London Grammar, Kunst!Rasen Bonn, 01.07.2025

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Für London Grammar ein Ticket zu kaufen, ist ein wenig wie Lotto spielen: Findet es statt oder nicht? Ist Hannah gut drauf oder eher nicht so? Von Absagen über gekürzte Sets ist bei dem britischen Trio eigentlich alles möglich. Da gab es nicht nur einmal enttäuschte Gesichter, als zuletzt auch das Konzert im Herbst 2024 in Frankfurt gecancelt wurde. In NRW spielte die Band zuletzt im November 2017 in Köln eine komplette Show. Davor in Düsseldorf 2014 wurde vorzeitig abgebrochen. Für Fans teilweise ganz schön unbefriedigend. Doch wer sich mitreißen lässt und am 1.7., einem Dienstag, in Bonn auf dem Kunst!Rasen dabei ist, landet einen Glückstreffer und sieht eine fast perfekte Show des Indie-Acts mit eben jener unverkennbaren Gesangsstimme.

Der Kunst!Rasen bleibt seinem Image treu: Auch 2025 gibt es zwischen Ende Juni und Ende August 24 Shows zu sehen – darunter mehrere Artists, die man eher selten in Deutschland zu Gesicht bekommt. 2025 sind darunter neben London Grammar Bands wie Massive Attack, Cypress Hill, Smashing Pumpkins und Queens of the Stone Age, aber auch Solokünstler*innen wie Billy Idol und Bonnie Raitt. Bei Bedarf kann man erstmalig gar eine Flatrate für die komplette Saison kaufen. Lieber Kunst!Rasen, macht bitte genau so weiter! Das ist wirklich immer wieder überraschend und cool.

Andererseits bringt die Location aber auch immer so ihre Tücken mit sich. Rechtzeitiges Ankommen wird besonders mit PKW zwingend empfohlen, damit man nicht kilometerweit weg parken muss. Außerdem beginnen die Shows immer vergleichsweise früh, denn aufgrund von Anwohner*innen ist hier definitiv immer um Punkt 22 Uhr Sense. Voracts – wenn denn welche angekündigt sind, die gibt’s nämlich auch nicht bei jeder Show – starten meist schon zwischen 19 und 19:30 Uhr. Und sowieso empfehlen wir an dieser Stelle unbedingt ein Front-of-Stage-Ticket zu buchen. Das ist nämlich nur 10 Euro teurer als das normale, ihr steht sehr viel weiter vorne und bekommt so auch vom Sound mehr mit, der weiter hinten oft als zu leise wahrgenommen wird. Placebo haben dazu sogar schon mal verärgert vor ihrem Gig Zettel mit Entschuldigungen aufgehängt.

Doch bei London Grammar scheint im Juli 2025 alles irgendwie zu stimmen. Ok, das Wetter hat es wirklich etwas zu gut gemeint. Amtliche Wetterwarnung wegen Hitze, 35 Grad meldet das Thermometer während des Einlasses. Ausnahmsweise darf gleich ein Liter Wasser in Tetrapacks mitgenommen werden, damit bloß niemand kollabiert. Wenig überraschend kommen deswegen viele auch eher auf den letzten Drücker. Auch wenn das Konzert nicht ausverkauft meldet, so bietet der Front-of-Stage-Bereich nicht mehr viel unbenutzte Fläche, die neu aufgestellte Tribüne (gute Idee!) gar keinen freien Sitzplatz, aber im hinteren Innenraum noch ordentlich Luft, dafür aber auch wenig Schatten.

Um 19:20 Uhr gibt es einen erst kurzfristig angekündigten Support. Die Mighty Oaks aus Berlin spielen eigentlich seit Jahren nicht mehr als Vorgruppe, machen hier aber eine Ausnahme, wie Frontmann Ian Hooper erklärt. Sie seien eh grade mit ihrer eigenen Headliner-Tour unterwegs, mögen London Grammar sehr und finden die Location einfach schön. 40 Minuten lang gibt es ein Akustik-Set in der Stammkombo zu dritt. Das passt atmosphärisch richtig gut. Sehr entspannter, musikalisch souverän performter Singer/Songwriter-Country-Folk. Schön, dass das Genre nach Überpräsenz im vergangenen Jahrzehnt wieder etwas mehr Special Interest wird. Hier ist die Auswahl an diesem schwülen, harmonischen Sommerabend voll richtig.

Um 20:30 Uhr gibt es mit 80 Minuten das in NRW viel zu lang erwartete nächste LondonGrammar-Set. 80 Minuten ist im Vergleich zu üblichen Konzertlängen schon eher kurz, für Hannah (Gesang), Dan (Gitarre) und Dot (Keyboards, Drumcomputer, Schlagzeug) sogar etwas länger als üblich. 16 Songs stehen auf der Setlist, von jedem Album haben sie Songs im Gepäck, fokussiert auf das extrem erfolgreiche Debüt “If You Wait” sowie auf das 2021-Album “Californian Soil“. Vom aktuellen Werk “The Greatest Love” aus dem vergangenen Jahr sind nur drei Titel vertreten, vom Zweitwerk “Truth Is A Beautiful Thing” lediglich zwei. Besonders in der Live-Experience hat die Band gegenüber ihren Anfängen erheblich zugenommen. Das Auftreten wirkt sehr viel selbstsicherer, in sich ruhender und die Musik hat durch einige üppigere Instrumentierungen und Remix-Einschüben richtig coole Club-Momente, die man besonders in der Crowd gern wahrnimmt und genießt.

