Am 23.1., einem Donnerstag, werden mit einer Verzögerung von knapp einer Woche die Oscar-Nominierungen 2025 bekanntgegeben. Dass man zu spät dran ist, liegt an den schrecklichen Bränden in Südkalifornien und somit auch rundum L.A. Dieses Mal nicht auf der Liste der Glücklichen: Hans Zimmer. Möglich wär’s gewesen, schließlich reichte es auch für eine Nominierung bei den Golden Globes für “Dune: Part Two”, bei denen er sich jedoch gegen Trent Reznor von Nine Inch Nails für “Challengers” geschlagen geben musste. Bei den Oscars im kommenden März werden beide nicht nominiert sein, Zimmer hat dafür aber nun eine brandneue eigene Show im Metronom Theater Oberhausen. So what?
Wie gut es sich doch anfühlt, dass das einzige noch offene Musical- und ehemalige Stage-Theater im Ruhrgebiet endlich wieder strahlen darf. Seit Beginn der Pandemie sah es unglaublich schlecht aus, viereinhalb Jahre fand dort exakt gar nichts statt. Doch Ende November gab es mit “Der Geist der Weihnacht” ein hübsches Re-Opening, auf das wirklich sehr viele gewartet haben. Unter der Leitung von Semmel Concerts werden nun im flotten Wechsel fast monatlich neue Shows gefeiert, dabei geht man auch über die klassichen Musicalgrenzen hinaus – und nutzt die Gelegenheit, um The World of Hans Zimmer – An Immersive Symphony gar als Weltpremiere hier zelebrieren zu können.
Schon fast zehn Jahre gibt es das große Orchester-Konzert mit Kompositionen des wohl weltweit bekanntesten, lebenden Musikschaffenden aus Deutschland, der mittlerweile über 150 Filme mit Scores unterlegt hat, zwei Oscars (“Der König der Löwen”, “Dune”) sowie drei Grammys (“Der König der Löwen”, “Crimson Tide – In tiefster Gefahr”, “The Dark Knight”) und drei Golden Globes (“Der König der Löwen”, “Gladiator”, “Dune”) gewinnen durfte und für sehr viel mehr nominiert war. Hans Zimmer, gebürtiger Frankfurter, hat einen Status, bei dem man nicht mal selbst anwesend sein muss. Bei dem sich Film-Freaks freiwillig über zwei Stunden ein Orchester anhören. Bei dem klassische Symphoniekonzerte den nötigen Drive bekommen, um ein Nicht-Symphoniekonzerte-Publikum zu catchen. Die Tourneen ziehen um die Welt und machen überall die ganz großen Arenen voll. Mit The World of Hans Zimmer – An Immersive Symphony wird es hingegen fast schon intim.
Denn ob man sich den Raum mit über 10.000 Zuschauer*innen wie in einer Lanxess Arena oder mit nur 1700 Lauschenden wie im Metronom teilen muss, ist schon ein Unterschied. Klar, auf einer kleineren Bühne kann man somit auch nicht mit einem Chor auffahren, wie manche es von früheren Tourneen kennen, aber das äußerst trendige Wort “immersiv” im Titel verspricht dafür, sich mittendrin zu fühlen und die Musik nochmal anders zu erleben. Wird das gehalten?
Spoiler an dieser Stelle: Nein, wird es nicht. Eine Enttäuschung ist die neue Show in Oberhausen wiederum auch nicht. Doch der Reihe nach. Vor fast ausverkauftem Haus läuft die Weltpremiere an jenem Donnerstagabend. Einige Neugierige konnten den Abend zuvor schon zur öffentlichen Generalprobe kommen. Nicht einmal zwei Wochen lang freut sich das über 30-köpfige Orchester unter der Leitung von Christoph Bönecker, der zig Musical-Shows in Hamburg und sogar Asien anführen durfte, auf Besucher*innen. Am 2.2. wird bereits die letzte Vorführung anstehen. In einem 60 Minuten andauernden ersten und in einem gar 80 Minuten andauernden zweiten Akt gibt es einen Querschnitt aus vielen sehr bekannten und beliebten Soundtracks, die Film- und Musikgeschichte geschrieben haben.
Was gibt’s zu hören? Natürlich nur die Ohrschmeichler aus Zimmers Karriere. “Man Of Steel”, “The Rock – Fels der Entscheidung”, “King Arthur”, “Pearl Harbor”, “Rush”, “James Bond: Keine Zeit zu sterben”, “Wonder Woman”, “Dune” und “Interstellar” im ersten, “The Dark Knight”, “The Da Vinci Code – Sakrileg”, “Sherlock Holmes”, “Kung Fu Panda”, “Gladiator” und “Der König der Löwen” im zweiten Akt sowie “Inception” und “Fluch der Karibik” in der Zugabe. Ein paar Filme sind quasi immer gesetzt, überraschend sind dafür “The Rock” und “Wonder Woman”, die es so bisher selten bei The World of Hans Zimmer gab. Ein wenig schade ist dafür der Wegfall des sehr erfrischenden “Madagascar”-Scores. Gespielt wird das Ganze wirklich fantastisch von rund 20 Streichern, mehreren Bläsern, einer kleinen Rockband, zwei Menschen an den Percussions sowie drei enorm guten Solist*innen.
