Frohe Ostern 2019 aus dem minutenmusik-Team! Für diejenigen, denen Familienzeit nicht genügt, bietet BB Promotion an drei aufeinanderfolgenden Tagen zunächst in Dortmund, anschließend in Essen und Köln das passende Entertainmentprogramm. In schicken Konzerthäusern gibt es in jeweils zwei Vorstellungen das berühmte Filmorchester Babelsberg zu sehen – zunächst mit der Reihe Disney in Concert und dem Klassiker Arielle – Die Meerjungfrau, anschließend mit der Show Jagd auf 007 – Eine Nacht mit James Bond und einer Zusammenstellung aus mehreren Filmen der beliebten Agenten-Reihe. Die beiden Aufführungen in Dortmund haben wir so wahrgenommen:
Welches Publikum erwartet einen wohl bei einem Disney-Film am Nachmittag in einer gehobenen Location? Wer ausschließlich auf Familien eingestellt ist, liegt falsch. Das mag womöglich so bei Die Eiskönigin sein – ein Film, der allerdings bereits 30 Jahre auf dem Buckel hat, zieht dann doch eher bei den Menschen, die mit ihm aufgewachsen sind. 1989 durfte sich eine weitere Persönlichkeit in der großen Welt der Fantasie einen Namen machen und sich in die Herzen einer ganzen Generation spielen: Arielle – Die Meerjungfrau war nach vielen Jahren der erste Film aus dem erfolgreichen Hause, der wie ein Musical funktionierte und gleich eine ganze Handvoll Songs bereit hielt, die bis heute nichts an Charakter verloren haben. Somit ist das Jubiläum Anlass genug, den Film konzertant vorzuführen und die Musik in den Fokus zu rücken. Die Zuschauer sind größtenteils in ihren Zwanzigern und Dreißigern. Hier und da gibt es aber natürlich ein paar Ausrisse nach oben und vereinzelt auch sehr junge Gäste.
Das Konzerthaus Dortmund liefert zweifelsohne eine gigantische Akustik. Das ist weitläufig bekannt. Eine viel bessere Location kann also gar nicht ausgesucht werden, wenn man voll auffahren will. Für Arielle gibt es das Filmorchester Babelsberg mit gleich über 60 Musikern. Allein mehr als 30 Streicher sollen dem Sound gerecht werden. Geleitet wird die im Alter bunt gemischte Truppe von dem 36-jährigen Christian Schumann, der u.a. bereits in der Royal Albert Hall dirigieren durfte. Auf Seiten der Fakten stimmt hier demnach schon mal alles. Punkt 16h betritt die große Truppe die Bühne und sorgt direkt für Lacher, da einige Musiker die Bühne betreten und der Rest noch auf sich warten lässt. Die bereits Sitzenden schauen sich um und müssen selbst über die etwas chaotische Absprache lachen. Sobald aber alle sitzen und der Dirigent parat steht, kann es losgehen. Bereits die ersten Töne lassen großes erhoffen – selbst das berühmte Disney-Vorspannthema wird vom Orchester gespielt und holt einen direkt in eine andere Welt.
Spannend ist zu sehen, wie das Konzept funktioniert. Was genau bedeutet denn eigentlich Disney in Concert? Arielle läuft ohne Veränderung als normaler Film über der für ein drei Etagen großes Haus etwas kleinen Leinwand. Da der Film nicht im gegenwärtig bekannten 16:9-Format gedreht wurde, ist der Bildschirm also etwas komprimierter – dafür wurde aber die Bildqualität gestochen scharf aufgepimpt und lässt Arielle in tollen, satten Farben erstrahlen. Trotz einer etwas kurzen Länge von 83 Minuten Spielzeit gibt es nach 45 Minuten eine Pause. Insgesamt dauert die Aufführung dennoch inklusive Unterbrechung fast zwei Stunden, da als Ouvertüre nach der Pause und im Finale Medleys aus dem Film erklingen. Soundtechnisch wird dem Streifen außerhalb der Sprech- und Gesangsstimmen sämtlicher Ton entfernt und durch das Orchester ergänzt. Wir sehen also Arielle, hören die Stimmen der (zum Glück) 1990er-Originalfassung über die Boxen, lauschen aber ausschließlich der im Raum erzeugten Livemusik. Damit das fehlende Meeresrauschen und andere Effekte nicht auffallen, ist die Orchesterversion nun durchkomponiert, sodass nur wenige Stellen ohne Musik auskommen.
