Madonna – Madame X

Madonna - Madame X

64 Minuten das neue Madonna-Album und man hat danach das große Verlangen, endlich Musik hören zu können. Oder einfach Stille.

Doch von vorne. Wirklich gut stehen die Sterne für die „Queen of Pop“ (ja, so hat man sie mal tatsächlich genannt) gerade nicht. Die letzte Top 10-Single liegt sieben Jahre zurück und befand sich auf dem vorletzten Longplayer. Von den vorab veröffentlichten Songs der neuen Platte Madame X ist kein einziger in den USA oder in Deutschland gechartet. Das letzte Album „Rebel Heart“ brachte es auf insgesamt gerade einmal eine Million Verkäufe – und dann war da noch der große Promoauftritt beim diesjährigen Eurovision Song Contest, der einem Debakel glich. Ein Wettbewerb, bei dem Gesang und Performance im Vordergrund stehen. Beides war bei Madonna ein Totalausfall. Die Tonspur wurde für ihren Youtube-Channel nachträglich bearbeitet, was selbst Laien hören können. So viel dazu.

Was ist jetzt also ein guter Weg, um aus der Sackgasse herauszukommen? Bekanntlich hat die 60-jährige Frau Ciccone so ihre Probleme mit dem Älterwerden. Dass man sich optisch ziemlich verbastelt, ist bei den Promis keine Überraschung und somit zu verkraften. Irgendwie hat es auch Style, weiterhin so gelenkig und sporty zu sein und auf vieles zu pfeifen. Was jedoch mit Madame X geliefert wird, grenzt schon fast an Frechheit.

Man vergisst viel zu häufig, wie viele unglaublich gute Songs Madonna hatte. Ganz zu schweigen von den überragend inszenierten Videos, den mitreißenden Liveshows und den stets mutigen und wegweisenden Kleidungsstilen. Nur um nochmal sicher zu gehen, ein paar Beispiele: „Vogue“, „Like a Virgin“, „Frozen“, „Papa Don’t Preach“, „Music“, „La Isla Bonita“, „Hung Up“, „Material Girl“. Oder auch verkannte Geniestreiche wie „Human Nature“, „Erotica“, „Justify My Love“, „Bedtime Story“, „Rain“. Gleich mehrere Alben glänzen durch spannende Produktionen, sodass „Like a Prayer“ eins der besten 80er-Pop-Alben ist, „Ray of Light“ eins der besten 90er-Pop-Alben und „American Life“ ein stark unterschätztes Meisterwerk der 2000er. Selbst „Confessions on a Dance Floor“ hat in seiner Konsequenz voll abgeliefert.

Doch seit 2008 ist der Drops gelutscht. „Hard Candy“ hatte zwar noch den äußerst guten „4 Minutes“ und auch einige weitere gelungene Tracks zu bieten, war jedoch der erste Longplayer, der keine Trends setzte, sondern mit seinen Timbaland-Produktionen gut zwei Jahre zu spät kam – eben nach Nelly Furtado und Justin Timberlake, nicht vor denen. „MDNA“ war 2012 ein Werk für die Dorfdisco, das quasi nur aus wummernden, nervtötenden Bässen bestand und billige Mitsingmelodien bot. Auf „Rebel Heart“ wurde 2015 zuletzt probiert, einfach jedem zu gefallen. Gleich 19 Songs, die jeden Stil, jedes Genre austesteten, damit jeder mindestens ein Lied mag – und eben mindestens zehn nicht. Aber auch das funktionierte bis auf „Living for Love“, „Ghosttown“ und dem wunderbaren Titelsong „Rebel Heart“ wenig bis gar nicht.

