„Serpentine Prison“ ist ein Statement. Ja, es ist mutig mit einem Album, das reduzierter ist als alles, was bislang unter deinem Namen das Licht des Tages erblickt hat, herauszutreten und dem Ganzen selbstbewusst den Stempel „Solo-Debüt“ aufzudrücken. Für Matt Berninger jedoch ist das ein Leichtes. Wer Matt Berninger ist, muss man eigentlich nicht mehr anführen: Eine Hälfte der Supergroup EL VY, neuerdings Solo-Künstler und – das wichtigste zuletzt – Frontmann der Indie-Rock-Heroen The National. „Serpentine Prison“ nun, sein erstes Album mit Solo-Material, umfasst zehn zumeist träge Stücke, die zwar breit arrangiert und produziert sind, im Kern jedoch auf das Mindeste reduziert bleiben. Wie schön das trotz seiner einengenden Beschränkungen ist, offenbart sich mit jedem Durchgang mehr.
Trotzdem: Matt Berninger macht es seinen Zuhörer*innen nicht leicht! Wirklich eingängig sind die Stücke nicht. Tanzbar auch nicht – auch wenn das Musikvideo zu „One More Second“ das anmutet. Und komplex: naja. Die simple Formel ist leicht beschrieben: Mal übernimmt das Klavier die Führung, mal die Gitarren. Streicher, Bläser, Schlag-Instrumente und weitere Gitarren stoßen im jeweiligen Verlauf hinzu. Dazu kommt Berningers markanter Bariton. Das war’s! Für ein derart mit Spannung erwartetes Album ganz schön unaufgeregt, oder?
Diese reduzierte Formel erklärt auch, warum „Oh Dearie“ eher der Soundtrack einer besinnlichen Weihnachts-Zusammenkunft ist als Arena-füllender Pathos-Indie. Akustik-Arpeggios, gelegte Piano-Chords und ein scheinbar tiefen-entspannter Berninger und schon lässt’s sich wunderbar melancholisch auf das vergangene Jahr zurückschauen. Diese nachdenkliche Stimmung trägt sich durch alle der zwei Handvoll Stücke. Ja, „Serpentine Prison“ ist ein Album zum Runterkommen und nicht der Soundtrack zu den vorausgehenden Party-Exzessen. Diese Party scheint in den späten Herbst- und frühen Wintermonaten stattgefunden haben – natürlich vor Corona. So rufen die Gitarren von „Loved So Little“ – an vierter Stelle – zwar sonnigere Assoziationen hervor, das groovige Klavier sowie die offen arrangierten Violinen, die diese umgeben, bringen jedoch herbstliche Soundstürme. Und auch das Duett „Silver Springs“ mit Gail Ann Dorsey, die lange Teil der Live-Band David Bowies war, atmet herbstlichen Soul.
Diese verträumte Grundstimmung trägt ebenfalls Berninger, der die großen Melodien im kleinen versteckt, sodass die wahre Schlagkraft der Gesangsläufe sich erst nach einigen Durchgängen offenbart. Erstmals treibt der 49-jährige seine markante Stimme zudem ins Falsett. Gerade „Distant Axis“ profitiert davon ungemein. Im abschließenden Titeltrack holt Matt Berninger dann aber doch noch zur großen Geste aus. Er konkludiert selbst: „Everyones screaming, I’ve been daydreaming.“ Verträumt klingt das schlussendlich zwar noch immer, als großes Finale eines besinnlich-euphorischen Konzertabends könnte der Song dennoch fungieren.
Dass „Serpentine Prison“ nicht – wie man durchaus nach dem ersten Anlauf vermuten könnte – an seiner Eindimensionalität zugrunde geht, liegt schlussendlich ebenfalls an der Produktion von Soul-Legende Booker T. Jones, die dem Songwriting die nötige Tiefe beisteuert. Ob die von links und rechts hineinschneienden Licks von „My Eyes Are T-Shirts“, die kleinen Soundgewalten nach den Refrains von „Distant Axis“ oder die Akzente setzenden Bläser von „All For Nothing“, jeder Song wird im Verlauf mit kleineren oder auch mal pompöseren Spielereien versehen. Hördurchgang für Hördurchgang offenbaren sich deshalb neue Ebenen, die die Songs bereithalten. Dennoch: Ungeduldige Zuhörer*innen wird Berninger hier schon längst verloren haben. Und vor dem Hintergrund ist „Serpentine Prison“ ein durchaus mutiges Unterfangen.
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