Billie Eilish – When We All Fall Asleep, Where Do We Go?

Billie Eilish When

Die wichtigsten Fragen zuerst: Löst das Debütalbum von Billie Eilish eine musikalische Revolution aus? Die Antwort ist: Nein. Handelt es sich um die Pop-Sensation des Jahres? Antwort: Möglich. Ist das Album gut? Antwort: Definitiv.

Na, da wurde aber mal wieder gehypt, was das Zeug hergibt, oder? Selten schaffte es die Publicity einen Newcomer so zu pushen wie das gerade einmal 17-jährige Mädel aus Los Angeles. Ihr erster Hit „Ocean Eyes“ ging bereits 2016 viral – geschrieben von ihrem Bruder. Seitdem gab es eine Milliarde Streaming-Klicks, zig ausverkaufte Gigs weltweit, eine EP, die in den USA Gold einsackte, insgesamt neun Songs in den Charts, darunter ein Duett mit Khalid, das sich auf dem Soundtrack einer der meistbeachtesten Netflix-Serien, „Tote Mädchen Lügen Nicht“, befand und gutes Marketing. Und das alles vor einem „richtigen“ Album. Trotzdem muss man das Ganze ein wenig abdämpfen: Billie kommt aus einer Schauspielfamilie und wird seit Kindheit an musikalisch ausgebildet. Ist natürlich schon was anderes, als wenn Lara Müller aus Unterhaching beschließt, ein bisschen Musik zu machen.

Aber genug an Randfacts, kommen wir zum Eingemachten: When We All Fall Asleep, Where Do We Go? ist womöglich eins der Alben, auf die Musikfans in diesem Jahr am meisten gewartet haben. Und das Warten hat sich wirklich gelohnt. Billie Eilish präsentiert sowohl mit ihrem Longplayer als auch als Person eine recht neue Form des Superstars. Gesangsdiva? Nope. Sexsymbol? Nope. Stattdessen stellen die 42 Minuten Musik einen Querschnitt aus sämtlichen trendigen Sounds der aktuellen Musiklandschaft dar. Hört man mal nur auf die Instrumentale der einzelnen Tracks, ist es fast schon unglaublich, dass alles von einer Künstlerin interpretiert wird. Heterogenität ist angesagt. Viel Trap, derber Hip-Hop, poppige Stomper, ein wenig Electro und sogar Free Jazz-Piano. Was gefällt, wird umgesetzt und ist dabei. So easy kann Musik sein. Genau dieser Ideenreichtum macht einen Großteil der Qualität aus.

Egal, ob wahnsinnig tanzbare Trips wie in „bad guy“, die klingen wie eine sehr schnelle, endlose Autofahrt auf Halluzinogenen und so derbe Bock machen, dass man es auf Repeat suchten will. „you should see me in a crown“ wirscht bereits seit einem halben Jahr durchs Netz, besticht nicht nur durch sein kongeniales Video, sondern ballert einem so deepe Basslines um die Ohren, dass es kaum gelingt, sich diesem Sog zu entziehen. „all the good girls go to hell“ wirkt old-schoolig und erinnert ein wenig an Lauryn Hill. Wem Lana del Rey zu langweilig ist, kann bei „wish you were gay“ einen ähnlichen Gesangsstil, gepaart mit aufwendigeren Klangspielen lauschen. „my strange addiction“ ist ein nasty Ohrwurm und kommt dann doch ein wenig lasziv. „bury a friend“ hätte als Single kaum besser ausgewählt sein können und zeigt, wie sensationell gute Produktion sein kann.

Das ist letztendlich auch das wichtigste Stichwort: Produktion. When We All Fall Asleep, Where Do We Go? ist nicht gut, weil Billie gut singt. Tatsächlich handelt es sich häufig um lethargisch-wirkenden Sprechgesang, Flüstern oder soften Linien, die keine große Technik erfordern. Generell ist das Album nur teilweise die richtige Wahl für Melodie-Fetischisten. Wer aber offen ist und einfach sehen will, was Soundmixing und tiefe Beats alles so leisten können, wird hier seine wahre Freude dran haben. Faszination zwischen Gruseleffekten und Tönen, die wie Elektroschläge wirken, gepaart mit Alltagsgeräuschen. Die Produktion ist eben wirklich Weltklasse. Ende der Diskussion. Leider geht der Platte dann aber im letzten Drittel ein wenig die Puste aus. Die letzten elf Minuten sind, da muss man ehrlich sein, nicht so das Gelbe vom Ei. Ja, Balladen schön und gut, aber hier ist dann doch ein wenig zu viel Sparflamme und zu viel Monotonie. Soll womöglich genau so klingen, macht nur die zuvor herrschende Energie ein wenig kaputt und zeigt eben, dass Billie nicht wegen Gesang Erfolg hat. Aber geschenkt. Ist Billie somit komplett austauschbar? Eben nicht. Letztendlich ist die Coolness, mit der all das transportiert wird, mit Sicherheit genauso wichtig.

Wer es also irgendwie geschafft hat, Billie Eilish zu ignorieren, sollte jetzt die Chance nutzen und zumindest mal reinhören. Eine Platte, die den Zeitgeist wirklich gut festhält, Soundbasteleien auf die Spitze treibt, durch optische Komponenten verfeinert wird und dennoch zu keiner Sekunde platt daherkommt. Klare Empfehlung.

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Und so hört sich das an:

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https://www.youtube.com/watch?v=DyDfgMOUjCI

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