Zwölf Jahre ist es mittlerweile her, dass die vier Jungs von Tokio Hotel mit ihrem Hit „Durch den Monsun“ quasi über Nacht zu Superstars wurden. Zunächst im deutschsprachigen Raum, später auch auf dem internationalen Markt – eine ganze Generation wollte urplötzlich Deutsch lernen, um ihre Texte zu verstehen – konnten Tokio Hotel immense Erfolge verzeichnen. Jedoch polarisierte im Jahr 2005 und auch in den Folgejahren keine andere Gruppe so, wie die der vier Magdeburger und spaltete die Gemüter in zwei. Die Band um die Zwillingsbrüder Bill (Gesang) und Tom Kaulitz (Gitarre) sowie ihren zwei musikbegeisterten Freunden Gustav Schäfer (Schlagzeug) und Georg Listing (Bass), wurde schon damals von vielen verlacht und verspottet, während eine große Anhängerschaft auf der anderen Seite die Band nahezu abgöttisch verehrte und feierte.
Nun haben Tokio Hotel aber nach einer dreijährigen Pause ihr fünftes Studioalbum „Dream Machine“ herausgebracht. Das Album, das hauptsächlich von der Band selbst bzw. von Gitarrist Tom Kaulitz produziert wurde, spiegelt dabei vor allem das wider, was der Titel zu versprechen weiß: Es ist das Werk aus einer Traummaschine, die musikalisch genau das ausspuckt, worauf die vier Jungs jetzt mal Lust hatten.
Im Vergleich zu den letzten Alben wie „Schrei“ oder „Humanoid“ kristallisiert sich ein besonders futuristischer, neuer Klang heraus. Waren die Jungs zu ihren Jugendzeiten vor allem für ihren frechen, rockigen Sound bekannt, der dadurch zustande kam, dass jedes Bandmitglied sein spezifisches Instrument zum Besten gab, so finden sich auf „Dream Machine“ vor allem synthetische Klänge gekoppelt mit eben den realen Klängen der Instrumente, auf die in einzelnen Songs aber auch mal komplett verzichtet wird.
Bereits die erste Singleauskopplung „Something New“ ließ vermuten, dass das Album originelle Sounds und eben ‘etwas Neues‘ hergeben würde. Es sind futuristische, stark verzerrte, aber auch melancholische Klänge, die z. T. an den Pop der 80er-Jahre erinnern und ab und an sogar die typische 3‘20“er Radio-Länge überschreiten. Nichtsdestotrotz tut dieser Sound dem Wiedererkennungswert von Bills gehaucht-kratziger Stimme, der sich auf diesem Album besonders häufig (und gar nicht mal schlecht) im Kopfstimmengesang ausprobiert, keinen Abbruch.
Letzteres kommt besonders auf dem Stück „Boy don’t cry“ zum Ausdruck, in dem Bill sogar in dem sonst englischsprachigen Album singt: „She took me tanzen, all she wants to do is tanzen!“ Seine deutschen Wurzeln will er – obwohl er mit Zwillingsbruder Tom seit vielen Jahren in L.A. lebt – wohl nicht verleugnen. In welcher Sprache ein Lied von Tokio Hotel geschrieben wird, kommt schließlich auf die Stimmung an, in der sich die Band während der Produktion befindet. Die Traummaschine wollte diesmal also Englisch…
Die aktuellste Singleauskopplung „What if“ beschäftigt sich mit der Frage nach ungenutzten, ja gar verpassten Chancen und verdeutlicht auf musikalischer Ebene besonders gut den Entwicklungsschritt der Band: Eingängige Retro-Synths, fette Baselines und progressive Beats auf der einen Seite, gekoppelt mit dem Sound von realen, unveränderten Instrumenten auf der anderen Seite, die von einer eingängigen Melodie untermauert werden.
Obwohl Tokio Hotel mit „Dream Machine“ sicherlich einen gewaltigen Entwicklungsschritt in puncto Sound hingelegt haben und sich auf eine gewisse Weise mutig von sämtlichen Produzenten oder Plattenfirmen getrennt haben, um ihr eigenes Ding durchzuziehen, wird das Album mit Sicherheit nicht jeden Geschmack treffen. Es ist eben kein 08/15-Pop, sondern ein komplex-zusammengewürfelter, melancholischer Sound, der zum Nachdenken anregt und vielleicht hie und da etwas Kopfschmerzen bereitet.
Nichtsdestotrotz steht fest: Tokio Hotel sind erwachsen(er) geworden und machen noch immer Musik, die sich hören lassen kann. In Schubladen schieben lassen sie sich nicht und sind daher immer für eine Überraschung gut. Wer sie damals mochte, wird ihren Sound jetzt womöglich hassen, und umgekehrt. Das Album nur deswegen abzuwatschen, weil es von „Tokio Hotel“ kommt, wäre zumindest nicht fair. Ob sie jedoch an ihrem Mega-Erfolg von vor 12 Jahren anknüpfen können, steht in den Sternen. Aber selbst dorthin könnten Tokio Hotel ja dann mit ihrer „Dream Machine“ fliegen…
Und so hört sich das an:
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Tokio Hotel live 2017:
15.03. – Hamburg, Docks
16.03. – Frankfurt, Batschkapp
24.03. – Köln, E-Werk
25.03. – Stuttgart, Im Wizemann
31.03. – München, Tonhalle
01.04. – Leipzig, Haus Auensee
04.04. – Berlin, Huxleys Neue Welt
Die Rechte für das Albumcover liegen bei Starwatch Entertainment.
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