Jeff Rosenstock – NO DREAM

Cover von Jeff Rosenstocks viertem Soloalbum "NO DREAM".

Schon wieder beschert Jeff Rosenstock uns aus dem Nichts einen neuen Langspieler. Und schon wieder belegt der Amerikaner, dass er zum besten gehört, was zeitgenössischer Punk-Rock zu bieten hat. „NO DREAM“ heißt das gute Stück Musik, das kurz vor Ausbruch des Corona-Wahnsinns fertig und live auf Tape aufgezeichnet wurde.

Der Pressetext kündigt es stolz an: Jeff Rosenstock kann inzwischen von seiner Musik leben. Das ist für einen Punk-Musiker, der keine Stadien, sondern große Clubs bis kleine Halle füllt, gar nicht so selbstverständlich. „NO DREAM“ liefert dahingegen zahlreiche handfeste Beweise dafür, dass Herr Rosenstock nicht zu unrecht „sein Hak“ bekommt, wie man die verdiente Entwicklung in Deutschrap-Slang bezeichnen würde. Produzieren ehemalige Punker wie Green Day oder Blink-182 mittlerweile auf große Massen ausgelegten Pop-Rock, so bleibt Rosenstock der Szene und dem Genre treu ohne dabei das progressive Moment aus dem Blick zu lassen.

Punk

Da wäre also die Punk-Ebene, auf der Jeff Rosenstock-Solo-Platte Nummer vier alles auffährt, was das Genre in eine derart spaßige und reinigende Angelegenheit verwandelt: Wütende Ausbrüche, Fäuste-in-die-Luft-Momente – mit ein paar Bier intus fühlt sich das noch viel reinigender an (selbst getestet) – und selbstreflexive, aber auch gesellschaftskritische Themenkomplexe. Schon der Opener „NO TIME“ verliert keine Zeit und prescht eine knappe Minute mit 150 Sachen über die Autobahn in Richtung Punk-Himmel. „Scram!“ reiht wenig später Woh-Hoh-Sing-Along-Momente, hymnische Chorusse und brachiale Ausbrüche aneinander. An anderer Stelle schießt Rosenstock scharf ich Richtung Gesellschaft und System. So heißt es im monumentalen Titeltrack: „The only framework capitalism can thrive in is dystopia.“ Klare Ansage! Der Song bleibt nicht das einzige politisch angehauchte Stück. Auch wenn der 37-Jährige in „Nikes (Alt)“ über mitreißendem Instrumental vorrangig seine eigene Gefühlswelt erkundet, so tut er dies vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Mechanismen und ist damit indirekt politisch:

Lying to myself about things that I love, ’cause I’m distracted by public displays of happiness.

Fortschritt

Tatsächlich sind es gerade solche Stücke wie der eindringliche Titelsong und „Old Crap“, die repräsentieren, was Rosenstocks Verständnis von Progressivität kennzeichnet: Auch wenn beide Songs nach wenigen Minuten doch mit Four-To-The-Floor und Schrammelgitarren durch die kalifornische Prärie preschen, so nehmen sie sich vor und nach den Ausbrüchen Zeit für Melodieumgarnung. Ersterer mit Gitarren-Arpeggios, letzterer mit Akustik-Arrangements. „f a m e“ wiederum schraubt sich zu einem Punk-Rock-Moment der anderen Art in die Höhe, wenn das Mantra „You will not control me“ nach einigen Wiederholungen zunehmend hymnischen Chorälen weicht, die schlussendlich die Überhand gewinnen und in Richtung Schluss galoppieren. So geht gut arrangierter Punk! „State Line“ probiert sich zuvor an Eingängigkeit und knüpft seine Strophen an ein fiddeliges Gitarrenmotiv. Währenddessen zerpflückt Rosenstock den Einfluss des Dauer-Tourens auf seine zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Erfolg hat auch seine dunklen Seiten!

„Ohio Tpke“ steht als wahrhaftiger Trip zudem für den hervorragenden Fluss des Albums. So geschickt hier warme Gitarrensounds von Temposteigerungen und breiten Gitarrenwänden abgelöst werden und in einem melancholischen Klavierausklang münden, so teilweise unbemerkt und clever fließen die Einzelstücke ineinander. „NO DREAM“ erscheint dadurch noch mehr als Gesamtwerk als die rein stilistischen Elemente und vorherrschenden Thematiken eh bereits anmuten lassen. Dass Jeff Rosenstock inzwischen durchaus Wellen schlägt, erscheint seines musikalischen Outputs zum Dank deshalb gar nicht abwegig. Wenn im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch jemand den kommerziellen Durchbruch mit Punk-Rock schaffen kann, dann der 37-Jährige Amerikaner mit dem Händchen für gutes Songwriting. „NO DREAM“ zumindest sollte wieder ein voller Erfolg werden.

Das Album “NO DREAM” gibt es hier als kostenlosen Download gegen Spende und hier zum Kaufen*.

Und so hört sich das an:

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Die Rechte für das Cover liegen bei Polyvinyl Records / Specialist Subject Records.

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