Vier Musiker im Proberaum. Gerät und dessen Transportutensil an der Wand. Die Tapete verwaschen in Green-Screen-Effekt, blauer Himmel, Schäfchenwolken. Szenewechsel: Menschenähnliche Steinfiguren vor Fachwerkhaus. Dazwischen tatsächlich eine echte Person. Dadrüber ein Filter, Comic-Stil. Später: Ein Wald. Die Belichtung auf Anschlag gedreht, die Bäume – vermutlich grün – nur als Schemen ausmachbar. Der Rest flimmert in grellem Weiß. So geht das weiter, knapp vier Minuten lang, IMovie-Effekt aus der Dose an IMovie-Effekt aus der Dose, einmal, bis die ganze Palette abgebildet ist. „Der Einzige Grund Aus Dem Haus Zu Gehen“ heißt der Song dazu, die Band Muff Potter hat ihn geschrieben. Er ist gut, glaubt mir, wirklich.
All das, es gehört zu einem größeren Ganzen. „Bei Aller Liebe“ nennt sich das, es ist das erste Album der Band seit deren eigentlichem Ende im Jahr 2009. Auf dem Cover-Artwork: Ein Portrait der vier Musiker, allesamt in verschiedenfarbiger Montur, ein sattes Orange-Gelb im Hintergrund. Wirklich ansprechend schaut auch das nicht aus, eher leicht trashig. So zieht sich das durch allerlei visuelles Begleitmaterial, befällt auch die anderen Bewegtbilder zur Musik: Der Videoclip zum satten „Ich Will Nicht Mehr Mein Sklave Sein“ etwa greift vielerlei Motivik aus dem „Der Einzige Grund Aus Dem Haus Zu Gehen“-Video vorweg – leider auch dessen triste Farbgebung und billig-anmutende CGI. Schlussendlich aber, ist es die Musik, die maßgeblich ist. Einmal durch deren etwas zu doll verschweißte Verpackung gekämpft, hält die so einiges bereit.
Pirschten sich Muff Potter seit ihren Punk-Anfangstagen in den frühen 1990er-Jahren zunehmend dem Indie an, so verkomplizieren Thorsten Nagelschmidt und Mitstreiter diesen Punk-Rock-Indie-Querschlag nun. Vier der insgesamt zehn Songs dauern über vier Minuten an, gleich drei über sechs, etablierte Strukturen und Textgewohnheiten fliegen über Board. Die Extremfälle: „Ein Gestohlener Tag“, der knapp acht Minuten lang läuft, erst Beobachtungsfetzen zu einem tristen Alltag zusammenfügt und diese Tristesse dann im sich immer wiederholenden Hippie-Gedräsche vertont. Turn out, tune in, drop out, sign up, fuck off. Und: „Privat“, der eine gerade mal 73-sekündige Einführung in Privatisierungskunde gibt. Generell, Nagelschmidt textet offensiver und kritischer denn je, über marktradikale Haltungen, Hyper-Leistungsgesellschaft, mörderisches (Schlacht-)Geschäft.
„Bei Aller Liebe“ kann zudem auch musikalisch auf den Punkt kommen. „Killer“ oder „Wie Kamelle Raus“ sind luftige Muff Potter-Hits, geeignet zum mitdräschen, eine alkoholische Hopfenbrause in der linken Hand, die Rechte wiederum zur Faust in die Luft gestreckt. Klassische Posen auf einem Konzert der Band. Etwas scheint dieser Hang zur Hymne dann also doch in deren DNA verwurzelt, ganz ohne spontanes Hakenschlagen. Stehen tut der Band beides und so trifft das Comebackalbum der Gruppe rein musikalisch die perfekte Mitte zwischen dem Vorwärts und dem Rückwärts. Wäre da nur nicht das Drumherum. Doch der Kampf lohnt sich.
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