Zwei Dekaden Musik. Jeder der acht Alben in den Charts, davon sechs in der Top 10, drei sogar vergoldet. Und das mit einer Kombination aus Dance, Electro, House und Pop. Ist das nicht bereits außergewöhnlich genug, sollte gerade bei dem Fakt, dass die Songs mit deutschen Texten versehen sind, endgültig der Hut gezogen werden. 2raumwohnung fanden 2000 eine Nische und bewiesen Ausdauer. Zwar reichte es nie für den ganz großen Hit – dafür gab die Presse und die große Fanschar ihnen stets recht. Nun ist Jubiläum. 20 Jahre 2raumwohnung. Zeit für eine Rekapitulation.
Inga Humpe und Tommi Eckart sind bereits sieben Jahre ein Paar, als 2raumwohnung an den Start geht. Genug Zeit, einander kennenzulernen, Ideen auszutüfteln. Zunächst war nur ein Werbesong geplant, kurz darauf war das Duo unter ihren noch heute bekannten Namen offiziell geboren. Humpe konnte da bereits auf eine lange Karriere zurückblicken. Mit den NDW-Bands DÖF und Neonbabies wurde bereits in den 80ern Chartsluft geschnuppert, daraufhin an der Seite von Falco, Stephan Remmler und Marc Almond als Gastsängerin gearbeitet. Ganz nebenbei gab es stets einen Austausch mit der großen Schwester Annette, die ebenfalls mit den Formationen Ideal und Ich+Ich im Rampenlicht stand und für Udo Lindenberg, Lucilectric und die Band ohne Namen komponierte. Eckart ist auch seit fast über dreißig Jahren Berufsmusiker, tobte sich im NDW und Punk aus. Keine schlechten Voraussetzungen für ein erfolgreiches, gemeinsames Projekt.
Und tatsächlich halten die Zwei hinter 2raumwohnung seit 20 Jahren nun die Stellung. Die Quintessenz der Neuen Deutschen Welle ist stets in ihren Songs erhalten geblieben und wurde durch moderne Beats ersetzt. Radiotauglichkeit? Weniger. Tanzbarkeit? Umso mehr. Nur selten näherten sich die Berliner an den Massengeschmack Deutschlands an und blieben sich stets treu. Ihre Texte waren speziell, ihr Sound kantig, die Stimme unvergleichlich. Damit besitzt die Band das, was viele Künstler ihr Leben lang suchen oder sich nicht trauen zu vermarkten: einen Wiedererkennungswert in einem wenig kommerziellen Genre, und das in Muttersprache.
Die Werkschau 20 Jahre 2raumwohnung präsentiert 20 Titel aus 20 Jahren in 78 Minuten, begleitet von zehn (leider keine 20) Konzerten [seht HIER unseren Vorbericht zur Tour mit allen Terminen]. Wer sich nun auf eine komplette Sammlung aller Singles freut, um alle bekannten Lieder zusammenzuhaben, wird allerdings enttäuscht. Leider.
Waren 2raumwohnung in ihrer Art stets konsequent, fährt der Versuch eine vollständige Kollektion zu liefern unverständlicherweise gegen die Wand. 13 Singles schafften es in die Charts, wovon nur zehn vertreten sind. Von den zehn Veröffentlichungen, die die Charts verfehlten, werden lediglich zwei beachtet. Die restlichen acht Songs auf der Best of setzen sich aus zwei neuen Titeln („Das ist nicht das Ende, Baby“, „Hier sind wir Alle“) und sechs Albumtracks zusammen. An die großen Hits wurde selbstverständlich gedacht. „Ich und Elaine“, „Sexy Girl“, „Spiel mit“, „Besser geht’s nicht“ und „36 Grad“ haben auch nach einiger Zeit nichts an Kreativität, Coolness und Ohrwurmfähigkeit verloren. Songs, die zunächst auf Unverständnis stießen und peu à peu Kultfaktor erreichten. Gerne als Soundtrack verwendet oder im Club als einer der wenig deutschsprachigen Songs auf den Playlists positioniert. In den passenden Momenten war und ist der Sound genau richtig und lässt nur die Wenigsten stillsitzen.
Dennoch wurden bei der Zusammenstellung einige unerklärliche Entscheidungen getroffen. Eine der erfolgreichsten Singles, „Rette mich später“ fehlt gänzlich, eine weitere große darf nur als Remix mit verhunztem Refrain mitmachen („Wir werden sehen“). Ja, mit einem Remix von Paul Kalkbrenner ist natürlich ein ordentlicher Name vertreten – aber ob man das wirklich braucht? Zwei weitere Songs erhalten einen neuen Edit („Da sind wir“, „Wir trafen uns in einem Garten (mit Max)“). Insgesamt liegt der Fokus entschieden zu stark auf den Anfängen. Mehr als die Hälfte der Auswahl stammt aus den ersten drei Alben – aus den daraus folgenden Longplayern gibt’s teilweise nur einen einzigen Song. Die Spielwiese „Melancholisch schön“ (2005) wird komplett übersehen, dafür kann man „Wir trafen uns in einem Garten“ in zwei Versionen hören. Aha!?
Wie so oft bei Best ofs ist für Hardcore-Fans wenig Neues dabei und diejenigen, die auf eine Greatest Hits gewartet haben, finden nun zu viele Lücken oder Alternativmaterial vor. „Das ist nicht das Ende, Baby“ passt hervorragend in das bisherige Repertoire und ist hoffentlich als Motto zu betrachten. Immerhin ist Humpe bereits 64 Jahre alt und ihr Lebensgefährte auch schon 57. Drücken wir also die Daumen, dass 2raumwohnung noch einiges zu sagen haben, auf der Tour ihre Liebhaber begeistern und somit über die leider nur mittelprächtige Jubiläumsveröffentlichung hinwegtäuschen können.
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