Eigentlich hätten wir es bei der ersten Single doch schon wissen müssen – Tom Odell scheint nicht grad die Sonne ausm Arsch. Irgendwo aber auch ganz gut, zumindest für die Zuhörer*innen. Wäre dem 30-jährigen Briten nicht regelmäßig schwer ums Herz, hätten wir kein so sensationell gutes Lied wie “Another Love” zu Ohren bekommen. Denn da kann man sagen, was man will: Der Song wirkt nach. Immer noch. Selbst neun Jahre nach seiner Erstveröffentlichung trifft die Pianoballade mit dem traurigen Text und dem aufbrausenden Aufbau weiterhin voll auf die 12 Liebeskummernerven.
Doch leider kann Thomas Peter Odell, wie der Herr gebürtig heißt, den One-Hit-Wonder-Fluch nicht richtig brechen. In Deutschland hat zwar eben jener Song Dreifachgold erzielt und auch das Debütalbum “Long Way Down” wurde vergoldet, doch danach enterte kein weiterer Track mehr die Charts. Dabei gab es sowohl auf dem gelungenen Erstling als auch dem ganz okayen Nachfolger “Wrong Crowd” einige Titel, die ähnliches Hitpotenzial mitbrachten. Aber wie so oft geht es eben nicht immer nur um die Musik.
Vielleicht zwar am richtigen Ort gewesen, nur zur falschen Zeit? Das Singer/Songwriter-Genre erlebte gerade in den 10ern einen dermaßen überladenen Boom, dass irgendwann auch einfach gut war. Noch ein Artist und noch einer und noch einer. War Tom Odell der eine zu viel? Wenigstens ist die Aufmerksamkeit in seiner Heimat nicht ganz flöten gegangen, sodass mittlerweile Album Nr. 4 in den Startlöchern steht.
Um zum Aufhänger zurückzukommen: Leiden kann der Mann. Mittlerweile scheint es ihm aber mental doch ein wenig schlechter zu gehen. Sein neustes Werk monsters erlebte seine erste Schreibphase 2019, als Odell – man kann es sich schon denken – von Ängsten eingenommen festsaß. Weitere Titel entstanden im Lockdown. Ein Song heißt sogar so, “lockdown”. Andere haben die Namen “numb”, “don’t be afraid of the dark”, “problems”, “lose you again”, “tears that never dry”. Ein Konzeptalbum mit bittersüßem Beigeschmack.
Dafür ist aber der Sound nicht reine Pulsader-Aufschlitz-Musik, die man am besten kein zweites Mal hört. Dass Odell nämlich keine Ideen habe und permanent das Gleiche mache, kann man ihm keinesfalls unterstellen. Bereits auf den Vorgängern war stets für Abwechslung gesorgt – die ist auf monsters sogar in mehr als ausgiebig vertreten.
Schließlich sind Monster ja auch vielfältig. Mal größer, mal kleiner, mal für Tage anwesend, dann nur für wenige Minuten. Die einen fressen einen auf, die anderen lähmen, manche bringen einen vielleicht sogar vor Irrsinn zum Lachen. Genauso heterogen und abwechslungsreich klingen die 16 Tracks. Tom Odell spielt mit Erwartungen, Effekten und auch mit Songlängen. Der kürzeste geht 0:39, der längste 6:07, dazwischen ist alles möglich. Es gibt zwar keine klassischen Intros, Outros oder Interludes, aber dennoch einige Fragmente, die eher der Atmosphäre dienen als alleinstehend zu wirken.
Manchmal übertreibt es der Künstler aus Chichester ein wenig. Zwar macht es durchaus Sinn, dass bei einem Album namens monsters die Monster wie “noise” oder “country star” plötzlich unerwartet verschwinden und Lieder deswegen absichtlich mittendrin abbrechen, aber ein wenig stört es das Hörerlebnis schon. Experiment hin oder her, das ist etwas over the top. Ganz und gar nicht over the top sind hingegen emotionale Titel voller Intimität, bei denen Odell sein Herz auf den Tisch legt und große, dramatische Melodiebögen spannt, die er einfach total drauf hat. Besonders herausragende Beispiele sind “monster v.2” und “lose you again”.
Ansonsten ist in den guten 43 Minuten Musik eine ganze Ladung Überraschungen zu finden. Songs, die mit minutenlangen, traumhaften Klaviersoli enden (“don’t be afraid of the dark”), sanfter Pop-R’n’B (“over you yet”), groovender Clapbeat à la Kendrick Lemar (“money”), Soundwaben aus dem James Blake-Schrank (“lockdown”) und gruselige Stimmverzerrer (“country star”).
Hoffen wir, dass Tom Odells Selbsttherapie ihm Energie zurückgeschenkt hat. Dass die Platte genau jetzt kommt, wenn endlich wieder das Leben einkehrt, stimmt optimistisch. monsters ist mutig, kantig, ein wenig zu ambitioniert, aber auch cool zu hören. Und vor allen Dingen vielschichtig genug, um es auch entdecken zu wollen. Gelungen!
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