Madame X geht noch einen Schritt weiter. Man könnte von Arbeitsverweigerung sprechen. Theoretisch ist es bestimmt möglich, dass Madonna genau einen Tag im Studio war, um das komplette Ding fertig eingesungen zu haben. Wobei von „Gesang“ eigentlich nicht gesprochen werden darf. Ja, Madonna war noch nie dafür bekannt, dass sie eine gute Sängerin ist, obwohl sie bei „Evita“ doch viele überrascht haben dürfte. Dass aber auch akustische Nummern ihr mehr als nur liegen, ist sowohl an „American Life“ als auch an der Balladen-Kompilation „Something to Remember“ zu hören. Sie kann es, wenn sie will. Aber sie will eben nicht. Kein einziger Song auf Madame X – und es gibt immerhin 15 zur Auswahl – übersteigt einen Tonvorrat von fünf Tönen. Häufig wird einfach gesprochen oder rezitiert. Es wird probiert, die Zuhörer zu beweihräuchern und große politische Reden zu schwingen, dass man spätestens in der Mitte des Albums in eine ablehnende Haltung übergeht. Wer es trotzdem bis zum Ende durchzieht, wird dennoch nicht wissen, wer die in mehreren Werbefilmen hoch-angepriesene Madame X nun sein mag.

Doch wenn schon nicht Gesang, dann bitte Melodie – aber auch die ist wenn überhaupt bei vier Songs zu finden („Looking for Mercy“, „Crave“, „Come Alive“, „Medellín“). Man probiert sich im Sound möglichst weltoffen zu zeigen und switcht beliebig zwischen Reggaeton, Dancehall, Latin, ein wenig Samba, R’n‘B und Dance-Pop hin und her. Wer „I Don’t Search I Find“ hört, fühlt sich an Momente aus „Vogue“ oder „Deeper and Deeper“ erinnert und wünscht sich, dass genau diese beiden Songs danach kommen. Wer auf dem letzten Album „Bitch, I’m Madonna“ mit Nicki Minaj schon kaum aushielt, darf nun die neue Variante „Bitch, I’m Loca“ (kein Witz) mit dem im spanischen Raum sehr bekannten Maluma genießen, die ebenso an Störgeräuschen nicht spart. Maluma darf sowieso gleich zweimal ran und rappt auch bei der ersten Single „Medellín“ mit, bei der Madonna wie der Gast kommt und nicht umgekehrt. Unglaublich, dass „Medellín“ in Schulnoten sich ungefähr bei 4+ einpendelt und tatsächlich mit „Crave“ einer der zwei besten Songs ist. Hier mag man immerhin noch ein wenig tanzen.

Kein einziger Track dieses Supergaus wird es in die Charts schaffen – mit Recht! Kein einziger Track wird in zehn Jahren auf einer Retroparty laufen – mit Recht! Das Ganze hat ein bisschen was von den letzten Alben von Björk in Poppig und mit keinem erkennbaren Konzept. Besonders schlimm wird es bei den collagenartigen Titeln „Dark Ballet“, „God Control“ oder „Batuka“, die vielleicht modern, edgy und fordernd klingen sollen, aber einfach wirken wie drei Remixe gleichzeitig. Man sucht als Hörer förmlich nach einem Strohhalm, an dem man sich festhalten kann und der einen durch den Song führt – es gibt ihn nur nicht. Stattdessen grässliches Autotune, das mal mit Gospelchören, mal mit einem genuschelten Intro und mal mit Samples aus Tschaikowskis „Der Nussknacker“ gepaart wird. Wow.

Vielleicht sitzt die Gute zuhause und lacht, dass abermals ihr Name reicht, um ein wenig das Konto aufzufüllen. Vielleicht handelt es sich auch um ein Werk, das seiner Zeit so voraus ist, dass wir es nicht verstehen. Bleibt man aber bei einem selbst und den gegenwärtigen Eindruck, weiß man gar nicht, welche Emotion man nun zulassen sollte. Trauer, dass Madonna zum wiederholten Male kein gutes Album herausgebracht hat? Schmerz, weil es teilweise so unerträglich beim Zuhören wirkt? Wut, weil man sich als Zuhörer oder gar Fan nicht ernst genommen fühlt? Zorn, dass man dafür Geld ausgegeben hat? Egal, was es ist – aber Madame X ist nicht nur jetzt schon das miserabelste Album 2019, sondern hoffentlich ein so großer Flop, dass Madonna es entweder komplett sein lässt oder sich dazu entscheidet, beim nächsten Mal endlich wieder Musik zu machen. Der letzte Funken Hoffnung möchte noch nicht sterben.

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