Am ersten Juli-Wochenende startet der Cologne Pride, der größte CSD Deutschlands. In den vergangenen Jahren besuchten über 1,2 Millionen Menschen die Parade, feierten Vielfalt und standen für Toleranz ein. Seit diesem Jahr gibt es einen guten Grund, schon ein Wochenende vorher in der Domstadt vorbeizuschauen – allerdings nicht im Zentrum, sondern an dem etwas abgelegenen Fühlinger See. Dort ist seit 1996 bereits das Summerjam-Festival beheimatet, doch nun folgt mit dem Rainbow Festival der nächste Anlass, um Musikinteressierte und die LGBTQIA+-Community an einem Ort zu vereinen.
Verantwortlich für das Ein-Tages-Festival ist Markus Krampe, der sich mit der “Olé”-Schlager-Reihe, dem “Glücksgefühle”-Festival, aber auch mit Die 90er Live und Die 80er Live einen Namen machen konnte. Auch wir waren bereits mehrfach bei einigen der Events dabei und wissen somit, dass hier für kleines Geld ziemlich viel geboten wird. Wer also bei den großen Festival-Preisen von 300 Euro und mehr nicht weiß, wie so etwas noch bei ständig steigenden Lebenserhaltungskosten zu stemmen ist, sollte nach Veranstaltungen der Markus Krampe Entertainment Group Ausschau halten, die – wie im Falle des Rainbow Festivals 2025 – für rund 60 Euro zehn Stunden Spaß bieten.
Im Aufbau gleicht das brandneue Rainbow Festival dem 90er Live in Oberhausen: Zwei Bühnen. Eine mit DJs aus dem Electronica-Genre, eine mit Pop-Acts im weitesten Sinne sowie einer kultige Moderation. Zwischen den Bühnen Gastronomie, Biergärten, ein paar Spaß-Stände. Viel spannender bei neuen Festivals ist hingegen, wie es organisatorisch klappt – und kommt dann beim Rainbow Festival durch das Label noch eine gewisse politische Ebene dazu, darf auch die nicht ganz außer Acht gelassen werden. Schließlich gibt’s genug Rainbow Washing da draußen, bei dem es nur um Profit während des Pride Month geht, aber wenig um wirkliche Unterstützung der queeren Community. Spoiler an dieser Stelle: Das Rainbow Festival macht schon in seiner ersten Edition sehr vieles richtig, lässt aber in zwei, drei Punkten noch etwas Platz nach oben.
Ganz toll ist der gesamte Ablauf: Trotz 22.000 Menschen, die sich auf die Premiere eingelassen haben, laufen die zehn Stunden Programm fast durchweg problemlos ab. Genügend Essensmöglichkeiten, eher selten lange Wartezeiten an Klos, kaum Gedränge. Auf dem großen Areal am Fühlinger See verteilt sich das Publikum angenehm breitflächig, sodass fürs Tanzen und Schwitzen genug Platz vorhanden ist. Besonders der Schweiß fließt hier in hohen Mengen, denn bei fast 30 Grad und wolkenlosem Himmel sieht man gen Ende des Tages sehr viele Sonnenbrände. Eincremen, Leute! Natürlich wird sich hier gern vieler Klamotten entledigt – viele dancen oberkörperfrei und in Strandoutfits. Wer sich richtig was traut, geht einfach nur in Stiefel und Tanga. Ja, auch das haben wir gesehen – und geben ein Shoutout an dich raus!
Das Publikum ist quasi durchgängig super entspannt, in Partylaune, aber auch sehr auf ein wohliges Miteinander aus. Dass hier ein Großteil der Pride-Crowd eine Preparty zum CSD feiert, ist schnell bemerkbar. Zur Hälfte ist das Publikum sicherlich queer, zur anderen Hälfte durch liebe Allies vertreten, die Viel- statt Einfalt suchen. Ähnlich vielfältig, manchmal sogar ein bisschen schräg ist auch das Lineup. Eben das, wofür man letztendlich dann doch in erster Linie vorbeischaut. Absolut stark ausgewählt ist Olivia Jones als Moderatorin der Hauptbühne, der sogenannten Sunshine Stage. Mit Sicherheit gäbe es auch noch 50 andere Drags in diesem Land, die sich für den Job anbieten – es muss nicht immer die Olivia sein. Aber zweifelsfrei gibt es mit der Schlagfertigkeit, dem Wortwitz, der Selbstironie und einfach auch der Routine durch die bekannteste Drag-Künstlerin Deutschlands ein hervorragendes Hosting-Paket. Olivia Jones steht schon immer für Sichtbarkeit, Diversität und die queere Community und ist deswegen absolut zurecht am Start.
