Maria Mena – They Never Leave Their Wives

They Never Leave Their Wives. Ein Albumtitel, der einem schon direkt sagt, was folgen wird. Maria Mena redet nicht lange um den heißen Brei. Maria Mena sucht die Konfrontation, findet eindeutige Worte, legt ihr Herz auf den Tisch, liefert Geständnisse und macht sich angreifbar wie nie.

Die 34-jährige Osloerin ist seit ihrer Jugend in ihrem Heimatland Norwegen ein Star. Bereits mit dem Debüt konnte eine Platinauszeichnung erreicht werden. Bei uns sollte es noch einige LPs dauern. Erst mit dem vierten Werk „Apparently Unaffected“ ging es 2005 in die internationalen Charts. In Deutschland zwar nur bis Platz 22, dafür aber gleich über ein halbes Jahr, sodass auch hier eine Goldveredelung drin war. Mit „Just Hold Me“ und dem 2008 folgenden „All This Time“ liegen zwei Songs vor, die auch über ein Jahrzehnt später immer wieder den Weg ins Radio finden und sich aus keinem Gehör wirklich verabschiedet haben. Zeitloser, seichter Singer/Songwriter-Pop.

Doch das private Leben und Erleben kann aus Leichtigkeit schnell ein Gefühl von Schwere machen. 2012 heiratete Maria, 2014 war das vermeintliche Glück schon wieder vorbei. Eine Phase, die tiefe Narben hinterlassen haben muss und die womöglich bis heute immer noch nicht ganz verheilt sind. Ging es in ihrem fünf Jahre zurückliegenden Album „Growing Pains“ bereits um den frischen Schmerz der zerbrochenen Ehe, ist 2020, das eh schon durch Corona von Tristesse durchzogen wird, der Moment, um noch einen Schritt weiterzugehen.

Mit They Never Leave Their Wives konzentriert sich die Frau mit der markant-luftigen und lieblichen Stimme auf lediglich 24 Minuten Musik. Gerade einmal sieben Tracks. Was quantitativ Fans äußerst enttäuschen könnte, wird hingegen auf der qualitativen Seite mehr als nur glattgebügelt. They Never Leave Their Wives ist der erste Teil des Albums – ein zweiter, optimistischerer soll folgen – und wird völlig zurecht in so einem überschaubaren Häppchen veröffentlicht. Konzeptuell wagt Maria viel und landet durch ihren fragilen Inhalt im Bullseye der Emotion.

Allein die Tracknamen sorgen für den ersten Klos im Hals: „Let Him Go“, „Lies (They Never Leave Their Wives)“, „You Broke Me“, „Miss Him Every Day“, „Not Ok“, „The Coversation“, „You Live And You Learn“ erzeugen einen Film vorm inneren Auge. Wo viele Künstler*innen behaupten, sie hätten ein Konzept, letztendlich aber doch nur lose zusammenhängende Songs liefern, zieht Maria ihr Programm durch. Ein Thema, aufgeteilt auf sieben Titel, die ausnahmslos das Prädikat „gut“ oder „sehr gut“ verdienen – und das eben nicht nur dank einer in sich schlüssigen Erzählweise, sondern auch musikalisch.

Maria berichtet von dem Gefühl, die Zweite zu sein. Diejenige, die der Sidekick zur langweilig gewordenen Ehe wurde. Die, die darauf wartet, den Mann ihrer Träume zu bekommen, wenn da doch nicht die Frau im Wege stünde, die er behauptet nicht mehr zu wollen. Maria beschreibt erzählte Lügen, verpasste Momente, tiefe Enttäuschungen und verpackt das in Hass gegenüber sich selbst, Neid und Eifersucht gegenüber der Anderen, purer Kränkung und Verletzung durch den Geliebten und ein Leben für den einen, befriedigenden Augenblick. Was sich entweder nach schepperndem Metal oder jammerndem, selbstbemitleidendem Singer/Songwriter mit Akustikgitarre anhört, klingt trotzdem überraschend wenig schwer. Mögen die Texte einen aufwühlen und traurig stimmen, ist das Arrangement typisch Mena. Mal treibender Orchesterpop mit Energie („Lies (They Never Leave Their Wives)“), mal sanfte Melodien mit viel Hall, Ohrwurmcharakter und Radiotauglichkeit („You Broke Me“).

Tendenziell ist Pop auch ohne großes Zuhören dazu fähig, zu begeistern. Ausnahmsweise sollte sich als Zuhörer*in aber wirklich die Zeit genommen werden, detailliert zuzuhören. Maria liefert schonungslos konkrete Lyrics, die nicht auf jede x-beliebige Liebesduselei passen, die Annika aus der 9b gerade mit Justin aus Klasse 10 erlebt, sondern eben Erwachsenenprobleme schildert. Ein Verliebtsein, das von dem Gegenüber nur vorgegaukelt wird. Die Macht, die man dieser einen Person gibt, ohne es zu wollen und damit permanent geschädigt zu werden. Das tägliche Vermissen, obwohl man genau weiß, dass es einem schadet („Miss Him Every Day“). Hoffnung, Weiterentwicklung und Erlösung sieht sie trotzdem („You Live And You Learn“). Maria reflektiert ihr Verhalten, das aller Beteiligten und macht mit eben diesem Perspektivwechsel einen Quantensprung auf Texterebene („The Conversation“).

They Never Leave Their Wives ist die Pop-Variante von Beyoncés „Lemonade“. Der Werdegang einer betrogenen und verletzten Frau, die mutig in die Zukunft schaut, weil sie keine Wahl hat, wie sie es selbst sagt. Die mal behauptet, ihr gehe es in Ordnung, obwohl dem nicht so ist und es eigentlich nur einen Hauch besser ist, als den Tag zuvor („Not OK“). Ein kurzes, aber dafür unglaublich intensives und wunderbar gesungenes Erlebnis, das authentisch wirkt und deswegen zum Mitfühlen und Nachdenken anregt. Lyrisch ein Meisterwerk mit Seltenheitswert und Vorbildcharakter.

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