Der Eindruck, dass es sich um ein sehr diverses Orchester handelt, wird bei der finalen Abmoderation von Christoph Bönecker bestätigt. Er selbst sitzt an den Keyboards und steht auch nur zur Begrüßung und zur Verabschiedung auf. Mit Stolz stellt er die starke Violinistin Alexandra Tirsu aus Moldau vor, die viele packende Soli hat, aber vor allen Dingen im schwungvollen “Sherlock Holmes” auffährt und für großes Staunen sorgt – das ist mal Fingerfertigkeit. Nicht weniger berauschend sind die über 50 (!) Flöten, die der Litauer Saulius Petreikis spielen kann, aber zum Glück nicht alle mitgebracht hat. Stattdessen ist aber die Auswahl, die er spielt, auch für Nicht-Kenner*innen sowohl im Sound als auch in der Optik als sehr unterschiedlich wahrnehmbar. Ein wenig ärgerlich, dass in der ersten Hälfte des ersten Aktes der Sound einige seiner Soli nicht gut abnimmt und man die Flöten nicht immer hört. Dafür zeigt er mit breitem Grinsen im Gesicht, wie viel Freude ihm die Teilnahme macht. Nicht zuletzt ist auch Franzose Timothée Berte-Renou am Cello mit purem Elan bei der Sache und darf die volle Aufmerksamkeit bei einigen rockigen Momenten auf sich ziehen. Des Weiteren spielt er die Melodielinie von “No Time to Die” von Billie Eilish, die strenggenommen nicht Hans Zimmer komponiert hat, aber ok.
Neben den drei Instrumentalist*innen sorgen zwei Personen für den Gesang. Carla Chamoun darf neben einigen haunting Anmoderationen mit sehr viel Hall auch viel Vokalising, also Gesang ausschließlich auf Vokalen, zum Besten geben und brilliert insbesondere gen Ende im “Gladiator”-Part. Etwas unangenehm ist ihr doch sehr überzogenes Gestikulieren mit den Händen, da wäre weniger mal wieder mehr. Ihre powervollen Vocals sprechen auch so für sich. Zu wem jedoch die ausdrucksstarken Moves sehr gut passen, ist Sänger Futurelove Sibanda aus Simbabwe, der auf Zulu das berühmte “König der Löwen”-Intro rausschmettert und sogar einen Tanz im Publikum aufführt. Qualitativ geben hier alle Akteur*innen Vollgas, gar keine Frage.
Allerdings – und hier kommt nun der größte Kritikpunkt – ist das Marketing rund um die Show doch etwas sehr übertrieben. An Immersive Symphony und Schlagwörter wie “Theatre Experience” klingen natürlich äußerst groß und beeindruckend, dafür ist aber das, was nicht vom Orchester gezaubert wird, ein wenig low. Zu einigen Filmen gibt es für einige Sekunden Soundeffekte, darunter Fußstampfen, Motorgeräusche bei Rennen oder Grillenzirpen. Das wird auch stets durch eine Vielzahl an Boxen durch das Theater geschickt, hört man so aber mittlerweile auch in jedem gutausgestatteten Kino. Nett, aber auch nur nett. Auf der dreiteiligen Leinwand im Hintergrund laufen Visuals, teilweise auch Szenen aus den Filmen, allerdings eher zurückhaltend. Eine gute Entscheidung, allerdings wäre es schön, gen Ende jeder Suite zumindest kurz zu erfahren, aus welchem Film die Musik stammt. Das ist nämlich nur durch die Einspieler nicht immer erkennbar. Klar, “Gladiator” oder “Interstellar” kennt man – aber bei so manchem wird es dann doch zum nicht aufgelösten Rätselraten. Fantastisch ist dafür das Licht, welches in unterschiedlichen Farben wunderbare Stimmung erzeugt, durch den gesamten Raum fliegt und auch immer mal wieder mit hängenden Glühbirnen erweitert wird. Auf den Vorhängen und Wänden neben der Bühne warten des Weiteren ein paar Schattenspiele und atmosphärische Bildchen.
Vereinzelt gibt es noch Showelemente, die mal hübsch sind – zum Beispiel Rosenblätter – mal etwas überflüssig – zum Beispiel große Laken, hinter denen sich berührt wird – mal sogar richtig drüber wirken – allen voran das Hochziehen der Violinistin bei “Wonder Woman”, währenddessen sie in mehreren Metern Höhe weiterspielt. Das macht ein anspruchsvolles Konzert ein wenig trashig. Und Hans Zimmer? Taucht der überhaupt irgendwie auf? Ja, aber auch in überschaubarem Maße. Es gibt eine längere Anmoderation auf dem transparenten Vorhang vor dem Orchester, eine Abmoderation und Dankesworte sowie ihn selbst am Klavier zu “Inception”, was aber natürlich somit vom Band kommt. Schade: Auf Deutsch sagt er nichts, alle Ansprachen sind auf Englisch ohne Übertitel. Da wäre bei einer Weltpremiere in Oberhausen doch durchaus ein persönliches Video auf Deutsch drin gewesen.
Fast zweieinhalb Stunden wirklich wundervoll gespielte Musik von einem großen Orchester, das den Werken gerecht wird. Der Sound im Theater und die intimere Atmosphäre tun dem Ganzen gut und machen The World of Hans Zimmer – An Immersive Symphony zu einem nicht ganz so erschlagenden Massenspektakel. Allerdings sollten sich diejenigen, die bereits bei ähnlichen Tourneen waren, darauf einstellen, dass es nicht allzu viel Neues und auch keine wahnsinnig bahnbrechenden Effekte gibt, die die Show im Metronom in Oberhausen wesentlich sehenswerter macht als alle anderen. Kommt man nur wegen der Musik hin, hat man aber einen sehr schönen Abend.
Und so sieht das aus:
Website zur Show
Website / Instagram / Facebook zum Theater
Foto von Christopher Filipecki
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