hermacht, den „Frisurenking“ Vokuhila oder den Dreitagebart, der allein „die Miezen ans Gerät bringt“: Ohne die passende (neue) Frisur heißt es oft „No Future“. Der „Medusa-Man (Serienmörder Ralf)“ ist ein musikalischer Ruhepol auf dem aufgeregten Album, obwohl der Typ mit seinen Haaren töten will. „Dauerwelle vs. Minipli“ ist eines der wenigen Lieder, die ich zumindest vom Namen her kannte. Ich hatte mir etwas völlig anderes darunter vorgestellt. So etwas wie „Deine Freundin (wäre mir zu anstrengend)“. So kann man sich also täuschen…
Wenn ich so über „Le Frisur“ nachdenke, kann ich eigentlich aber gar nichts Negatives darüber sagen. Die Ärzte machen halt ihr Ding, und zwar gut und überzeugend. Das Album hat mich nicht wirklich überrascht, aber auch nicht gelangweilt. Man geht ja ein wenig davon aus, hier und da von dieser Band ein wenig überrumpelt zu werden. Manchmal habe ich gestaunt, auf welche amüsanten Ideen man beim Songwriting gekommen ist, welche Details eingebaut wurden. Mit Absurdität kann ich durchaus etwas anfangen, immerhin höre ich manchmal auch Helge Schneider oder ähnliche Künstler. Wobei „ähnlich“ sehr relativ ist. Und so haben auch Die Ärzte etwas ganz Einzigartiges, Unverkennbares an sich. Musikalisch und inhaltlich reizt es mich zwar nicht so sehr, dass ich zum Dauerhörer werden würde, aber vielleicht höre ich mir „Le Frisur“ in sieben Jahren dann doch noch einmal an und habe auch (wieder) Spaß dabei.
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