Musikalisch gibt es auf der Aqua Stage, der DJ-Bühne, neun DJs, die jeweils eine gute Stunde einheizen. Darunter sind mehrere namhafte Acts, die man auch in der Szene kennt: DJCK gehört schon ewig zum queeren NRW-Partyfolk, mit Jodie Harsh gibt es eine Drag direkt aus London, Alle Farben landete in den vergangenen zehn Jahren mehrere Charthits, Gestört aber GeiL können gar ein Top-2-Album hier verbuchen – doch das absolute Highlight für die Tanzwütigen ist der non-binäre Felix Jaehn, von dem wirklich jede*r mindestens fünf Banger mitsingen kann. Völlig ekstatisch und mit breitem Grinsen schließt er den Tag ab und switcht zwischen queeren Hymnen von Lady Gaga sowie eigenem Songmaterial hin und her. Wahnsinnig sympathisch und absolut hervorragend gewählt.
Auf der Sunshine Stage gibt es eher einen Musikmix, der so viele Farben wie der Regenbogen zeigt. So wird auf der einen Seite nahezu jede*r Besucher*in mindestens einmal abgeholt, andererseits ist die Mische aber auch durchaus wild. Nach dem Opening gibt es mit Isaak, dem deutschen Vertreter beim Eurovision Song Contest 2024, Singer/Songwriter auf Gitarre und Klavier – das ist musikalisch, ganz besonders gesanglich absolut toll, gleichzeitig aber so wenig anheizend, dass es als erster Act irgendwie stört. Alle sind in Laune, haben nach einer stimmigen Eröffnung Lust, richtig abzugehen – und dann bleibt es die ersten 30 Minuten des Festivals einfach extrem ruhig. Isaak, du hast ‘nen guten Job gemacht – nur irgendwie im falschen Kontext zum falschen Zeitpunkt. Mit den Veedelperlen gibt es daraufhin mehrstimmigen Chorgesang (!) von einem reinen Frauen-Ensemble, das sich zielgerichtet durch die gesamte Musikgeschichte covert und super abliefert, aber eben auch den Knalleffekt auslässt.
Und dann wird es am frühen Nachmittag plötzlich richtig voll. Mia Julia ist seit einigen Jahren die größte Ballermann-Künstlerin und zieht das Publikum wie ein Magnet an. In ihren Songs treffen Schlager- auf Jumpstyle-Elemente, dazu hält sie eine Rede an die Community und betont als bisexuelle Frau ihre Dazugehörigkeit. Während ihres Gigs kann man beobachten, wie manche doch etwas mehr aufdrehen – womöglich haben einige Gäst*innen ein Ticket nur wegen ihr geschossen. Der Grat zwischen Safespace und leicht entgleister Prolligkeit ist hier kurzzeitig etwas schmal, geht aber noch irgendwie klar. Ansonsten gibt es mit dem Männerchor Grüngürtelrosen, der Kölschrock-Band Cat Ballou und den Karnevals-Dinos von Brings eine ganze Batterie an regionalen Acts, die eher nischig funktionieren. Die treffen beim Rainbow Festival auf sehr jungen Pop von Jayden Scott, der 2023 beim Finale von “The Voice Kids” dabei war, sowie auf Pop-Songwriter Kamrad, der letztes Jahr bei “The Voice of Germany” in der Jury saß und nicht zuletzt auf die sehr talentierte Zoe Wees, die ebenfalls durch das Format bekannt wurde, mit “Control” einen der größten Pandemie-Hits lieferte und mit ihrem Auftritt zwar wieder unter Beweis stellt, wie gut sie gesanglich ist, aber leider ihre Stimme völlig unnötig unter zu viel Backings gemischt wird.
Doch damit nicht genug gibt es mit den Vengaboys ein wahres Party-Ass im Ärmel. Trotz neuer Sängerin, die erst seit dieser Saison mitwirkt, ist der Auftritt wie immer super spaßig und bringt die Menschentraube zum Mitsingen. Mit den Weather Girls kann die Community einen der größten Gay-Evergreens überhaupt live hören, nämlich “It’s Raining Men”. Das wird mit viel Jubel und Attitüde begrüßt. Zwischendrin gibt es noch einen kleinen Auftritt von dem in Köln ansässigen “Moulin Rouge”-Musical, in dem seit Ende 2022 einige queere Hymnen wie “Lady Marmelade” oder “Fireworks” von Katy Perry zu hören sind. Ok, Musical, ESC, Kölsche Mundart, 90s, 80s, Ballermann – hier sind offensichtlich keine Grenzen gesetzt.
Den ultimativen Höhepunkt erlebt das Rainbow Festival zur besten Sendezeit: Gegen halb 9 betreten die No Angels die Bühne. Es scheint wirklich niemanden an dem Tag zu geben, der das kultige Quartett nicht sehen möchte. Seit vier Jahren sind Lucy, Sandy, Jessica und Nadja zurück und bringen seitdem immer wieder sämtliche Hallen und Festivals zum Beben. Auch am Fühlinger See ist es kurz vor dem Gig nahezu unmöglich noch einen guten Platz zu bekommen – alle feiern das stark ausgewählte Set, das mit “Daylight”, “Something About Us”, “Feelgood Lies”, “Let’s Go To Bed”, “One Life”, “Rivers Of Joy”, “There Must Be An Angel”, “All Cried Out” und “Still In Love With You” nur das Best of the Best liefert. Der Höhepunkt des Tages, der durch den Veranstalter Markus Krampe genutzt wird, um die nächste Edition des Festivals anzukündigen. Doch dazu etwas später mehr.