Gerade Musiker werden sich nun fragen: wie funktioniert da denn bitte das Timing? Die Antwort lautet: ganz hervorragend. Wer die Freude hat und in den ersten Reihen sitzen darf, kann beobachten, wie Dirigent Schumann auf einen kleinen Monitor schaut, der den Film parallel zeigt, allerdings getaktet. Oben rechts in der Ecke sehen wir die Taktanzahl und die Taktschläge, sodass Schumann selbst nicht mitzählen braucht. Vorteil für ihn. Auf der anderen Seite muss er dafür non stop fokussiert bleiben und kann selbst nichts retten, sollte mal etwas daneben gehen. Hier entscheidet eben der Film, wann die Musik spielt und nicht er. Umso beeindruckender ist es, dass das Orchester kein einziges Mal erkennbar patzt und alle von Anfang bis Ende stets on time bleiben. In den wenigen stillen Momenten leuchten Farben auf Schumanns Bildschirm auf, die ihm genau anzeigen, wie lang die Pause anhält und wann er für seine Truppe wieder den Stab schwingen darf. Eine tolle Technik. Allein diese Elemente führen dazu, dass man als Zuschauer gerne zwischendrin den Blick vom Film abwendet und mal schaut, was die Musiker und die Leitung so tun.
Dank des bravourösen Klangs erstrahlen die neu-arrangierten Stücke im wundervollen Glanz und berühren tief. Jeder Song behält seinen Charakter, wirkt halt eben nur etwas größer und klassischer als in der Filmversion. Auf Sänger wird verzichtet, sodass Kindheitserinnerungen geweckt und nicht zerstört werden. „Küss sie doch“, „Unter dem Meer“ und ganz besonders „Ein Mensch zu sein“ erzeugen pure Gänsehaut und bringen das eine oder andere Auge im Publikum zum Schwitzen. Der Film selbst hat aufgrund seiner berührenden und dennoch abwechslungsreichen Erzählweise und diversen einzigartigen Persönlichkeiten nichts an Charme verloren. Als Erwachsener ist es hingegen spannend zu sehen, wie vielschichtig mit Erziehungsmaßnahmen, Machtkämpfen, Feminismus, Toleranz gespielt wird, sodass Arielle thematisch auch 2019 noch funktioniert.
Trotzdem hat die Aufführung in Dortmund ein ganz großes Problem: die Tonspur ist oftmals viel zu leise. Es wirkt quasi so, als hätte der Tontechniker sich für eine Lautstärke entschieden und diese einfach konsequent so gelassen – das ist bei den großen Momenten, in denen das Orchester im Tutti spielt aber ein No Go. Gerade die lauten Songs, wie das Solo der Meereshexe Ursula führen dazu, dass man vom Gesang oder auch den Sprechparts NICHTS versteht. Hier hätte ganz leicht nachgepegelt werden müssen, sodass auch Nicht-Kenner den Texten folgen können. Super schade. Würde darauf nur ein wenig mehr geachtet werden, hätte man ein perfektes Konzert erlebt. So bleibt es aber leider bei einem sagenhaften Orchester, einem musikalischen Hochgenuss, ganz viel Nostalgie und einem akustischen Defizit, worüber wirklich nicht hinweggetäuscht werden kann.
Wenige Stunden später bei James Bond sind noch ein paar Plätze weniger im Publikum frei. Passend zur Primetime um 20h ist auch hier das Orchester pünktlich auf der Bühne. Die Zuschauer haben sich im Durchschnittsalter etwas nach oben hin verändert, außerdem ist die Garderobe ein wenig schicker. Die Babelsberger spielen in einer minimal kleineren Besetzung, viele Musiker sind ein zweites Mal an diesem Tag zu sehen. Ein paar Instrumente wurden ausgetauscht, sodass nun auch etwas jazzigere Instrumente wie Saxophone und Drums oder E-Gitarren gehört werden können. Abermals darf auf Seiten des Orchesters und dessen Sound nichts beanstandet werden.
