Keine leichten News für Kelly Family-Fans: 2017 startete das bombastische Comeback der wohl bekanntesten und erfolgreichsten musikalischen Großfamilie irischen Ursprungs und machte fast drei Jahre die äußerst große Fangemeinschaft glücklich. Konzerte im dreistelligen Bereich, zwei Studioalben, drei Live-Veröffentlichungen – und nun wieder Funkstille. Eine kreative Pause auf unbestimmte Zeit. Für die Rückkehr, worauf über ein Jahrzehnt gewartet werden musste, war in erster Linie das jüngste Mitglied Angelo Kelly verantwortlich, der seine Geschwister zusammentrommelte. Nun sorgte er vor wenigen Wochen nur kurz nach dem Beginn der Pause für eine schockierende Nachricht: gerade er steigt aus. Die Publikumsmagneten Paddy, Maite und Barby waren eh schon nicht bei der großen Reunion dabei. Nun geht der Nächste. Gleichzeitig ließ Jimmy verkünden, dass bereits andere Konzepte geplant wären und es weitergehen wird. Gemischte Gefühle. Mal gucken, wie das konkret aussieht.
Angelo stattdessen kehrt dahin zurück, wo er sich in der Zeit vor dem Comeback, aber auch parallel am liebsten aufhielt: zu seiner Familie. Mit seiner Ehefrau, Jugendliebe und gleichzeitig ersten Freundin Kira hat der 38-jährige selbst fünf Kinder. Seit sieben Jahren wohnen alle gemeinsam in Irland und lebten vorübergehend ein ähnliches Vagabundenleben wie einst Angelo mit seinen Geschwistern und Eltern. Ungefähr seitdem wird auch gemeinsam unter dem Namen Angelo Kelly & Family musiziert. 2018 wurde der letzte Longplayer „Irish Heart“ (lest HIER nochmal unsere Rezension) veröffentlicht, der – was ein Zufall – von dem Erfolg des Kelly Family-Comebacks einiges mitnehmen durfte, Platz 2 in den Charts schaffte, mit Gold veredelt und ausgiebig auf Tourneen gefeiert wurde.
Doch drei Jahre pausenloses Rumackern saugt ordentlich Energie. So viele Auftritte mit der Kelly Family, so viele Studioaufnahmen, parallel dazu mehrere Tourneen mit der eigenen Familie, zig Fernsehauftritte und eine Teilnahme an Masked Singer auf ProSieben. Angelo selbst sprach in den letzten Wochen von einer Art Burnout, einer völligen Erschöpfung und dass er nun Kraft mit seinen Liebsten auftanken würde. So weit, so verständlich. Umso verwunderlicher, dass jetzt das neue Album Coming Home bereitsteht, um direkt mit neuer Musik anzuschließen. Wie wurde das denn so schnell fertig?
Coming Home bietet 14 neue Songs in 48 Minuten. Bei der limitierten Fanbox ist obendrauf eine ordentliche Ladung Merchandise dabei, die u.a. einen Jutebeutel, eine Lunchbox oder einen Schlüsselanhänger umfasst, dazu eine CD mit allen Instrumentals und eine DVD mit dem Making Of. Da kann sich keinesfalls beschwert werden. Leider sind jedoch auf der musikalischen Seite die verpuffte Motivation und Power deutlich zu hören.
Strenggenommen ist Coming Home gar nicht so viel anders als der Vorgänger „Irish Heart“, nur eben schlechter. Das Positivste: der authentische irische Sound. Wenn man sich auf eine Sache bei Angelo verlassen kann, ist es der typische Klang, den man beim Betrachten des Covers und auch beim Kennen der vorigen Werke erwartet, was auch daran liegt, dass Angelo bei jedem Lied als Produzent mitfungiert. Schließt man die Augen und lauscht den instrumentalen Versionen, hat man das Guiness im Pub in Dublin vor sich („Foggy Dew“). Das Negativste: gegen Coming Home klingen die letzten beiden Kelly Family-Alben fast wie Avantgarde-Pop, so überzuckert-kitschig und überraschungsarm ist der neue Ableger.
Auch die letzte Platte lugte bei einigen Songs Richtung Florian Silbereisen-Show – dieses Mal ist jedoch der Stammplatz gesichert, was leider dem etwas flachen Songwriting geschuldet ist. Vergleicht man die wirklich gelungenen Kompositionen von „Irish Heart“ mit denen Anno 2020, kann man gar nicht anders als zu sagen, dass die Qualität sich halbiert hat. Auch auf dem 2018er-Album gab es Traditionals und Coverversionen, aber kreativere. Dachte man zunächst, dass ein „Teardrop“ von Massive Attack der Untergang des Abendlandes werden könnte, stellte sich gerade diese Neuinterpretation als grandioser, sphärischer Folk mit Emotion heraus. Ähnlich gelungen waren die bekannten, aber nicht totgespielten Volksweisen „Lord Of The Dance“, „Danny Boy“ oder „Paddy On The Railway“. Diesmal hat Angelo aber anscheinend die „Mundorgel“ für sich entdeckt und irische Classics gegen „Country Roads“, „Home On The Range“ und „Wild Rover“ (auf Deutsch: „An der Nordseeküste“) getauscht. Abgeschlossen wird mit einer Live-Aufnahme von „What A Wonderful World“, in der selbst der Kleinste, William, ans Mikro muss und es in seinem Kindergartenalter tonal selbstverständlich komplett vergeigt. Muss das sein?
