Zoe Wees – Therapy

zoe wees therapy

Wie? Debütalbum? Die ist doch schon Ewigkeiten aktiv! Dennoch droppt Zoe Wees im November 2023 und somit mehr als dreieinhalb Jahre nach dem Megahit „Control“ ihre erste LP. Ein wahnsinnig gewagtes Zeitfenster, spielt man gehäuft nach einem dermaßen langen Verstreichen nicht mal mehr die zweite Geige.

Da muss man sich also schon sehr sicher sein, dass hier kein One-Trick-Pony ins Mikro haucht. Und schaut man, woher die 21-jährige Hamburgerin ursprünglich kommt, kann zweifelsfrei davon gesprochen werden, dass sie sich auf dem deutschen Musikmarkt etabliert hat. 2017, mitten in der Pubertät das erste Auftreten bei „The Voice Kids“ und verbeugende Anerkennung von Stars wie Ed Sheeran oder Jessie J. 2020 dann der tiefberührende Radiohit „Control“, der heute immer noch gut geht. 2021 die erste EP „Golden Wings“ , 2022 die erste Tour, einige Festivalauftritte und nun – 2024 winkt schon mit Wunderkerzen und Raclette-Grill entgegen – mit Therapy eine Auswahl auf Albumlänge. Zoe ist also seit sechs Jahren immer wieder präsent und hat damit manch andere Talente, von denen immer wieder geredet wird, auf dreifacher Länge abgehängt. Die Kombi aus starker Soulstimme und nicht klischeehaftem Erscheinungsbild tut der deutschen Musikindustrie auch einfach verdammt gut.

Leider bringt aber auch die allergrößte Promo-Maschinerie – darunter Auftritte bei „Germany’s Next Topmodel“, Interviews im US-Fernsehen bei Jimmy Kimmel und Jimmy Fallon sowie Plakate auf dem New Yorker Times Square – nur bedingt etwas. Ist es nicht etwas seltsam, dass der wohl meistgehypte Act Deutschlands, der auf so vielem Wege Unterstützung erhielt, von der jede*r andere deutsche Künstler*in nur träumen kann, dennoch nicht richtig zündet – und zwar weder hier noch international? Letztendlich bleibt es bei mittlerweile über 15 veröffentlichten Singles immer noch bei gerade einmal einem wirklich großen und einem etwas größeren Hit. „Control“ und der Nachfolger „Girls Like Us“ haben es auch ohne das ganze Tamtam geschafft. Bei allem danach wartet man immer noch auf den Knall, der wohl sehnlichst herbeigewünscht wurde.

Irgendwo ist Zoe Wees nämlich doch nicht das Wunderkind, was viele in ihr sehen, sondern – und da darf man eigentlich „Zum Glück“ sagen – einfach eine gute, sympathische Sängerin. Sie fällt durch ihre etwas unangepasste Optik auf, noch viel mehr durch ihre Stimme, aber den richtigen Starfaktor hat sie eher nicht. Nix da Showmaus. Aber das ist wirklich vollkommen ok. Womöglich etwas schade für die Marketingkosten, aber für ihr Seelenheil wohl das Beste. Denn jedes noch so schön verpackte Geschenk wird irgendwann auch mal gelüftet. Da kann man also um das Debütwerk Therapy einen noch so großen Spannungsbogen von fast vier Jahren aufbauen – inhaltlich bleibt man trotzdem bei einem „Ganz nett“-Urteil stecken.

Dass Zoe Wees es nun doch nicht zur deutschen Adele schaffte, liegt nicht an dem, was sie kann, sondern am Songwriting. Noch etwas mehr an der Produktion. Deutete sich das Ganze schon auf der EP an, fand man in vielen Nachfolgesingles weitere Hinweise und nun den endgültigen Beweis. 20 Songs – darunter neun, die es bereits zu hören gab – sind einerseits zwar nett gemeint, aber andererseits auch viel zu viel. Wie oft sind 20 Titel qualitativ auf demselben Level? Aha. Eben. Natürlich freut das die Fans, eine so große Ladung serviert zu bekommen, aber die ist auch nur möglich, weil man oft gar nicht erst den Anspruch anscheinend hat, Zoe Wees komplett scheinen zu lassen. Das Ziel sind die Airplay-Charts, nicht der Madison Square Garden.

