Rosenstolz – Lass es Liebe sein: Die schönsten Lieder

Rosenstolz Lass es

Fast vier Millionen verkaufte Platten, ein dutzend Studioalben, unzählige Preise – all das und noch viel mehr gelang dem Berliner-Popduo Rosenstolz in insgesamt 20 Jahren Karriere. 1991 gegründet dauerte es einige Jahre, bis man wahrgenommen wurde. Ende der 90er gab es die erste aufrichtige Aufmerksamkeit, kleine Radiohits und sich langsam füllende Konzerthallen. Mitte der 2000er vervielfachte sich alles schlagartig, sodass AnNa R. und Peter Plate zum erfolgreichsten deutschsprachigen Popduo aller Zeiten aufstiegen und der gesamte Kosmos sich stets vergrößerte. Doch eines Tages war Schluss damit. 2009 erkrankte Peter Plate an einer chronischen Erschöpfung, die Tour musste mittendrin abgesagt werden. Bis heute sollten es die letzten Konzerte bleiben. Zwar gelang 2011 mit dem vorerst letzten Studioalbum „Wir sind am Leben“ ein weiterer Erfolgsgarant. Nichtsdestotrotz wurde auch dieser nach zwei Singleauskopplungen auf Eis gelegt. Das sogar für äußerst lange Zeit. Im Dezember 2012 entschied sich die Band für eine kreative Pause. Ein Ende? Unabsehbar.

Fast sechs Jahre und einige Projekte später passiert wie aus dem Nichts das, worauf Fans Ewigkeiten gewartet haben: am 31.8. ist um Mitternacht auf allen Kanälen der neue Song „Wenn es jetzt losgeht“ zu hören. Dazu eine Mitteilung von Plate, dass nach dem abrupten Ende von damals es endlich an der Zeit sei, dem Publikum gerecht zu werden und eine ausführliche und mit Liebe gestaltete Best of zu präsentieren. Diese gibt es nun seit wenigen Tagen im Handel und hört auf den passenden Titel: „Lass es Liebe sein – Die schönsten Lieder“.

Die Werkschau ist in zwei Ausgaben erhältlich. Die Standardversion umfasst 39 Titel, aufgeteilt auf zwei Tonträger. CD1 konzentriert sich dabei auf Songs, die seit dem 2004 erschienenen Album „Herz“ entstanden sind und den ganz großen Durchbruch repräsentieren; Silberling Nr. 2 sammelt sämtliche Hits und Live-Lieblinge aus der Zeit davor. Favoriten zu nennen ist dabei quasi unmöglich. Rosenstolz waren Deutsch, bevor Deutsch in den Charts überhaupt möglich war. Wenn es deutsche Musik gab, dann war das Schlager. Rosenstolz wollten nie Schlager sein und sind es auch nie geworden. Stattdessen schafften sie stets den Spagat zwischen lupenreinem Pop, elektronischen Spielereien und rockigen Elementen, gepaart mit klassischem Chanson. Textlich bewegten sie sich immer zwischen lebenstypischer Dramatik, Beziehungsproblemen, politischen Statements und humoriger Metaphorik. Besonders die Anfangszeit hob sich durch ihre Kreativität vom Einheitsbrei ab und wollte nie kommerziell sein. Auch später war der große Erfolg kein Kalkül, sondern vielmehr eine Belohnung für jahrelanges Durchhalten.

Einschlagende Klassiker wie „Liebe ist alles“, „Willkommen“ „Gib mir Sonne“, „Ich bin ich (Wir sind wir)“, „Wir sind am Leben“ oder „Ich geh in Flammen auf“ – jeder Song hat hier seinen Platz gefunden und darf in remasterten Versionen genossen werden. Beim bloßen Durchhören wird der eine oder andere bemerken, wie viele Stücke er doch eigentlich kennt. Neueinsteiger dürfen sich dann besonders an der 2. CD austoben und die Songs entdecken, die Rosenstolz groß gemacht haben: „Herzensschöner“, „Lass sie reden“, „Schlampenfieber“, „Königin“, „Nur einmal noch“, „Perlentaucher“, „Ich geh‘ auf Glas“, „Sternraketen“ – eine Liste, die man noch mindestens um 10 weitere Titel ergänzen müsste, um ihr wirklich Tribut zu zollen.

Doch eine einfache Greatest Hits wäre wohl nicht das gewesen, was die treue Fanschar zufriedengestellt hätte. Die bekommt dafür mit der Deluxe Variante etwas geboten, was selten so zu finden ist und so zufriedenstellend ausfiel: neben den 39 Standardsongs hält das 4CD starke Set gleich 38 weitere Lieder bereit, wovon der Großteil dem breiten Publikum nicht bekannt sein dürfte. Mehrere B-Seiten von diversen Singles (u.a. „Das Glück liegt auf der Straße“, „Der größte Trick“, „Mein Sex“), einige Albumtracks (u.a. „An einem Morgen im April“, „Mir graut’s vor diesen Leuten“, „Wenn du jetzt aufgibst“) und Demoversionen, die sogar den Hardcore-Liebhabern bisher versteckt blieben (u.a. von „Aus Liebe wollt ich alles wissen“, „Gib mir mehr Himmel“, „Weine nicht“). Alle aufzuzählen, würde den Rahmen hier abermals sprengen. Ein paar Anspieltipps an dieser Stelle aber trotzdem: die „Luft und Wasser“-Version von „Liebe ist alles“, eine bisher unveröffentlichte Liveversion von DEM Konzertsong „Lachen“, das wesentlich trübtraurigere „Feier das Leben“ (Ursprungsversion von „Gib mir Sonne“) und der äußerst mitreißende neue Mix von „Wie lang kann ein Mensch tanzen?“.

