Sie ist 19, kommt aus Hamburg, ist bereits bei James Corden und Jimmy Kimmel aufgetreten und wird von Apple Music gefeatured. Nein, sie ist keine Tochter von irgendeinem Hollywoodstar, sondern lediglich eine Sängerin mit dem gewissen Etwas. Zoe Wees startet gerade mit ihrer Karriere, erlebt gegenwärtig ein Highlight nach dem nächsten, bringt nun ihre erste 5-Track-EP Golden Wings raus, und ist jetzt schon eine der ganz wenigen deutschen Künstler*innen, die jemals in den USA wahrgenommen wurden.
Allein dieser bloße Fakt verdient tiefen Respekt. Besonders schön dabei ist, dass Zoe nicht mit einem völlig überdrehten und unauthentischen Image oder gar einer aufmerksamkeitserhaschenden und aufreizenden Optik auffährt, sondern schlichtweg mit einer ordentlichen Portion Gesangstalent. Gleichzeitig wirkt sie als Person dennoch besonders, sieht sie nämlich in keinster Art so aus, wie man sich klischeehaft eine deutsche Newcomerin vorstellt. Hier fällt sie durch ihr Äußeres mehr auf, als sie es in den Staaten tun würde. Also ganz weit weg von schablonenartig in eine Form gedrückt – stattdessen kann sie einfach sein, wie sie gerne mag.
Dass das nicht immer so war, zeigt die Story hinter ihrer Debütsingle „Control“. Zoe litt als Kind an Rolando-Epilepsie, der typischsten Epilepsieform im Kindesalter, was ihr häufig in Vorhaben einen Strich durch die Rechnung machte und sie einschränkte. Doch sie biss die Zähne zusammen, glaubte an sich und fing an, mit 14 Musik zu machen – einer ihrer größten Pusher war ihre Musiklehrerin, der sie auch mit „Control“ danken möchte. Bevor jedoch „Control“ das Licht der Welt erblickte, war Zoe zunächst 2017 bei The Voice Kids an Bord, landete im Team Sasha und irgendwann vor der Tür, weil sie rausflog – doch nun überlegen wir nochmal, wie viele Gewinner*innen von Castingshows bisher richtigen Erfolg hatten. Aha. Geschadet hat ihr das Ausscheiden also nicht.
Im Gegenteil. Ed Sheeran (!) wurde auf sie aufmerksam und lobte ihre Stimme. Mittlerweile folgt Jessie J ihr bei Instagram – ihr größtes gesangliches Vorbild –, ebenso wie Lewis Capaldi und Sam Smith. Und mit denen nimmt es die Hamburgerin, die vorzeitig für ihre Karriere die Schule schmiss, nun auf. Golden Wings umfasst knapp 16 Minuten und fünf Tracks, die zu keiner Sekunde so klingen, als ob sie aus Deutschland stammen. Stattdessen legt die kraftvolle, soulige Altstimme dermaßen viel Emotion und Ausdruck in die Vocals, dass das allein schon ziemlich fesselt und für wohlige Schauer sorgt. Doch bevor die gesamte Welt kopfsteht: Die EP ist ganz gut, aber auch nicht mehr.
Denn leider halten die vier anderen Songs, von denen lediglich zwei noch unbekannt sind, nicht die Qualität, die die Monsterballade „Control“ vorlegte. Die Erwartungen wurden offensichtlich zu hoch geschraubt. „Control“ schaffte es in den deutschen Singlecharts zwar nicht über Platz 31 hinaus – was heutzutage eine lächerliche Platzierung ist –, aber hielt sich dafür fast ein Jahr in den Top 100 auf und bekam Gold. Anscheinend hat das europäische Umland sogar mehr Interesse als ihr Zuhause, so erreichte der wirklich grandiose Hit in der Schweiz eine dreifach Platinauszeichnung und ebenfalls Gold in Österreich, Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Norwegen und Italien. Nicht der schlechteste Start, den man so hinlegen kann. Das Lied, das bereits in einem Atemzug mit Capaldis „Someone You Loved“ und Adeles „Someone Like You“ genannt wird, hat aber eben auch das, was es braucht, um tief zu gehen: einen autobiografischen, berührenden Text, eine warme, eindringliche Stimme und eine Powerhook mit Ohrwurmfaktor plus dem Wunsch zum Wiederanhören.
Daran scheitern leider die restlichen vier Tracks ein wenig, wobei „Scheitern“ womöglich etwas zu hart ausgedrückt ist. Denn, wie bereits erwähnt, ist die Qualität der Produktion durchweg gelungen, sehr modern und aufwendig gestaltet. Die zweite Single „Girls Like Us“ ist der groovigste Teil der Platte. Ein netter Pop-R’n’B-Song, der sich mit dem Misstrauen von Mädchen beschäftigt, deren Herzen zu oft gebrochen wurden. Nett, aber doch einen Hauch zu wenig nach vorne treibend. Das macht der dritte Vorbote, „Ghost“, besser, hat aber ordentlich Rihanna und Ariana Grande geatmet. Insgesamt probiert man aus Zoe ziemlich auffällig eine deutsche Variante von Adele zu machen und das aber statt mit liebestrunkenem Orchester-Pop eher mit R’n’B und Soul anzureichern. Das ist in der Form in Deutschland auch kaum zu finden, international betrachtet aber nicht so revolutionär.
So gehen das bereits erwähnte, im Refrain äußerst druckvolle „Ghost“ und die beiden bisher unveröffentlichten „Hold Me Like You Used To“ und „Overthinking“ alle eine Spur zu Nummer sicher und zu stark den „Ruhige Strophe und Bombastrefrain“-Weg, der eben bei „Control“ so gut funktionierte, aber kein weiteres Mal derartig knackig zündet. Dass jeder Titel Züge aus ihrem eigenen Leben hat, ist für Zoes Musik ein klarer Pluspunkt – nur fehlt es dem Ganzen inhaltlich noch etwas an Raffinesse und Einzigartigkeit.
Golden Wings ist ein solider Anfang mit einer extrem starken Hitsingle, die auch in den nächsten Monaten nicht aus den Ohren verschwinden wird. Zoe Wees hat Potenzial, Starappeal und die passende Stimme – aber auf der EP auch leider nur Songs, die leicht gehobenem Charts-Pop entsprechen. Da geht noch mehr. Blut geleckt hat man als Hörer*in aber trotzdem.
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Und so hört sich das an:
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Woher bekommt man dieses Album jetzt noch? Da es nicht mehr neu ist finde ich nichts mehr darüber
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