Therapy und das Albumcover in Verbindung vermitteln, dass die Sängerin hiermit sowohl über ihr Innerstes, Persönlichstes berichtet, aber es auch einem Reifeprozess gleicht. Und ja, das glaubt man ihr sogar. Dem Alter entsprechend handeln die Lyrics von Krankheiten, mit denen sie copen muss, von Mobbing, von Familienstrukturen. Mehrmals steht ihr Vater im Fokus, den sie erst mit 16 kennenlernte und der seinen Pflichten viel zu wenig nachkam. Zoe hat einige Hürden bereits gemeistert. Es tut gut, dass sie davon erzählen mag. Allerdings muss musikalisch immer dick und dramatisch aufgetragen werden. Besonders an Leichtigkeit und Spaß fehlt es der Immer-noch-Pop-LP gewaltig.

Klar, wenn Themen schwer sind, darf man sie auch schwer präsentieren. Aber in der Masse tut sich Therapy einfach nicht den größten Gefallen. Über allem steht die schöne Stimmfarbe sowie mittlerweile auch gute Gesangstechnik von Zoe, das kann man ihr nicht absprechen. Für 21 hat sie wirklich was drauf und die Grundvoraussetzung, langfristig als Sängerin ihre Brötchen zu verdienen. Offensichtlich hat sie auch kein Problem damit, sich durch persönliche Anekdoten angreifbar zu machen. Doch warum wird das dann musikalisch oft so mittelmäßig umgesetzt?

Ruhige Strophe, Powerrefrain mit möglichst viel Herzschmerz-Belting. Untermalt von Soul-Pop mit kleinen Effekten. Genau dieses Schema wiederholt sich einfach viel zu oft. Gleich mehrere Titel klingen sehr ähnlich wie „Control“, allen voran „On My Own“ oder „21 Candles“. Beim Zuhören wartet man in der Produktion darauf, dass es entweder mal richtig knallt, einen völlig überrennt und dadurch in den Bann zieht oder es einfach mal akustisch mit etwas mehr glaubhaftem Gefühl ohne Gedönse drumherum geht. Stattdessen läuft besonders die erste Hälfte des Albums fast ohne große Berührung an einem vorbei. Und ja, „Control“ bleibt weiterhin das Brett.

Hin und wieder gibt es Wagnisse, die echt angenehm wirken. Hey, das ist eine so junge Frau, die braucht doch wirklich nicht in jedem Song völlig bedeutungsschwanger wirken! Genau deswegen ist der 90s-R’n’B in „That’s How It Goes“ ziemlich cool, den man so schon länger nicht mehr bekam und der ein bisschen was von Sugababes, Janet Jackson oder Sarah Connor zu Anfangszeiten hat. Noch besser macht es „You Ain’t Really Good For Me“, das auch mal die freche, aggressive Mittelfinger-Attitüde von Zoe zum Vorschein bringt und im Chorus mit kleinen Rock-Einflüssen zeigt, das Abwechslung möglich, offensichtlich aber nur im äußerst überschaubaren Rahmen gewollt ist. Der clubbige EDM-Titel „Don’t Give Up“ hätte gar Potenzial zum Sommerhit gehabt.

Aber man will eben in erster Linie lieber Trauer, innere Zerrissenheit, depressive Verstimmung. „Sorry For The Drama“, „Love Should Be Easy“, „Hold Me“, „Lifeline“ ist lupenreine B-Ware für jeden Lokalradiosender. Das kann zu jeder Stunde eingesetzt werden und tut niemandem weh. Es rempelt sich irgendwie rein, ist wie Musik von Adobe Stock. Genau aus diesem Grund ist aber Zoe Wees nur eine mittelerfolgreiche Künstlerin und nicht die erste Deutsche, die in UK und den USA komplett abräumt. Einfach, weil Gefälligkeit vor Kreativität und vor Mut geht. Wollen allein reicht nicht. Zoe Wees bringt vieles mit, aber wenn so hohe Erwartungen geschürt werden und so viel aufgeplustert wird, muss da mehr kommen. Oder was frisches anderes. Vielleicht lernt man das ja für die zweite Platte.

Und so hört sich das an:

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