Live ist eben was anderes als Daheim. Daheim möchte man, wenn man London Grammar auflegt, wohl in erster Linie ein Gefühl von betrunkener Melancholie. Sich schön anfühlendes Traurigsein. Live kann das eigentlich nur in dunklen, nicht zu großen Räumen mit Sitzplätzen funktionieren. Die gibt’s aber bei Open-Airs nun mal nicht, sodass die Setlist fast 50:50 bietet – viel ruhige Sentimentalität, aber eben auch mehrfach tanzbare Ausbrüche. Eröffnet wird mit “Hey Now”, dem Opener des wirklich immer noch viel zu krassen Debüt-Longplayers. Das wirft einen ungehemmt knapp zwölf Jahre zurück, als das Trio wie im Sturm die gesamte Indie- und Dream-Pop-Szene umklammerte und ausnahmslos begeisterte. Auch nach so langer Zeit ist es immer noch “frightening”, wie es im Refrain heißt, wenn Hannah die ersten “Uhhuus” ins Mikro singt. Nicht selten werden ihre Vocals als engelsgleich beschrieben. In Bonn fahren unmittelbar Shivers durch den ganzen Körper. Soundtechnisch ist ab dem ersten Takt alles stimmig gemischt und bis Ende nie zu leise. Kompliment!

Die Band steht auf einer runden Bühne, die auf die eigentliche Stage gebaut ist. Die Empore ist mit zig Lichteffekten bespickt, die allerdings aufgrund der Helligkeit bis zum Ende nur bedingt funktionieren. Um 21:50 Uhr entlässt der Kunst!Rasen die Gäst*innen, da beginnt gerade der Sonnenuntergang. Ganz klar einer der wenigen Kritikpunkte, gibt es nun mal so manche Musiken, die das Dunkle und Bedrückende brauchen, um noch tiefer zu gehen – London Grammar ist dafür das perfekte Beispiel. So kann die aufwändige Lichtshow wenig gewürdigt werden. Richtig gut hingegen sind die stilvollen und artsigen Visuals, bei denen mehrfach eine Drohne um die Band fliegt. Sich bewegende Livebilder werden hier mit abwechslungsreichen Effekten gemischt und verzerrt. Kreative Idee. Nervig: Genau mittig vor der Bühne versperrt ein Kameramann die gesamte Show über einen Teil der Sicht. Dafür ist aber die Songauswahl quasi durchgängig ein Volltreffer.

Wenn das elektronische “How Does It Feel” auch bei so heftigen Temperaturen zum Tanzen animiert, Hannah sogar das Publikum zum Mitklatschen motiviert, dann aber nur Minuten später mit dem sensationellen Cover zu “Nightcall” fesselt, sodass kaum im Publikum geredet wird und alle sehr gebannt zuhören, hat das auf jeden Fall beeindruckende Kontraste. Neue Sog-Nummern wie “House” reihen sich gut ein, absolut perfekt wird es mit der fast schon rockig anmutenden Liveversion von “Metal & Dust”, bei der die Spannungskurve indiskutabel ihre Klimax erreicht. Hammer. Dazwischen gibt es von allen Mitgliedern sympathische Ansprachen, die in kurzen Augenblicken sogar richtig witzig sind. Nach “Big Picture” spricht Hannah eine Besucherin in den ersten Reihen an, die sie während des Songs beobachtet hat. Sie konnte in ihrem Gesicht sehen, wie sehr sie die Zeilen fühlt und gibt ihr deswegen den Tipp, die Person, an die sie während des Hörens schmerzhaft zurückdenken musste, unbedingt abzuschießen. Period.

Bei “Fakest Bitch” und “Darling Are You Gonna Leave Me” wird es akustisch. Der synthetische Anteil wird ausgeklammert, stattdessen kommen Akustikgitarre und Trommel zum Einsatz. Lustig: Obwohl “Darling Are You Gonna Leave Me” zu den ersten Songs zählte, die Hannah, Dot und Dan zusammen schrieben, kann sich Hannah einfach nicht den Text merken – sie hat ihn sicherheitshalber auf einer gelben Serviette notiert. Fair enough. Gesanglich gleitet sie leichtfüßig zwischen Brust- und fliegenden Kopftönen hin und her und verzaubert das respektvolle Publikum, das aus rund 5000 Besucher*innen besteht. Nur bei “Strong”, dem größten Hit, entscheidet sie sich etwas zu oft für die Kopfstimme und langt am Anfang tonal etwas daneben, sodass es dem Titel an Druck fehlt. Mit einem verlängerten Club-Outro endet das wirklich tolle Konzert mit “Lose Your Head”.

16 Songs und 80 Minuten sind knapp, besonders bei vier Alben, die immer überdurchschnittliches Material zu bieten haben. So muss man schweren Herzens auf “Rooting For You”, “Non Believer”, “Call Your Friends”, “I Need The Night”, “Into Gold” oder “You And I” verzichten. Dennoch zeigen London Grammar in Bonn eine ihrer stärksten Shows, die beweist, wie eigenständig, berührend und intensiv deren Sound einfach ist. Gegen einen weiteren NRW-Gig in einem dunklen Club mit viel Nebel und Stroboskop hätten wir dennoch nichts.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher Filipecki

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2 Kommentare zu „London Grammar, Kunst!Rasen Bonn, 01.07.2025“

  1. Diese sphärische Tiefe hat mich persönlich sehr beeindruckt . Mein zweites Konzert nach Greta van Fleet . Der Kunstrasen Bonn ist was ganz Besonderes und hat etwas provinzielles. Selbst die Akustik (Front of Stage) ist wirklich sehr gut , wie im Beitrag beschrieben

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