Die Bildschirmgröße hat sich in etwa verdoppelt und kommt jetzt im gestochen scharfen 16:9-Format. Jagd auf 007 – Ein Abend mit James Bond zeigt, wie es der Titel vermuten lässt, keinen vollständigen Film, sondern viele Filmszenen. Gerade in der ersten Hälfte funktioniert die collagenartige Schnitttechnik hervorragend. Es wird sich für ein markantes Bond-Thema entschieden, z.B. die Bond-Girls, und dann in schnellen Wechseln diverse Bond-Girls aus allen Dekaden gezeigt. Das ist auf filmtechnischer Seite so gut, dass manchmal kaum auffällt, wann nun Material aus einem anderen Teil gezeigt wird. Wäre die Bildqualität der 60er- und 70er-Filme eine bessere, könnte man denken, man sieht Szenen aus einem Film, so gut wirken die Bilder aneinandergereiht und reißen mit.
Selbstverständlich sitzen mehrere Hardcore-Bond-Fans in den Reihen, die die Songs genau kennen. Zur Überraschung besteht ein Großteil der insgesamt 100 Minuten reinen Spielzeit aus diversen Scores. 80% des Konzerts sind instrumental und zeigen die volle Breite der Babelsberger. Die restlichen Momente werden durch zwei Gäste gesanglich begleitet. Ausgewählt wurden als Solist Dennis LeGree, der u.a. mehrere Hunderte von Vorstellungen im Starlight Express zu sehen war und als Backgroundsänger für R. Kelly oder José Carreras arbeiten durfte, und als Solistin Tertia Botha, die die jungen Zuschauer noch als Mitglied der Popstars-Band Preluders kennen dürften und sich ebenfalls in den letzten Jahren als Musicaldarstellerin bei Dirty Dancing, Bodyguard und Co. zu beweisen vermochte. Dennis singt an dem Abend „From Russia with Love“ aus Liebesgrüße aus Moskau und „We Have all the Time in the World“ aus Im Geheimdienst Ihrer Majestät; Tertia hingegen präsentiert die großen All-Time-Favoriten „Goldfinger“, „Golden-Eye“ und „Skyfall“ aus den gleichnamigen Filmen. Gemeinsam hört man sie in der Zugabe „Licence Revoked“ aus Lizenz zum Töten. Ganz besonders „Goldfinger“ sorgt für ein beeindruckendes „Wow“ an mehreren Publikumsecken und zeigt Tertia in Höchstform. Beide Sänger wirken in eleganter Abendgarderobe gut ausgewählt und werden ihren Jobs gerecht. Allerdings patzt auch hier die Technik erneut, sodass das Mikrofon der Sängerin ein gutes Stück zu leise ist und ihre tiefen Töne gegen den Wumms des Orchesters nicht ankommen. Unnötig. Kann einer den Techniker mal wachrütteln bitte?!
Zu sehen und hören ist Material aus einem Dutzend Bond-Filmen. Gerade die zweite Hälfte der Show sorgt mit ihrem Schwerpunkt auf Skyfall aber für eine ordentliche Länge. Es gibt zwar längere Szenen und somit ein intensiveres Filmerlebnis, dafür aber auch weniger Abwechslung. Natürlich wurden Songs ausgewählt, die zu den beiden Sängern passen – aber auch in dieser Facette wären einige Titel mehr wünschenswert gewesen, z.B. der letzte Bond-Hit „Writing’s On the Wall“, das markante Duett „Another Way to Die“ oder auch der Titelsong „Licence to Kill“, wenn schon der Film einen Teil der Show ausmacht.
Trotzdem wirkt das Publikum zufrieden und ehrt das Orchester mit Standing Ovations und Jubel in beiden Aufführungen. Beide Shows sind mit Eintrittspreisen von bis zu 80€ bzw. 90€ nicht günstig, liefern aber auf musikalischer Seite voll ab. Der Tontechniker ist in Essen und Köln hoffentlich einfach ein anderer.
Weitere Infos zu den Vorstellungen: Arielle / James Bond.
Foto von Christopher.
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