Various Artists – Ku’damm 56: Das Musical

Der Kurfürstendamm ist einer der größten touristischen Spots in Berlin. Neben unzähligen Cafés, Bars und Restaurants kann man hier shoppen, bis die Kreditkarte verzweifelt anfängt zu streiken und sehen, was gerade In ist, was nicht mehr und was es noch nie war. Denn der Ku’damm, wie er liebevoll genannt wird, ist ein „Sehen und Gesehen werden“, ein Auffallen im großen Getümmel und ein Ort der vielen Möglichkeiten.

Das war er schon in der Nachkriegszeit. Als Zeichen des Wirtschaftswunders wurde er zum Mittelpunkt des bunten Stadtlebens. Was es hier nicht gab, gab es gefühlt nirgends. In diesem Szenario spielt die sensationell erfolgreiche ZDF-Produktion Ku’damm 56 nach einer Vorlage von Annette Hess, die erstmalig im März 2016 über die Bildschirme flimmerte. Einige Zeit später ist sie das meistaufgerufene Video in der ZDF-Mediathek, aus einem ursprünglichen Dreiteiler wurden bisher neun, spielend fortgesetzt in den Jahren 59 und 63. Die Thematik weiß sowohl zu fesseln als auch zu unterhalten. Die konservative, dreifache Mutter Caterina leitet eine Tanzschule in West-Berlin – ihre Töchter Helga, Eva und insbesondere Monika sind auf der Suche nach „mehr“. Helga und Eva können den Erwartungen der Mutter gerecht werden, nur Monika eckt ständig an und ist in Caterinas Augen unvermittelbar. Durch unglückliche Umstände entdeckt Monika aber ihren Hang zum Rock’n’Roll…

Und der ist bekanntlich die Sünde in Form von Musik. Mit – zumindest von außen so betrachteten – musikalischen Sünden und Auflehnung kennen sich auch Peter Plate und Ulf Leo Sommer aus. Anfang der 90er gründet Plate mit AnNa R. das Duo Rosenstolz und fällt beim Publikum gnadenlos durch. Zu frivol, zu versext, zu gay, zu Deutsch. An Plates Seite stets dabei sein damaliger Lebensgefährte Sommer, mit dem er die Songs komponiert. Es dauert Jahre, bis die auffallende Band Lorbeeren erntet. Der Rest ist Geschichte.

Seit 2012 pausieren Rosenstolz auf unbestimmte Zeit. Irgendwie passte es nicht mehr so richtig, alles war gesagt. Doch während sich die eine Tür schloss, gingen andere gleichzeitig auf. Zwar war privat für Plate und Sommer ebenso die Liebe verflogen, doch ein Leben ohne den Anderen konnten sich beide nicht vorstellen. Also beschloss man weiterhin Musik zu machen und erlangte mit den passenden Ideen ein fulminantes Comeback von Sarah Connor, entlockte auch Max Raabe, Annett Louisan, Barbara Schöneberger und einigen weiteren unerwartete Facetten und legte mit den Soundtracks zu den Realfilmen von „Bibi & Tina“ eine ganze Ladung Hits fürs Zielpublikum nach. Ein Paradebeispiel, wie gut ein Tapetenwechsel doch tun kann.

Doch was haben all diese Geschichten miteinander zu tun? Sehr viel. Plate und Sommer zeigten sich derartig begeistert von der HessKu’damm 56-Serie, dass ein Musical vor ihrem inneren Auge erschien. Zwar probierten sich beide 2014 schon mal in etwas kleinerem Umfang an einer Interpretation von „Romeo & Julia“ und schrieben dafür ein Konzeptalbum, doch 2021 wollen sie es wissen. Mit niemand geringerem als Stage Entertainment werden bei Ku’damm 56 nun keine halben Sachen gemacht. Hier wird aufgefahren. Plate und Sommer für die Musik, Hess für das Skript, Stage für die Produktion – das kann nur gut gehen.

Bevor allerdings Ende November im Stage Theater des Westens in der Landeshauptstadt auch auf den Brettern, die die Welt bedeuten, gezeigt wird, was in Ku’damm 56: Das Musical visuell und schauspielerisch steckt, ist schon zwei Monate zuvor der Gehörsinn aktiviert. Seit wenigen Tagen ist der Soundtrack zur Inszenierung in den Regalen und auf den Streamingportalen und gibt die passende Stimmung vor. Ganz nebenbei hat man somit auch genug Zeit, um die Texte auswendig zu lernen und dann vom Sitzplatz aus mitzusingen.

Denn das ist im Vergleich zu vielen anderen Musicals, bei denen oft erst die Bildebene dazukommen muss, um die Songs ins Ohr zu bekommen, auch schon ohne Ticketkauf möglich. Ku’damm 56: Das Musical ist schwungvoll und laut, mitreißend und energetisch, aber auch nachdenklich und rührend. Plate und Sommer gelingt bei 18 Kompositionen ein erfolgreicher Drahtseilakt zwischen musicalesquem Klang, ihrem typischen Deutsch-Pop-Sound, für den das Duo steht, und dem Schlager der 50s.

Ku’damm 56: Das Musical ist keine schwere Kost wie ein Wicked und auch kein Kitschbombast wie Elisabeth, sondern eher ansteckend-witzige Unterhaltung. Das erfrischt und funktioniert eben auch mal als alleinstehender Song, ohne groß die Geschichte zu kennen. Sommerlich-spritzig geht es mit „Monika“ los, dem der Protagonistin gewidmeten Song, der zunächst klingt wie eine neue Single von 2raumwohnung, dann aber mit Chören und Fanfaren losprescht und sich innerhalb eines Durchlaufs in den Gehörgang einnistet. Das Mitwippen mit dem Fuß ist unumgänglich.

Daneben sticht ins Besondere die Pop-Soul-Nummer „Berlin, Berlin“ hervor, die sich durch ihren eingängigen Refrain als absolutes Highlight entpuppt. Aber auch das epische Ende „Ich tanz allein“ kann durch ein großes Streicher-Arrangement das Herz erreichen und mit einem leicht schwitzigen Auge die Zuschauer*innen zurücklassen. Generell ist auf gesanglicher Ebene das Aufgebot spannend. Darf die männliche Hauptrolle von einem der größten Nachwuchstalente des letzten Jahrzehnts, David Jakobs, gespielt und besungen werden, der mit seinem Pop-Tenor jede*n beeindrucken wird, sticht zusätzlich Elisabeth Ebner hervor, die Caterina darstellt. Ihr Solo „Früher“ zieht alle Register und ist vom Anspruch wie von der Dramatik der „Moment to Shine“.

Schon zwei Monate vorab macht Ku’damm 56: Das Musical ziemliche Lust und kann dank seines augenzwinkernden Old-School-Schlager-Charmes und genügend Abwechslung im Songwriting mit Sicherheit Plate/Sommer-Fans sowie Musical-Freund*innen abholen. Jetzt heißt es nur noch „Toi Toi Toi“, dass Corona nicht die bereits für 2020 geplante Premiere ein weiteres Mal nach hinten schiebt. Denn wollen wir nicht alle ein bisschen Rumba tanzen?

Und so hört sich das an:

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