Passend zum Albumtitel ziert das Cover der mittlerweile 13. Platte von In Flames ein mysteriöses Wesen mit einer düsteren Maske. Im passenden Titeltrack heißt es “So many faces, dressed in rags for all to see” – ein Satz, der nur folgerichtig zum Leitmotiv dieses Albums geworden ist. Denn derart facettenreich wie hier durfte man die Schweden bisher noch nicht erleben. Genre-Puristen werden natürlich aufschreien, aber mit dieser Entwicklung war spätestens seit dem 2016er “Battles” zu rechnen. Doch bei experimentierfreudigen Alben stellt sich immer die große Frage: Können die neuen Ideen mit den alten Großtaten mithalten?
Damit der Sound-Bruch nicht allzu dramatisch auffällt, beginnt “I, The Mask” jedoch noch recht klassisch. In “Voices” verbindet Anders Fridèn in gewohnter Manier gutturales Schreien der Verzweiflung mit melodischer Hingabe, Metal-Riffs und Drum-Geknüppel treffen auf weite Rock-Refrains. Melodic Death Metal eben, auch wenn das “Death” schon auf wankenden Füßen steht. Rund vier Singles veröffentlichten die Metal-Giganten im Vorlauf des Albums und diese geben eine recht gute Übersicht über das, was im Folgenden passiert. “I, The Mask” denkt den Opener noch weiter, indem die permanenten Wechsel aus Schreien und Clear Vocals noch schneller kommen – die Eigendynamik wirkt sehr mitreißend und wird durch tiefe Metal Riffs sogar noch prägnanter. Auch “Call My Name” und “I Am Above” untermauern die besondere Position, die In Flames im großen Metal-Spielfeld zuteil wird. Während Fridèn in ersterem sein breites Repertoire aus bösem Flüstern, wütendem Schreien und hingebungsvollem Gesang beeindruckend darbietet, ist “I Am Above” ein Empowerment-Kracher. Gerade will man seine Faust in die Luft recken, als diese schockartig in der Bewegung gefriert. Aus dem Metal-Gebrodel schält sich nämlich plötzlich eine Akustik-Gitarre. “Follow Me” ist eine Powerrock-Ballade, die die Unterstützung für einen Menschen mit Depressionen aussprechen will. Textlich bewegt sich die Band jedoch auf extrem simplem Niveau, was der Dringlichkeit sehr gegenwirkt, so dass der Song nicht wirklich berühren kann. Schon das folgende “(This Is Our) House” lässt dann wieder vertrackte Rhythmen zu, wobei die synkopischen Gitarren auf zwei entgegengesetzte Stimmen treffen. Würde man nun dem Trugschluss erliegen, dass “Follow Me” nur ein kleiner Ausrutscher war, wird man schnell auf “We Will Remember” und “In This Life” eines Besseren belehrt. Songs, die trotz kleiner Riffs nicht über den Fakt hinwegtäuschen können, dass In Flames aufs Formatradio schielen – und damit nicht mal nur unbedingt ein Rock-Radio in Erwägung ziehen würden. Per se natürlich längst keine außergewöhnliche Besonderheit in Zeiten, in denen viele Metal-Bands ohnehin nicht mehr viel für Genre-Konventionen übrig haben. Wenn sich In Flames dabei aber von Melodic Death Metal in Windeseile zu Pop-Rock verwandeln, ohne dabei jedoch noch einen besonderen Trademark-Sound bei dieser Transformation mitzunehmen, ist das ein waghalsiger Schritt, den viele Fans wahrscheinlich skeptisch beäugen werden. Zum Ende hin holt “I, The Mask” jedoch noch ein Mal Fahrt auf und baut in “Burn” und “Deep Inside” knallharte Passagen ein, die Clean Vocals verlieren wieder an Anteilen, Metal-Riffs bahnen sich in den zentralen Hörgang. Dann biegt das Album schließlich das letzte Mal ab und fragt in “All The Pain” immer wieder “Who Am I?” zu sehnsüchtigen Riffs, in denen Fridèn zum ersten Mal wirklich Gefühle in einem sanften Song herüberbringt. Auf die Frage findet man aber nicht so wirklich eine Lösung, denn so hinterlässt das Werk einen doch recht ratlos, insbesondere wenn auch der Closer “Stay With Me” mit Streichern in epische Balladen-Gefilde hervordringt. Dennoch, sind diese beiden letzten Stücke noch die schönsten ruhigen Arrangements des Albums.
“I, The Mask” ist der folgerichtige Titeltrack eines Albums, das zum ersten Mal eine so markante Zäsur in der Biographie der schwedischen Metal-Giganten markiert. Plötzlich scheinen in Flames ihren Masken-Schrank aufgerüstet zu haben – und wählen dabei vielleicht nicht immer die optimale. Experimentierfreudig schwankt das Werk zwischen den Ideen hin und her – und hat zumindest noch einige Songs dabei, die zu den besten der Band gehören. Gleichzeitig wandelt sich der Fokus merklich von Sound-Kumpanen wie At The Gates zu Bullet for My Valentine und Five Finger Death Punch. Wenn dies jedoch nur der Startschuss für eine ganz neue Ausrichtung ist, könnte die weitere Entwicklung die Band durchaus von einer Melodic Death Metal zu einer Format-Band verwandeln. Und die Fans können sich dann überlegen, ob ihnen alle Masken gefallen.
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Rechte am Albumcover liegen bei Nuclear Blast.
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