Wem das noch nicht genügt, darf sich über gleich sieben bisher unveröffentlichte Songs freuen, wovon nur vier auf der Standardversion anzutreffen sind. Mit dem eröffnenden „Wenn es jetzt losgeht“ startet das Album mit einem dynamischen und energiegeladenen Titel, den Rosenstolz selten so zu hören gaben. Melancholie gepaart mit positivem Lebensgefühl – ein Outtake aus dem letzten Album. Eine Schande, dass es nicht bereits 2011 den richtigen Platz fand. „Drüberstehn“ und „Muss nicht höher, muss nicht weiter“ sind zwei weitere Songs, die für spätere Veröffentlichungen gedacht waren, aber auch außen vor blieben – beide besitzen den typischen Charme, auch wenn sie nicht an die zwei anderen folgenden Überraschungen heranreichen. „Ich trag heut Weiß (denn du bist tot)“ könnte für Gelegenheitshörer ein wenig verkannt wirken. Das Überbleibsel aus dem 2000er-Album „Kassengift“ ist elektrisch aufgeladen, bitterböse im Text und auch gesanglich eher ungewöhnlich. AnNa präsentiert ihren Koloraturstil, den sie nach dem Album leider komplett ablegte. Ein Ohrwurmsong, ein klares Highlight. Nicht zuletzt ist „Lieber lebe ich ungewöhnlich“ ein Titel, der so edgy und lustig daherkommt, dass ein Lachen kaum zu unterdrücken ist. Peter darf im Background auf Englisch mitsingen, rhythmisch bewegt sich das fast schon Richtung Reggae und Calypso und versprüht wahnsinnig gute Laune. Abgerundet wird der neue Output mit zwei Küchendemos („Gelegenheitsgeliebte“, „Panik im All“), die Anfang der 90er aufgenommen wurden und charismatischen, individuellen Trash darstellen und ebenso eine Facette von Rosenstolz waren.

Weitere Argumente, sich die Deluxe anzuschaffen: eine DVD mit fast 160 Minuten Material. Ja, richtig gelesen. Nahezu drei Stunden Musikvideos am Stück, angefangen bei den Anfängen, endend in der Gegenwart, inklusive dem Minimusical „Irgendwo in Berlin“. Auch diese Videographie war längst überfällig und vergisst ausschließlich „Ich bin mein Haus“, das jedoch bildtechnisch dem neusten „Wenn es jetzt losgeht“ wahrscheinlich zu ähnlich war und kein zu großer Verlust ist. Außerdem ist dem Set ein Magnet mit dem Albumcover beigelegt. Alles stilvoll verpackt in einem über 60-seitigen, mit über 1000 (!) Fotos versehenen rechteckigen Buch, das sich in einem stabilen Pappschuber befindet. Wunschlos glücklich, oh ja!

Trotzdem hat auch das perfekteste Produkt die eine oder andere Macke, die an dieser Stelle erwähnt werden sollte. Natürlich bleiben sogar bei 77 Songs der eine oder andere auf der Strecke. Gerade die Auswahl bei den B-Seiten und Albumtracks ist selbstverständlich subjektiv gefärbt und lässt vielleicht ein paar gelungene Titel vermissen. Wirklich schade und etwas unverständlich fehlen jedoch mit „Nichts von alledem (tut mir leid)“ und „Ich bin mein Haus“ zwei Singles, die es in die Top 30 schafften. „Soubrette werd‘ ich nie“, das erste im TV vorgespielte Lied überhaupt, hat ebenfalls keinen Platz auf den vier CDs. Außerdem sucht man „Bastard“, das auf mehreren Touren groß gefeiert wurde, vergeblich. Gleiches gilt für den riesigen Titel „Alles wird besser“. Bei allen anderen Songs jedoch müsste jeder Fan womöglich seine eigene Best of zusammenstellen, so groß ist die Anzahl an Möglichkeiten. Des Weiteren diskutabel sind die neuen Versionen von einigen All Time-Favoriten. „Der Moment“, „Was kann ich für eure Welt?“, „Herzensschöner“, „Lass sie reden“ und „Sex im Hotel“ klingen in Teilen entschieden anders und es bleibt Geschmacksache, ob man diese nun besser oder schlechter findet. Schade ist nur, dass die neu abgemischten Fassungen auch auf den Videoclips der DVD gelegt wurden und gerade bei „Was kann ich für eure Welt“ eine asynchrone Spur nicht von der Hand zu weisen ist. Das war etwas unnötig.

Dennoch beweist „Lass es Liebe sein – Die schönsten Lieder“, dass Rosenstolz eine Band ist, die Jahrzehnte vor Forster, Bourani, Weiss und Co mit deutscher Musik ihr Publikum fand und Generationen berührte. Ja, selbst vor Silbermond, Juli und Wir sind Helden gab es sie und ist definitiv und ohne Diskussion Wegbereiter eben jener Künstler. Hoffen wir, dass es sich nun nicht um den nachgereichten Wermutstropfen handelt, sondern um einen Abschluss einer Ära, der die Tür für eine neue öffnet. Wir können sie kaum erwarten.

Das Album “Lass es Liebe sein: Die schönsten Lieder” kannst du dir hier kaufen.*

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