Schade, dass nach dem Überkochen durch Deutschlands erfolgreichste Girlband der Abschluss ordentlich abfällt. Zunächst wird es mit den Village People schon durch das bloße Auftreten kritisch. Dass die Band weiterhin in traditionellen Gewändern der indigenen Bevölkerung auftreten, ist sowieso schon uncool. Das Klischeebild, was mit Polizei- und Bauarbeiteroutfits bedient wird, ist womöglich noch mit etwas Augenzwinkern irgendwie ironisch zu verkraften. Allerdings trat die Gruppe im Frühjahr bei der Antrittsrede von Trump auf, der sich schon zuvor öffentlich gegen die Rechte der LGBTQIA+-Community aussprach. On top äußerte sich der Frontmann der Band gegen die Nutzung von “Y.M.C.A.” als Gay-Hymne. Schwierig. Dieses Verhalten wird seitens der Besucher*innen mit Missachtung bestraft: Fast alle ziehen nach den No Angels zu Felix Jaehn rüber, einige buhen die Village People sogar aus, viele zeigen sich aber einfach regungslos und machen gar nichts.
Wie man anfängt, so sollte man enden. Eurovision zum Einstieg, Eurovision zum Abschluss. Ungünstig: Für Loreen als Headlinerin, zweifache ESC-Siegerin (2012 und 2023) bleiben um 22:45 Uhr nur noch 15 Minuten. Eigentlich sollte sie schon um 22:20 Uhr beginnen, jedoch verzögert sich der Ablauf ein wenig, sodass ihr Gig am meisten darunter leidet. Strenge Auflagen wegen Ruhestörung und so, man kennt’s. Allerdings nutzt sie diese Viertelstunde nicht, um für einen Rund-um-sorglos-Abschied zu sorgen, sondern spielt von ihrem Überhit “Euphoria” lediglich eine enorm lange Dance-Remix-Version. Mehrfach fragt sie, ob das Publikum sie überhaupt höre – hat sie womöglich Tonprobleme und kann sich selbst nicht verstehen? Sie ist sichtlich etwas enttäuscht von dem eher verhaltenen Mitmachen der Crowd. Danach gibt es den Song “Is It Love”, den nur Hardcore-Fans kennen, daraufhin einen rituellen Tanz – so nennt sie es selbst – zu sphärischen Sounds und zum Finale zum Glück eine fast normale Version von ihrem zweiten Gewinner-Lied “Tattoo”. Auch wenn die Show mit riesigen Sonnenfinsternis-artigen Visuals und aufwändigen Lasern wirklich enorm gut aussieht, klingt ihr Gesang ziemlich unangenehm. Tonal ist da arg viel falsch. Eine leider völlig vertane Chance, um das Publikum mit einem Hypefeeling in die Nacht zu entlassen. Da war Felix Jaehn ganz klar die bessere Wahl, um richtig zu eskalieren und die letzten Funken Energie nach stundenlangem Schwitzen rauszulassen.
Eine vor allen Dingen im Ablauf tolle erste Auflage des Rainbow Festivals. Sehr angenehme Menschen, bei denen alle sein können, wie sie wollen. Logistisch völlig gut geregelt. Ein wirklich sehr wildes, aber auch spannendes Lineup, bei dem man, wenn’s zu stark gegen den eigenen Geschmack geht, gut auf die DJ-Stage ausweichen und die riesige Open-Air-Disse genießen kann. Trotzdem wäre es vielleicht schön, den Anteil queerer Acts noch etwas hochzuschrauben. Lediglich einige der DJs sowie Mia Julia, Lucy von den No Angels und Olivia Jones als Host sind hier offen geoutet – da ist noch etwas Luft nach oben. Auch wenn sich das Festival eher als bunt und nicht als klar queer definiert, so wäre bei dem Label doch ein etwas höherer Anteil bei den Acts nicht verkehrt. Besonders mittags könnte man einige Nachwuchskünstler*innen der Szene vorstellen. Vorgeschmack auf die 2026-Ausgabe gefällig, die am 27.6. steigen wird? Marianne Rosenberg, Kerstin Ott, Alphaville, Kasalla, Haddaway, Dr. Alban, Tokio Hotel als Headliner sowie Mia Julia und No Angels als wiederkehrende Acts. Klingt doch gut – und nun happy Cologne Pride und Cheers to the Queers!
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Foto von Christopher Filipecki
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