Am 19.5.17 gab es das erste The Kelly Family-Konzert seit Jahren. Die musikalische Großfamilie mit irischen Wurzeln gab ein halbes Jahr vorher bekannt, für ein Konzert in der Dortmunder Westfalenhalle wieder zusammenzukommen. Dass nur sechs der neun Mitglieder auf der Bühne stehen würden, war für kaum einen Fan ein Grund, nicht hinzugehen. Schnell wurden aus einem Konzert gleich drei in deren selbsternannten Wohnzimmer, das sie in den 90ern unzählige Male ausverkauften. Dazu stand ein neues Album in den Regalen und selbstverständlich folgte 2018 eine komplette Tour durch Deutschland und die Nachbarländer. In wenigen Monaten gibt es noch einige Open Airs und mit Sicherheit ist auch dann noch nicht endgültig Schluss.
Zuständig für dieses Riesencomeback ist der jüngste Spross Angelo, der mittlerweile mit seinen 36 Jahren auch alles andere als jung ist. Nötig hätte er das Comeback gar nicht gehabt, aber die Lust, seine Geschwister in der Form wiederzusehen, war immens groß. Dabei besitzt Angelo mittlerweile selbst fünf Kinder und ist mit seiner Jugendliebe Kira, für die er den Kelly Family-Hit „I Can’t Help Myself“ schrieb, auch heute noch zusammen. Das lebensbejahende Ehepaar und sein Kinderclan haben sich einen ähnlichen Lebensstil angeeignet, wie es Angelo aus seiner Kindheit kannte. Über mehrere Monate wurde durch Länder gereist, auf der Straße gesungen und das Leben als Vagabund genossen. Zwischen Kinder bekommen, Reisen und zu sich selbst finden veröffentlichte der sympathische Kelly-Liebling sieben (!) Studioalben in zwölf Jahren. Das letzte Werk, das seit wenigen Tagen erhältlich ist, hört auf den Namen „Irish Heart“ und läuft unter dem Namen Angelo Kelly & Family.
Das, was auf dem Cover steht, wird geboten: Angelo singt nicht alleine. Stattdessen haben seine Frau und Kinder mehrere Einsätze auf der Platte. Ähnlich wie bei der Kelly Family sind die Gesangsqualitäten unterschiedlich gut. Ganz besonders seine älteste Tochter Helen sticht mit einer sehr warmen, lieblichen Stimme hervor, die etwas an Birdy erinnert. Die noch sehr piepsigen Stimmen der jüngeren Kinder hingegen tragen etwas zu viel Happy-Hippie-Gemeinschaft in sich. Musikalisch bewegt sich das Album auf einem relativ schmalen Grat: die eine Seite verspricht schöne Popmelodien, die leicht beflügeln und einem das Herz erwärmen – die andere Seite verpufft im kitschigen Zuckerguss mit vorhersehbaren Harmoniefolgen und erweckt ein wenig Fremdscham. Zum Glück befindet sich der Großteil der Platte auf der ersten erwähnten Seite.
So wie der Name es andeutet, stellt „Irish Heart“ eine Sammlung an Songs dar, die sowohl traditionelle Folklorelieder beinhaltet als auch eigene Kompositionen mit Hang zur Heimatliebe. Eben genau das macht den Grat so schmal: Mit „Danny Boy“ oder dem Titeltrack „Irish Heart“ wird zwar irisches Feeling aufgebaut (Flöte, Harfe, Fiddle, Trommeln), dafür entsteht aber das Gefühl, dass der nächste Abend in einer Volksmusikparade angepeilt wird und nicht die Popcharts. „Paddy On The Railway“ hingegen macht mit seiner beschwingten Rhythmik Laune und sollte von einer guten Stepptanzgruppe optisch untermalt werden. Insgesamt zeigt das Album eine große Breite an Rhythmen, Melodien und Ideen, sodass keine Langeweile aufkommt und Instrumente auch mal für mehrere Takte allein sein dürfen. Wirklich emotionale Momente, die genau da treffen, wo sie sollen, sind das bewegende „Like The Movies“, das Popelemente und irische Instrumente grandios kombiniert, der ergreifende Gesang von Helen in „Fly Away“ und das authentische Protestlied „Oró Sé Do Bheatha Bhaile“, das schon von einigen Künstlern interpretiert wurde. „Fields Of Athenry“ ist vielleicht die beste Ballade, die Angelo seit 20 Jahren gesungen hat. Wem zwölf Songs nicht genug sind, hat auf der Deluxe mit 16 gleich vier Titel mehr. Einer der Bonussongs ist ein Cover des Massive Attack-Klassikers „Teardrop“ und auch das ist gar nicht so schlecht, weil es dem Ganzen genug eigene Ideen verpasst.
Für Fans von glaubwürdigen Klängen ist „Irish Heart“ von Angelo und seiner eigenen Familie absolut das Richtige. Tatsächlich kommt die Musik sehr persönlich daher, wirkt echt – auch wenn der eine oder andere Song wirklich sehr nah am Überkitsch vorbeihuscht. Das macht aber nichts, die paar Mal „Zu viel des Guten“ skipen wir einfach. Fans der klassischen Kelly Family-Songs sollten definitiv einen Blick wagen; Personen, die sich für die Kultur der grünen Insel begeistern können, haben ebenso gute Karten, eine feine Platte zu entdecken. Ein bisschen Special Interest, ein bisschen Easy Listening, aber musikalisch immerhin mit viel Herzblut und das sollte letztendlich das Wichtigste sein.
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