Doch auch auf Seiten der selbstgeschriebenen Lieder ist eine Minderung nicht von der Hand zu weisen. Der vorige Titeltrack „Irish Heart“ hatte Druck, einen Ohrwurmrefrain und Esprit. „Like The Movies“ als Duett zwischen Angelo und seiner Frau und das besonders in den Strophen sehr berührende „Fly Away“ von Tochter Helen haben gezeigt, dass der Singer/Songwriter von der grünen Insel sich absolut nicht zu verstecken braucht. Im Vergleich dazu fallen sehr religiöse Titel von Kira wie „Stay With Me“ oder triefende Liebesbekundungen in „Sweetest Rose“ deutlich ab und benötigen einiges an Toleranz. Insgesamt ist die Thematik in der Dreiviertelstunde einfach zu stark Bauernhof-Familien-Poesie und „Wir lieben uns alle“. Andererseits hat besonders der älteste Spross, Gabriel, mit „Don’t Know“ den besten Song beigesteuert und sich somit am stärksten weiterentwickelt. Die Zerrissenheit, ob man seine Jugendliebe nun heiraten sollte oder nicht, ist eben nicht die Thematik, welcher man ständig zuzuhören hat, sondern persönlich. „Regret“ von Helen ist dank Schwerpunkt aufs Storytelling auch weit charttauglicher, wenn auch nicht so berührend wie ihr Solo aus 2018. Unter den nicht selbstgeschriebenen Songs macht das rockige „Whiskey In The Jar“ die beste Figur und erhebt den Titel, der auch bereits Metallica gut stand, zu einem der Highlights.
Fans der Gruppe werden mit dem bedient, was sie erwarten, allerdings mit unübersehbaren Schwächen. Ein halbes Jahr absolute Entspannung, um dann den neuen Output mit besserer Essenz zu präsentieren, hätten Angelo Kelly & Family absolut nicht geschadet. So geht nun leider der Großteil von Coming Home eher als generischer, leicht plätschernder Schlager auf Englisch durch statt als folkige Hommage an die Heimat, was dem Clan mehr Ernsthaftigkeit schenken würde. Schade.
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Das du das Album von Angelo Kelly & Family nicht sehr magst und nicht schön findest, hat man ja jetzt verstanden. Aber zu behaupten, dass das letzte halbe Jahr bei den Kellys, insbesondere Angelo, Entspannung war, ist schon wirklich eine Frechheit! Er hatte mehr Durchweg-Programm als einige Künstler zusammen. Immer 2 Bands gleichzeitig, die zu allem Überfluss auch noch familiär gepflegt werden müssen. Mach das mal nach!
Und wenn irgendjemandem das “Kindergarten-Singen” von William nicht passt, soll er sich das Album nicht kaufen, ganz einfach.
Wer sich das Album von Angelo käuft, hat doch schon ungefähr eine Vorstellung. Es ist eine Familienband, da ist nicht jeder gleichgut. Aber die selben Chancen sollte man dennoch haben. In ein paar Jahren wird William mit Sicherheit einige Künstler alt aussehen lassen. Übrigens klang jeder Musiker in seinen Anfangszeiten wie ein “unprofessionelles Kind” oder ähnliches.
Trotzdem finde ich es gemein, ein Album, in dem mehr steckt, als du vielleicht zu hören vermagst, so runterzuziehen. Das war vielleicht in den 90er Jahren so, aber heute sollte eigentlich mehr Respekt und Vernunft walten!
LG
Hallo Leon, danke für deine Rückmeldung.
Dass meine Kritik bei Fans nicht auf Begeisterung stößt, ist mir total klar.
Allerdings habe ich nirgendwo geschrieben, dass das letzte halbe Jahr Entspannung war – im Gegenteil.
Da steht, dass Angelo viel zu tun hatte und ich deswegen glaube, dass das Album qualitativ nicht so gut geworden ist.
Mein letzter Absatz bezieht sich darauf, dass nun ein halbes Jahr Entspannung gut gewesen wäre, um DANN das Album erst rauszubringen.
Du kannst ja bei Interesse mal in meine anderen Kelly-Kritiken schauen, um zu sehen, dass ich generell die Band auch sehr mag.
Ich probiere aber trotzdem jede Veröffentlichung einzeln zu betrachten und für sich zu beurteilen.
Ehrliches Feedback halte ich immer für wichtig, egal, ob positiv oder negativ.
Schön, wenn dir das Album aber gefällt!
Viele Grüße
Christopher